
Am ersten Tag des Waffenstillstands vor dem Nasser Hospital in Chan Junis.
(Foto: NurPhoto via Getty Images)
Tag 1 von Trumps ausgerufener Friedensära ist sehr gut gelaufen - die Panzer sind weg, die Geiseln sind frei. Was nun folgen muss, wird fast noch schwieriger: Welche Staaten sind bereit, in Gaza Sicherheit zu schaffen? Und wer würde akzeptiert, von Israelis und Palästinensern?
Ein Naher Osten, der sich in die Arme schließt. So viele Bilder, die jubelnde Menschen zeigten - große Erleichterung, in Gesichter geschrieben. Ein zunächst mal geglückter Waffenstillstand und israelische Streitkräfte, die sich gemäß der Abmachung hinter die Gelbe Linie zurückziehen. Israelische Geiseln, die nach 783 Tagen Gefangenschaft endlich wieder in Freiheit und bei ihren Familien sind. Das ist die positive Bilanz des Montags, der schon heute historisch ist.
Auch im Gazastreifen wurden die Busse mit den von Israel übergebenen palästinensischen Häftlingen begeistert willkommen geheißen. Darunter auch verurteilte Mörder, aber die meisten der Gefängnisinsassen waren während der israelischen Offensive festgenommen worden, teilweise in willkürlicher Manier. Keine Bombenhagel mehr, keine rollenden Panzer, stattdessen ein langer Zug von Heimkehrern, die sich entlang der Mittelmeerküste in den Norden des Gazastreifens bewegten. In der Hoffnung, dass von ihren verlassenen Häusern noch etwas mehr als das bloße Fundament stehen möge.
Was wird auf die Schiene gesetzt?
Tag 1 der von US-Präsident Donald Trump beschworenen Neuen Ära des Friedens in Nahost war also ein Erfolg. Hoffnung und Zuversicht waren fast mit Händen zu greifen, zugleich schien vielen auf den Straßen bewusst zu sein, wie fragil dieser so plötzliche Zustand ohne Kämpfe und in Freiheit ist. So bereit sich Menschen auf beiden Seiten der Grenze dazu zeigten, aus dieser Ruhe der Waffen einen haltbaren Frieden zu formen, so fraglich ist, ob ihnen dazu die Möglichkeit gegeben wird.
Klar ist: Ab Tag 2 reicht es nicht mehr, wenn sich knapp drei Dutzend Staats- und Regierungschefs in Ägypten gegenseitig auf die Schulter klopfen und Einigkeit mit Blick auf den Friedensplan präsentieren. Ab Tag 2 ist Einsatz gefragt. Doch gibt es da schon Zusagen? Wer wird sich beteiligen? Was wird bereits auf die Schiene gesetzt?
Die USA hatten bereits früh mitgeteilt, sie seien mit 200 Streitkräften dabei. Die Soldatinnen und Soldaten sind bereits vor Ort und haben am Wochenende ihren Dienst aufgenommen. Die Grenze nach Gaza überqueren sie dabei nicht, sondern sollen von Israel aus die Umsetzung des Waffenstillstandes überwachen. Dazu nutzen sie Aufklärungsergebnisse, die auch das Gebaren der Hamas einschließen.
Dank solcher US-Daten und eigener Aufklärung via Satellit und zum Beispiel akustischer Aufklärung durch im Mittelmeer schwimmende Einheiten hat die israelische Armee (IDF) ein gutes Lagebild. Sie steht also hinter der vereinbarten Gelben Linie, die in einiger Entfernung zur israelischen Grenze längs durch den Gazastreifen verläuft, und beobachtet von da aus die Räume, aus denen sie sich zurückgezogen hat. Perspektivisch soll sich diese Linie nach und nach weiter Richtung Grenze verschieben.
Was allerdings in den noch immer existierenden Tunneln passiert, bleibt den Augen der Israelis und auch der Amerikaner verborgen. Klar ist auch nicht, wie schnell und umfassend sich die Hamas-Schergen auf Linie der Führungsriege bringen lassen. “Das war zuvor eine Terrororganisation, die sehr straff organisiert war. Aber durch die nachhaltigen Angriffserfolge der israelischen Streitkräfte wurden viele Kommunikationswege unterbrochen”, sagt der Nahostexperte Matthias Wasinger vom Österreichischen Bundesheer. Zudem gibt es Splittergruppen, die sich selbst radikalisiert haben und den Kampf unabhängig weiterführen. “Die Hamas ist nur einer der Akteure im Raum. Viele andere, kleinere Gruppen wittern jetzt die Chance, die Lücke auszufüllen, die sich da auftun wird.”
Der Trumpsche Vorstoß, Teilen der Hamas die Ordnungsgewalt zunächst zu überlassen, kann brandgefährliche Entwicklungen nach sich ziehen. “Splittergruppen würden den Hamas-Gruppen, die bewaffnet bleiben, vorwerfen, sie kollaborierten mit dem Feind”, sagt Wasinger ntv.de. Bewaffnete Terroristen gewinnen natürlich auch Einfluss zurück, üben Druck auf die Bevölkerung aus. Aus Sicht Wasingers ist eine schnelle Entsendung von internationalen Sicherheitskräften für den Gazastreifen unverzichtbar. Nur zeichnet sich das noch überhaupt nicht ab.
Der Nahe Osten hat einen Lauf, der darf nicht verebben
“Für die Idee, ägyptische Soldaten könnten in Gaza kontrollieren, ist das Verhältnis zu Israel zu belastet. Seit dem israelischen Angriff auf die Hamas-Vertreter in Doha ist auch das Vertrauen zwischen Katar und Israel zerrüttet.” In Frage kämen laut Wasinger eher die Türkei, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate. Doch noch gibt es keine Anzeichen, dass solch eine Initiative aufs Gleis gestellt wird. Dem Nahost-Fachmann bereitet das Sorge. “Es bräuchte nun ständige Verhandlungen, damit dieser Lauf, den man aktuell hat, nicht wieder verebbt.” Denn Truppen zur Absicherung der Ordnung lassen sich nicht von heute auf morgen installieren. “Wenn das innerhalb eines Monats bis anderthalb Monate klappen würde, das wäre schon rasend schnell.”
In dem Moment, wenn die Entwicklung stehen bleibt, wenn nichts mehr weitergeht, könnten zwei Bedrohungs-Szenarien Wirklichkeit werden: Die Hamas verweigert ihre Entwaffnung, bleibt damit ein Machtfaktor und Israel verweigert einen weiteren Rückzug Richtung Grenze. “Das ist die große Gefahr, die ich sehe: nicht ein klares Scheitern des Trump-Plans in Gaza, sondern dass er einfach stecken bleibt.”
Für den langfristigen Prozess, eine Zivilverwaltung herzustellen und die öffentliche Ordnung abzusichern, würde sich Wasinger ein Mandat des UN-Sicherheitsrates wünschen. Dann wäre eine robuste Mission dort möglich. Doch ein solcher Beschluss zeichnet sich nicht ab. Umso wichtiger, dass schnell Kräfte für den Übergang ins Gebiet kommen.
Die Entwaffnung der Terroristen wird dann noch kompliziert genug - zumal niemand weiß, wie viele Maschinengewehre oder aus Leitungsrohren und Dachrinnen zurechtgezimmerte Raketen noch irgendwo versteckt sind. Den Grad ihres Erfolges im Kampf gegen die Terroristen maßen die IDF in der Vergangenheit weniger an der Zahl ausgehobener Waffenlager. Stattdessen analysierten sie, wozu die Hamas sich noch fähig zeigte. “Wie geschlossen, koordiniert und zeitlich synchronisiert fanden die Angriffe der Terroristen noch statt? Die IDF haben die Effekte im Raum gemessen und festgestellt, dass die Fähigkeiten immer weiter zurückgingen.”
Letztlich wird es nicht möglich sein, die Hamas über eine Waffenabgabe zu entmachten. Dazu müssen vor allem die Zivilisten im Gazastreifen überzeugt werden, dass die Zukunft ohne das Terrorregime besser aussähe. Auch da scheint sich ein historisches Fenster aufzutun, denn große Teile der Bevölkerung sehen die Hamas durchaus kritisch. “Einem jeden ist eigentlich klar, dass die Hamas Zerstörung und Vernichtung gebracht hat.” Um hier eine Perspektive zu bieten, wird viel Hilfe nötig sein - Unterkünfte, medizinische Versorgung, Trinkwasser, Elektrizität, Lebensmittel. Die Bedeutung der humanitären Hilfe ist nicht zu unterschätzen.
“Wenn der Lebensstandard über die Qualität eines Flüchtlingslagers hinausgeht, sehe ich Potenzial, dass man erkennt: Das ist und wird besser als das, was die Hamas uns bieten kann.” Über das Tempo, mit dem sich die Lage verbessern kann, sollte man sich aber keine Illusionen machen: “Wir sprechen hier über einen Zeithorizont von zwanzig bis dreißig Jahren.”
Quelle: ntv.de