Politik

Tschechien hält 200 Migranten auf Tausende Flüchtlinge reisen nach Bayern

Auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft: Seit Wochenbeginn erreichen tausende Flüchtlinge aus Ungarn den Wiener Hauptbahnhof.

Auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft: Seit Wochenbeginn erreichen tausende Flüchtlinge aus Ungarn den Wiener Hauptbahnhof.

(Foto: imago/Xinhua)

Bayern bereitet sich auf die Ankunft Tausender weiterer Flüchtlinge vor. Innenminister Herrmann kündigt an, niemanden nach Ungarn zurückschicken zu wollen. Die Aufnahme in Deutschland sei "selbstverständlich". In Wien übt die Regierung scharfe Kritik an Ungarn.

Nach der Aufgabe der Kontrollen am Budapester Hauptbahnhof sind in den vergangenen 30 Stunden nach Behördenangaben zwischen 2000 und 2200 Flüchtlinge aus Ungarn in Deutschland eingetroffen. Das sagte ein Sprecher des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam unter Verweis auf eine erste Schätzung. In Kürze würde die Bundespolizei einen genaueren Überblick geben, hieß es. Die Zahl der Ankommenden war demnach viel höher als zuletzt üblich.

Weitere Züge mit Flüchtlingen befinden sich zur Stunde auf dem Weg nach Deutschland. In Wien trafen allein zu Wochenbeginn nach Angaben der österreichischen Behörden 3650 Flüchtlinge per Zug aus Ungarn ein. Dies sei ein neuer Tagesrekord, sagte der österreichische Polizeisprecher Patrick Maierhofer. Es werde noch geprüft, wie viele davon tatsächlich Asylbewerber seien.

Ein Großteil der aus Ungarn einreisenden Flüchtlinge habe sich umgehend auf die Weiterreise nach Deutschland begeben, sagte ein Sprecher der Wiener Polizei. Lediglich sechs Afghanen hätten Asyl in Österreich beantragt. Ehe die Flüchtlinge heute früh mit den ersten Zügen nach Deutschland weiterreisen konnten, mussten sie die Nacht am Bahnhof verbringen. Gegen vier Uhr morgens sei schließlich der erste Zug in Richtung München abgefahren.

Die Bundespolizei rechnet im Laufe des Tages mit der Ankunft Hunderter Menschen, wie ein Sprecher sagte. Nach der späten Ankunft eines Zuges gegen ein Uhr nachts habe es zunächst eine Pause gegeben, ehe in den frühen Morgenstunden wieder erste Züge anrollten. Die Lage am Hauptbahnhof blieb demnach ruhig.

Neue Route über Tschechien

In Tschechien griffen die Behörden in der Nacht und am frühen Morgen mehr als 200 Flüchtlinge auf, die in Zügen aus Österreich und Ungarn nach Deutschland gelangen wollten. Darunter seien auch 61 Kinder gewesen, sagte eine Polizeisprecherin. Die Migranten seien vorübergehend in Turnhallen der Städte Breclav und Hodonin untergekommen, bevor sie in Erstaufnahmelager gebracht werden können. Die weit überwiegende Zahl der Flüchtlinge stammte aus Syrien.

Die Polizei hatte in der Nacht am tschechisch-slowakischen Grenzbahnhof Breclav rund 65 Kilometer nördlich von Wien auf die Züge aus der österreichischen Hauptstadt gewartet. "Wir halten uns an die Gesetze, unabhängig davon, wie sich andere Länder verhalten", sagte die tschechische Polizeisprecherin Katerina Rendlova mit Blick auf den Umgang mit Migranten in Ungarn.

Die Flüchtlinge seien an der Weiterreise gehindert worden, weil ihnen die erforderlichen Reisepapiere gefehlt hätten. Die Zahl der Flüchtlinge, die die Route über den Südosten Tschechiens nehmen, nimmt nach Einschätzung der Polizei zu. Der Regionspräsident von Südmähren, der Sozialdemokrat Michal Hasek, sprach gegenüber der Agentur CTK von einem "traurigen Rekord".

