Afghanische Armee hilflos Taliban stürmen Provinzstadt
22.12.2015, 11:30 Uhr
90 afghanische Soldaten sollen bei den Kämpfen um Helmand getötet worden sein.
(Foto: dpa)
Seit Monaten erobern die radikalislamischen Taliban immer mehr Gebiete in Afghanistan zurück - nun nehmen sie auch die strategisch wichtige Stadt Sangin in der Provinz Helmand ein. Britische und US-Soldaten sollen sie zurückdrängen - aber ohne zu kämpfen.
Die radikalislamischen Taliban haben offenbar zwei Drittel der südafghanischen Provinz Helmand erobert. Bei schweren Kämpfen um die zweitgrößte Stadt Sangin seien Provinzbeamten zufolge mindestens 90 Menschen ums Leben gekommen. Die Rebellen hätten ein Regierungsgebäude und einen Basar gestürmt. Die afghanische Armee sei außer Stande gewesen, den Angriff abzuwehren.
Nach Informationen der Zeitungen "Times" und "Wall Street Journal" haben die USA und Großbritannien als Reaktion auf die Kämpfe Spezialeinheiten in die 15.000-Einwohner-Stadt geschickt, um die Taliban zurückzudrängen. Die Rede ist von 60 amerikanischen und 30 britischen Soldaten. 300 weitere Truppen sollen in eine zweite Militärbasis der Provinz verlegt werden.
Die Soldaten seien aber nicht in die Kampfhandlungen involviert, sondern würden die lokalen Sicherheitskräfte lediglich in einer beratenden Rolle unterstützen. Sie würden auch nicht außerhalb ihres Camps eingesetzt. Fast genau vor einem Jahr hatte die Nato den Einsatz in Afghanistan beendet - es war der längste und der verlustreichste in der Geschichte der Organisation. Allein in Sanguin waren 100 britische Soldaten getötet worden - ein Drittel aller in Afghanistan gefallenen Briten.
"Helmand steht kurz vor dem Fall"
Erst am Montag hatte der Vizegouverneur Helmands, Mohammed Dschan Rasuljar, via Facebook davor gewarnt, die Provinz in die Hände der Taliban fallen zu lassen. "Ich kann nicht länger schweigen. Helmand steht kurz vor dem Fall", schrieb er. Die Zentralregierung hatte daraufhin angekündigt, Verstärkung nach Sangin schicken zu wollen. Denn die Stadt hat strategische Bedeutung: Sie verbindet die Provinz-Hauptstadt Lashkar Gah mit Kabul und gilt als Zentrum der afghanischen Opium-Produktion. Fällt sie dauerhaft in den Machtbereich der Taliban, haben die Extremisten Zugang zu einer wichtigen Einnahmequelle.
Nach offiziellen Angaben sind bei den Kämpfen in Helmand seit Jahresanfang rund 2000 afghanische Sicherheitskräfte getötet worden. Zahlreiche Häuser sind zerstört. Auch deshalb würden die Einwohner den Vormarsch der Taliban teilweise begrüßen, heißt es von Augenzeugen. Sie seien der jahrelangen Kämpfe mittlerweile überdrüssig. Ein klarer Rückschlag für die Regierung: Sie hatte stets angegeben, die Sicherheitskräfte könnten auch nach Abzug der internationalen Kampftruppen die Aufständischen unter Kontrolle halten.
Quelle: ntv.de, jug/rts