Ägyptischer Präsident im Kanzleramt Tumult beim Staatsbesuch
03.06.2015, 16:59 Uhr
Die Frau mit dem Kopftuch ruft lautstark, "Al-Sisi ist ein Mörder!". Die ägyptische Presse-Delegation schreit sie nieder: "Es lebe Ägypten, es lebe Ägypten." Die Frau wird abgeführt, weil sie keine Ruhe gibt.
(Foto: dpa)
Obwohl er sein Land noch strenger regiert als seine Vorgänger, bereitet die Bundesregierung dem ägyptischen Machthaber einen großen Empfang. Eine Frau stört al-Sisis Inszenierung. Aber sie ist nicht die einzige, die das Protokoll missachtet.
Die Pressekonferenz im Bundeskanzleramt läuft an diesem Tag etwas anders als bei anderen Staatsbesuchen. Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi ist gekommen und mit ihm eine große Delegation. Die Ägypter tragen Buttons mit dem Konterfei des Präsidenten. Während al-Sisi spricht, applaudieren sie auf einmal wie auf Kommando. Die deutschen Journalisten schauen sich verwundert um. Geklatscht wird an diesem Ort sonst nie. Ein ägyptischer Journalist beginnt seine Frage damit, dass er dem Präsidenten für all das Gute dankt, was er für sein Land tue. Wieder applaudiert die Delegation.
Am Ende dieser Pressekonferenzen führt Angela Merkel ihren Gast vor die Landesflaggen, die neben den Rednerpulten aufgebaut sind. Kaum sind die beiden dort angekommen, ruft eine Frau etwas auf Arabisch: "Er ist ein Mörder!" Polizisten halten sie zurück, die Begleiter al-Sisis stürzen sich auf sie. Wie bei einem Fußballspiel skandieren die Gäste "Es lebe Ägypten", bis die Frau abgeführt wird. Die Frau trägt ein Kopftuch und ist in Deutschland als Journalistin akkreditiert, stellt sich später heraus. Merkel und al-Sisi brechen den Fototermin vor den Flaggen ab und verschwinden.
Die Aussage, dass al-Sisi ein Mörder ist, liegt nicht ganz fern. Die Justiz in Ägypten verurteilt Angeklagte zu Hunderten zum Tode, ohne sich auch nur zu bemühen, für die Vergehen jedes Einzelnen Beweise zu sammeln. Auch das Leben des einstigen Präsidenten Mursi hängt nur noch an dem guten Willen eines Geistlichen, der das Todesurteil noch zurückweisen kann. 22.000 Menschen hat das Regime nach eigenen Angaben festnehmen lassen. Menschenrechtsorganisationen berichten, es seien fast doppelt so viele. Schon wer seine Sympathie mit der verbotenen Muslimbruderschaft bekundet, kann dafür eingesperrt werden. Proteste wie die der Frau im Kanzleramt würden in Kairo hart bestraft.
Westlich von Ägypten zerfällt Libyen
Trotzdem steht al-Sisi nun mitten in Berlin und bekommt von der Bundesrepublik das ganz große Programm: Empfang beim Bundespräsidenten mit militärischen Ehren, Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin, Treffen mit Unternehmern im Wirtschaftsministerium. Nur Bundestagspräsident Norbert Lammert weigert sich demonstrativ, mit al-Sisi zu sprechen. Auf der Fahrt ins Kanzleramt stehen rund hundert Ägypter an der Straße. Als der Präsident in der Ferne vorbeifährt, lassen sie auf Kommando eines Botschaftsmitarbeiters Luftballons steigen und jubeln. Al-Sisi hat viele von ihnen aus Ägypten mitgenommen, um die Inszenierung perfekt zu machen.
Natürlich sagt die Bundeskanzlerin bei der gemeinsamen Pressekonferenz auch, dass sie die Todesstrafe ablehnt und die Rechte religiöser Minderheiten geachtet werden müssen. Das Thema dieses Termins sind aber nicht die Menschenrechte.
Stattdessen geht es um Stabilität. Ägypten ist das größte Land der arabischen Welt. Es grenzt im Nordosten an den Gazastreifen, in dem der Nahostkonflikt ausgetragen wird und im Westen an Libyen, dessen Zerfall den Europäern derzeit besonders große Sorge bereitet: nicht nur wegen der Flüchtlingsboote, die von hier in See stechen, sondern vor allem wegen des Islamischen Staates, dessen Ableger sich hier breit macht. Keine der beiden konkurrierenden Regierungen Libyens hat die Kontrolle über das Land. Darum könnte es zum neuen Rückzugsort des internationalen Terrorismus werden. Merkel sagt, Deutschland wolle als "Partner" helfen, Wohlstand und Sicherheit in Ägypten zu schaffen. "Sicherheit" bedeutet allerdings auch, einen weiteren Umsturz in Kairo zu verhindern. Denn der würde es den Terroristen leicht machen, zwischen Libyen und Ägypten zu reisen.
Lässt sich Ägypten überhaupt stabilisieren?
Die Bundesregierung schaut dezent zur Seite, wenn es um Menschenrechtsthemen und um Demokratie geht. Dass Ägypten derzeit kein Parlament hat und al-Sisi auch keine Wahlen ansetzt, kommt gar nicht erst zur Sprache. Stattdessen darf der Präsident unwidersprochen ausführen, dass in seinem Land gerade "Wunderbares" passiert und Deutschland diesen sehr guten Prozess unterstützen solle. Was die Todesurteile angeht, hätten die Deutschen halt eine eigene Perspektive, die er respektiere. Nur sollte dann eben auch seine Perspektive respektiert werden.
Die Bundesregierung hat akzeptiert, dass Ägypten von einem Militärregime geführt wird, weil sie Stabilität über Menschenrechte stellt. Die Kanzlerin will darin nichts Besonderes sehen: Auch mit den Vorgängern Hosni Mubarak und Mohammed Mursi habe sie sich getroffen, sagte sie.
Aber kann diese Strategie langfristig erfolgreich sein? Es gibt Zweifel. Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik beschreiben das Land als wirtschaftlich instabil, weil Reformen nicht angegangen werden und nichts gegen die Korruption getan wird. Unter diesen Bedingungen sei auch nicht mit nennenswerten ausländischen Investitionen zu rechnen. Diese wären aber notwendig, wenn sich aber die Lebensverhältnisse der Menschen bessern sollen. Passiert das nicht, könnten sich die Ägypter bald daran erinnern, dass sie in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich darin waren, Regierungen zu Fall zu bringen.
Quelle: ntv.de