Ungarn stellt die Kontrollen ein

Zuvor hatten die ungarischen Behörden rund 2000 mehrheitlich syrische Flüchtlinge, die seit Tagen am Hauptbahnhof im Osten Budapests in provisorischen Lagern auf die Weiterfahrt warteten, erlaubt, unkontrolliert in Züge nach Österreich und Deutschland zu steigen. Am Montagabend trafen die ersten Züge mit den Migranten in München ein.

Laut dem Dublin-System ist eigentlich dasjenige EU-Land für die Aufnahme von Flüchtlingen und die Bearbeitung ihrer Asylanträge zuständig, in dem sie erstmals die Europäische Union betraten. Angesichts des starken Anstiegs der Flüchtlingszahlen lassen Italien, Griechenland und Ungarn, wo die meisten Flüchtlinge in die EU gelangen, die Migranten aber inzwischen weitgehend unkontrolliert weiterreisen.

Flüchtlinge werden in Bayern registriert

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sicherte unterdessen zu, die Flüchtlinge entgegen den EU-Regeln nicht nach Ungarn zurückzuschicken. Die Neuankömmlinge würden in Bayern registriert und in die Aufnahmeeinrichtungen gebracht, sagte der CSU-Politiker im ZDF. Das sei "selbstverständlich". Er wisse bisher nicht, warum Ungarn plötzlich den in Budapest wartenden Migranten die freie Weiterfahrt nach Deutschland erlaubt habe. Bundesinnenminister Thomas de Maizière und er seien bemüht, rasch von Ungarn zu erfahren, wie es in den nächsten Tagen weitergehen solle.

Unterdessen wurde im bayerischen Manching ein sogenanntes Balkan-Zentrum eröffnet, in dem die Asylanträge von Migranten aus den Balkanländern behandelt werden. Herrmann sagte, es handele sich dabei um "eine spezialisierte Erstaufnahmeeinrichtung" für Migranten vom Balkan, die nur in "Einzelfällen" Asyl in Deutschland erhielten. Das Ziel sei es, damit die "Effizienz" des Asylverfahrens zu erhöhen und den ganzen Prozess in einer Einrichtung abzuwickeln, ohne die Migranten im Land herumschicken zu müssen. Das Verfahren solle so in sechs Wochen abgeschlossen werden.

Faymann ist ungehalten

Die neue Praxis im Umgang mit Flüchtlingen in Ungarn ruft in Österreich ungewöhnliche scharfe Kritik an der ungarischen Regierung hervor. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann griff seinen ungarischen Amtskollegen scharf an. "Dass die in Budapest einfach einsteigen (...), und man schaut, dass die zum Nachbarn fahren - das ist doch keine Politik", sagte Faymann im ORF-Fernsehen.

Ungarns Regierungschef Viktor Orban müsse dafür sorgen, dass in seinem Land Gesetze eingehalten würden und es Kontrollen gebe. "Wo ist denn da der starke Regierungschef, der immer auffällt durch besonders undemokratische Maßnahmen", sagte Faymann.

Faymann mahnte, Europa müsse zusammenstehen, um eine Lösung für das Problem zu finden und eine faire Verteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedsstaaten zu erreichen. Länder wie Großbritannien, Tschechien, die baltischen Staaten oder Polen könnten sich vor der gemeinsamen Verantwortung nicht drücken. Sollten sie sich nicht mit Argumenten überzeugen lassen, könnte der Rest der EU ihnen Förderungen entziehen.

Tiefer Zwist innerhalb der EU

"Die nächsten Finanzrahmenverhandlungen kommen bestimmt", sagte Faymann. "Es gibt Forderungen einzelner Länder - wenn ich nur an die Briten denke, die sich einen eigenen Katalog wünschen, was wir alles für sie tun sollen. Da muss man sagen, Solidarität ist keine Einbahnstraße", sagte Faymann.

Auf ihrer Flucht in den Westen und Norden Europas nehmen viele die sogenannte "Balkan-Route" durch Mazedonien, Serbien und Ungarn weiter nach Österreich und Deutschland. Österreich hatte nach dem Tod von 71 Flüchtlingen in einem Schlepperwagen seine Kontrollen im Grenzraum verstärkt.

Quelle: ntv.de, mmo/ghö/AFP/dpa/rts

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen