Trump und Russland "Sicherheitspolitisch ist Deutschland weiterhin blank"
14.02.2025, 10:15 Uhr Artikel anhören
Die "breiten Schultern" der USA, in deren Windschatten man segeln kann, gibt es nicht mehr, sagt Jan C. Behrends. "Und wir merken, dass wir - wieder - relativ nackt dastehen."
(Foto: REUTERS)
Wir können uns auf die Garantien der USA nur noch bedingt verlassen, sagt der Historiker Jan Claas Behrends im Interview mit ntv.de. Die Art, wie Trump Verhandlungspositionen der Ukraine räumt, "bevor man überhaupt an den Verhandlungstisch geht, ist eine Ungeheuerlichkeit". Für Putin sei das eine Einladung, noch mehr zu fordern.
"Wenn wir das Schlimmste verhindern wollen, und das wäre eine Niederlage der Ukraine mit unabsehbaren Konsequenzen für Europa und Deutschland, dann wird es allerhöchste Zeit, dass wir in Europa und Deutschland die Initiative ergreifen und die Ukraine wesentlich stärker unterstützen als bisher", so Behrends.
ntv.de: Joe Biden und Olaf Scholz hatten mit Blick auf etwaige Friedensverhandlungen immer das Motto: Über die Köpfe der Ukrainer wird nichts entschieden, und einen Diktatfrieden soll es nicht geben. Gilt das noch nach dem Telefonat von Trump und Putin?
Jan Claas Behrends: Das gilt offensichtlich nicht mehr. Allein die Tatsache, dass es bilaterale Verhandlungen zwischen den USA und Russland gegeben hat, ist für Putin ein russischer Erfolg, denn in den letzten drei Jahren war er im Westen Persona non grata. Es gab hin und wieder ein Telefonat mit Bundeskanzler Scholz, aber persönliche Treffen oder Kontakte zwischen den Regierungen gab es kaum. Wenn das Treffen in Saudi-Arabien so stattfände, wäre es das Zeichen an die Welt, vor allem an den für Putin wichtigen Globalen Süden, dass er wieder ein respektabler Akteur ist, an dem man nicht vorbeikommt.

Jan C. Behrends lehrt deutsche und osteuropäische Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).
(Foto: ZFF)
Auf was für eine Art Frieden könnten diese Gespräche hinauslaufen? Die USA handeln mit Russland alles aus und bekommen Seltene Erden aus der Ukraine - und die Europäer müssen sich um die Sicherheit der Ukraine kümmern und alles finanzieren?
Das ist, was man hört. Ob die Verhandlungen so eine Lösung dann tatsächlich so bestätigen, ist eine ganz andere Frage. Ich sehe nicht die große Begeisterung bei Putin darüber, dass es in der Ukraine westliche Truppen, welcher Art auch immer, geben soll. Selbst wenn die Nato-Mitgliedschaft vom Tisch ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass er französische oder britische Truppen im Donbas akzeptieren würde.
Und es gibt noch andere offene Fragen. Putin hat die vier ostukrainischen Oblaste annektiert und in die russische Verfassung schreiben lassen. Aber er kontrolliert sie nicht vollständig. Soll die aktuelle Frontlinie gelten oder gilt die völkerrechtswidrige russische Annexion? Und welche Rolle kann Europa bei den Verhandlungen einnehmen? Wo kann die Ukraine mitverhandeln? Oder regeln Trump und Putin das allein in Saudi-Arabien? Am Ende glaube ich nicht, dass Trump überall so nachgiebig sein wird, wie es seit gestern scheint. Dennoch: Für andere Parteien wird es schwer, bei den Gesprächen wieder einen Fuß in die Tür zu bekommen.
Welches Interesse verfolgt Trump mit seiner Diplomatie? Hat er einen Plan oder improvisiert er?
Sein Plan ist, das militärische Engagement der USA in der Ukraine und in Europa insgesamt zurückzufahren. Das war ja auch eins seiner Wahlversprechen, das galt schon während seiner ersten Präsidentschaft. Sein Plan ist es, diesen europäischen Konflikt auf die Europäer abzuwälzen. Und wenn man ehrlich ist, dann hatte er hier seit Langem einen Punkt: Die Europäer gaben und geben zu wenig für ihre Sicherheit aus. Wir haben das damals, in seiner ersten Amtszeit, gern vom Tisch gewischt, weil es von Trump kam. Aber das hatte schon Barack Obama gesagt, bloß etwas freundlicher.
Wenn wir nun die Bilanz der "Zeitenwende" sehen, dann stellen wir fest: Wir hätten mehr tun können. Die Bundesregierung hat sich in den letzten drei Jahren bewusst dafür entschieden, keine eigene Strategie zu entwickeln, sondern in der Ukrainefrage im Schatten der Biden-Administration zu segeln. Diese breiten Schultern gibt es nicht mehr. Und wir merken, dass wir - wieder - relativ nackt dastehen. Nicht nur wegen Trumps aggressiver Diplomatie, sondern infolge eigener Entscheidungen, die wir seit 2014 immer wieder getroffen haben. Sicherheitspolitisch ist Deutschland weiterhin blank, Europa ist in der ukrainischen Frage weiterhin geteilt. Es gibt das Baltikum, Skandinavien und Polen, vielleicht noch Tschechien, Länder, die für den Sieg der Ukraine eintreten. Dann gibt es Deutschland und Frankreich, die für eine lauwarme Unterstützung stehen. Und es gibt Staaten wie Spanien, denen relativ egal ist, was in der Ukraine passiert. Diese Dreiteilung schwächt uns.
