Rigorose Reaktion auf Hass Strack-Zimmermann stellt Hunderte Anzeigen pro Monat
02.05.2023, 22:56 Uhr
Ein öffentlicher Auftritt genügt und das Postfach der Bundestagsabgeordneten ist voll mit wüsten Beschimpfungen.
(Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen)
Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Strack-Zimmermann und ihr Büroleiter erläutern in einem Bericht das genaue Ausmaß von Hass und Hetze, dem sie täglich ausgesetzt sind. Die FDP-Politikerin stellt demnach pro Monat 250 Anzeigen. Doch es trifft nicht nur die "Großen" im Politikbetrieb.
Mit Hass kennen sich viele Politiker aus. Von den Verantwortlichen einer kleinen Gemeinde bis hin zu bekannten Gesichtern auf Landes- oder Bundesebene. Viele von ihnen erreichen überbordende Beschimpfungen im Netz, teilweise gibt es auch tätliche Angriffe im realen Leben. FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gehört zu den Politikerinnen, die besonders klare Positionen vertreten - zum Beispiel im Ukraine-Konflikt - als Bundestagsabgeordnete ist sie zudem einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Beides zusammen bildet eine hohe Projektionsfläche für Kritik - und die schießt sehr oft sehr deutlich über das erträgliche (und erlaubte) Maß hinaus. Die 65-Jährige wendet daher eine Methode an, die wohl nur wenige andere in Betracht ziehen: das rigorose Stellen von Anzeigen.
Der Büroleiter von Strack-Zimmermann, Cord Schulz, erzählte dem "Business Insider", dass täglich eine Arbeitsstunde dafür draufgehe, sich mit Anfeindungen zu befassen. Die kommen zum Beispiel über soziale Netzwerke, per Mail oder auch als Brief - manchmal sogar mit Absender. Ein Anwalt identifiziert laut dem Bericht justiziable Kommentare und am Ende des Monats bekommt die FDP-Politikerin einen großen Stapel Anzeigen auf den Tisch gelegt, um diese zu prüfen und zu unterschreiben. In diesem Jahr sind nach Angaben des Büroleiters pro Monat 250 Strafanzeigen zusammengekommen. Wenn Strack-Zimmermann einen öffentlichen Auftritt habe, seien am kommenden Tag um die 600 neue Hetzbotschaften im Hauptpostfach. Mitarbeiter bekämen dann jeweils weitere Hunderte.
Im realen Leben steht die FDP-Politikerin immer wieder unter Personenschutz. Bei ihren Auftritten in Frankfurt oder Rottweil waren laut Schulz etwa 100 Gegendemonstranten zusammengekommen. Ein Mischmasch aus Reichsbürgern, Rechten und Verschwörungsgläubigen. Mit der Regionalbahn fährt Strack-Zimmermann nicht mehr durch ihre Heimat NRW.
"Normalerweise sollten Ungeziefer wie du sofort erschossen werden"
Manche Hetzer reagieren laut "Business Insider" auf die Post vom Anwalt. Dann heißt es gerne mal, alles sei nicht so gemeint und nur Spaß. Manche würden auch Unterlassungserklärungen unterschreiben und 500 bis 1000 Euro zahlen. Andere wiederum ziehen laut dem Büro der FDP-Politikerin vors Amtsgericht. Bei den meisten Vergehen, gerade den schweren wie Morddrohungen, liefen die Verfahren noch.
Auch nach dem Bericht über die Anfeindungen bekam Strack-Zimmermann wieder justiziable digitale Post. Auf Twitter zeigte sie einen Screenshot einer Person, die an sie gerichtet schrieb: "Du wunderst dich, dass du angefeindet wirst? Kein Wunder. Normalerweise sollten Ungeziefer wie du sofort erschossen werden. Viel Spaß bei der Anzeige." Die FDP-Politikerin reagierte daraufhin bewusst locker: "Bin von erster Reaktion jetzt irgendwie enttäuscht, war zu erwartbar. Da machen Absender mehr Freude, die mir nach einem Schreiben der Staatsanwaltschaft weinend und entschuldigend schreiben, dass sie ja nicht ahnen konnten, dass ich Kriegstreiberin & Rüstungsh*re nicht als Spaß auffasse."
Extremer Hass trifft auch Kommunalpolitiker
Auch viele andere Politiker auf Bundesebene haben in der Vergangenheit von ähnlichen Erfahrungen berichtet, besonders in der Corona-Pandemie soll der Hass deutlich zugenommen haben. Stark davon betroffen ist unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, gegen den zum Beispiel in diversen Facebook-Gruppen mehrfach Morddrohungen ausgesprochen worden sind. Doch um justiziablen Anfeindungen ausgesetzt zu sein, braucht es keinen Bekanntheitsgrad auf der großen politischen Bühne.
Der Bericht "Kommunales Monitoring zu Hass, Hetze und Gewalt gegenüber Amtsträgerinnen und Amtsträgern" des Deutschen Städtetags beruht auf einer bundesweiten Befragung aller ehren- und hauptamtlichen (Ober-)Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte. Das Ergebnis: Die Zahl der politisch motivierten Straftaten gegen Amtsträgerinnen und Amtsträger, die bei der Polizei registriert sind, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Sie stieg von 1894 im Jahr 2019 auf 6191 zwei Jahre später. Mehr als die Hälfte der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister haben Studien zufolge schon Beleidigungen, Bedrohungen oder Übergriffe erlebt.
Neues Gesetz soll Verfolgung erleichtern
Zumindest im Problemfeld Online-Hassnachrichten soll Besserung in Sicht sein. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP plant ein "Gesetz zur digitalen Gewalt". Dazu heißt es im Koalitionsvertrag: "Wir schaffen die rechtlichen Rahmenbedingungen für elektronische Verfahren zur Anzeigenerstattung und für private Verfahren und ermöglichen richterlich angeordnete Accountsperren." Zu dem Gesetz, das die Bundesregierung noch in diesem Jahr auf den Weg bringen will, hat das Justizministerium ein Eckpunkte-Papier vorgelegt.
Darin heißt es unter anderem, dass durch das Gesetz das private Auskunftsverfahren gestärkt werden soll. Betroffene von digitaler Gewalt bei zum Beispiel besonders herabwürdigenden Ausdrücken oder Morddrohungen könnten dann innerhalb weniger Tage herausfinden, wer diese Inhalte verfasst hat. In allen anderen Fällen soll binnen weniger Tage nach Einleitung des Auskunftsverfahrens vom Gericht zumindest eine Datenspeicherung angeordnet werden können. Ziel der Speicherung ist es unter anderem, dass die gesicherten Daten in einem anschließenden Gerichtsverfahren als Beweismittel genutzt werden können.
Quelle: ntv.de, rog