Der Vorwurf, dass Europa keine einheitliche Haltung hat, ist immer leicht erhoben, aber wäre es möglich gewesen, eine stärkere Einheit zu erreichen?
Es stimmt, die Europäische Union ist mittlerweile ein großes und komplexes Staatengeflecht. Aber mit einer gemeinsamen Position von Warschau, Berlin und Paris wäre schon viel erreicht worden. Selbst das ist nicht geschehen, und das hätte Berlin leisten können und müssen. Es gab entsprechende Initiativen von der polnischen Seite, auch von Emmanuel Macron. Aber da fällt den Deutschen mal wieder ihre eigene Provinzialität auf die Füße. In der Ampel war die Schuldenbremse wichtig und das Bürgergeld und insgesamt wollte die Regierung den obsoleten Koalitionsvertrag abarbeiten - anstelle sich neuen Herausforderungen mit neuen Ansätzen zu stellen. Ich glaube, wer als Politiker nicht gemerkt hat, dass dieser Koalitionsvertrag seit dem Februar 2022 hinfällig war, der hat ein massives Erkenntnisproblem. Leider wurden die Stimmen der Experten wieder nicht gehört.
Welche Konsequenzen könnte eine mögliche Einigung zwischen Trump und Putin für die Nato und für die europäische Sicherheitsarchitektur haben? Ist die europäische Sicherheit noch stabil?
Nein, sie ist nicht mehr stabil. Wir können uns auf die Garantien der USA nur noch bedingt verlassen. Natürlich gibt es noch vernünftige Leute in den Stäben in Washington und bei der Nato in Brüssel. Aber die amerikanischen Institutionen werden gerade in rapider Geschwindigkeit abgewickelt und Trumps Markenkern ist die Unberechenbarkeit. Im deutschen Wahlkampf spielten diese Probleme so gut wie keine Rolle. Was bedeutet es denn für Deutschland, wenn wir nicht mehr unter der Sicherheit des amerikanischen Atomschirms leben? Auf das französische Angebot, das vor ein paar Jahren kam, sich an der Force de frappe, an der französischen Nuklearabschreckung zu beteiligen, sind wir nicht eingegangen. Eigene Atomwaffen wollen wir nicht, aus der Atomwirtschaft sind wir gerade ausgestiegen. Wie soll in einer solchen Lage die Sicherheit Deutschlands garantiert werden? Wenn die USA das nicht mehr tun, stehen wir Putins Russland gegenüber wehr- und hilflos da.
Was bedeuten die Aussagen von US-Verteidigungsminister Pete Hegseth, dass die Wiederherstellung der ukrainischen Grenzen von 2014 "illusorisch" und eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine unrealistisch ist? Sind das Selbstverständlichkeiten oder schwächt er damit die Verhandlungsposition der Ukraine?
Die USA schwächen damit die Ukraine. Natürlich sind das Punkte, die bei Verhandlungen auf den Tisch kommen. Aber diese Positionen öffentlich zu räumen, bevor man überhaupt an den Verhandlungstisch geht, ist eine Ungeheuerlichkeit. Russland verhandelt stets mit Maximalpositionen, das war im Kalten Krieg so und ist bei Putins Regime nicht anders. Deshalb war es ein strategischer Fehler der USA, dem Kreml ohne Not entgegenzukommen. Für Putin ist das eine Einladung, noch mehr zu fordern.
Kann die Ukraine jetzt noch einen Diktatfrieden vermeiden?
Wenn wir das Schlimmste verhindern wollen, und das wäre eine Niederlage der Ukraine mit unabsehbaren Konsequenzen für Europa und Deutschland, dann wird es allerhöchste Zeit, dass wir in Europa und Deutschland die Initiative ergreifen und die Ukraine wesentlich stärker unterstützen als bisher. Bisher hatten wir immer eine Hand an der Handbremse. Für diese Politik zahlen wir gerade den Preis. Einen Hebel bekommen wir nur, wenn wir mit Waffenlieferungen und einer insgesamt verstärkten Unterstützung in diesen Konflikt eingreifen. Aber den Willen zum Kurswechsel sehe ich nicht. Im Moment sehe ich nur Phrasen und Floskeln bei unseren Politikern.
Einige dieser Politiker würden einwenden: Lieber das Geld in Bildung, Infrastruktur und dergleichen stecken als in die Unterstützung der Ukraine.
Wenn Putin in Polen steht, wird es für uns noch deutlich teurer und gefährlicher.
Links- und Rechtspopulisten kritisieren seit jeher, Deutschland habe sich zu sehr von den USA abhängig gemacht, sei ein Vasallenstaat. Hatte Sahra Wagenknecht also immer recht?
Einerseits sagt Frau Wagenknecht, wir seien ein Vasallenstaat der USA. Aber es war doch eigentlich sehr nett von den USA, dass sie über Jahrzehnte für unsere Sicherheit gesorgt haben und wir kaum dafür bezahlen mussten. Und andererseits will Frau Wagenknecht auch kein Geld für Rüstung ausgeben. Beides passt nicht zusammen. So schafft man ein wehrloses Deutschland, das die Beute von dem werden kann, der als erstes zuschnappt. Das halte ich nicht für wünschenswert. Ich möchte jedenfalls nicht, dass meine Kinder unter der Hegemonie von Putin leben.
Mit Jan Claas Behrends sprach Hubertus Volmer
Quelle: ntv.de