Der Ami im Blumendorf US-Deserteur will Deutscher werden
10.11.2014, 21:16 Uhr
"Es muss ein Weg geschaffen werden, damit Soldaten dem Wahnsinn von Kriegen entkommen können, die auf Verbrechen beruhen", sagt André Shepherd.
(Foto: imago stock&people)
Er möchte in diesem Krieg nicht mehr mitmachen. Deswegen widersetzt sich André Shepherd 2007 seinem Einsatzbefehl in den Irak. Der fahnenflüchtige US-Soldat fordert Asyl in Deutschland, aber das ist nicht so einfach.
André Shepherd ist zu 100 Prozent glücklich in Rottau. Die 1000-Einwohner-Ortschaft liegt nur wenige Kilometer südlich des Chiemsees und bezeichnet sich selbst als Blumendorf. Der 37-jährige Amerikaner, der eine befristete Aufenthaltsgenehmigung hat, würde gern für immer hier bleiben. Aber das ist nicht so einfach, vielleicht muss er Deutschland schon bald verlassen. Shepherd ist US-Deserteur und fordert politisches Asyl. Dies wurde jedoch abgelehnt. Also klagte der Mann aus Cleveland in Ohio.
An diesem Dienstag steht der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof, kurz EuGH. Nicht nur Shepherd dürfte mit Spannung erwarten, was Generalanwältin Eleanor Sharpston zu sagen hat. Ihr Gutachten soll die prekären Fragen beantworten: Kann die Bundesrepublik einem amerikanischen Soldaten Schutz vor Strafverfolgung in den USA gewähren? Und ist Shepherd Deserteur oder Flüchtling? Für beide Antworten gäbe es gute Gründe, das ist wahrscheinlich das größte Problem. "Der Fall ist schwierig", sagte Sharpston kürzlich.
Shepherd braucht Geld, deshalb meldet er sich 2004 freiwillig zur Armee. Hier macht er eine Ausbildung zum Mechaniker, wird zunächst nach Deutschland ins fränkische Katterbach versetzt. Lange bleibt er nicht dort. Im August 2004 beordert man ihn in den Irak, dort repariert er Apache-Hubschrauber. Er ist jetzt mittendrin in diesem Krieg. Shepherd ist erleichtert, als er eines Tages in die US-Kaserne nach Katterbach zurückkehren darf. Er hadert mit dem Krieg, an dem er selbst teilnimmt. Im Internet informiert er sich, was die Hubschrauber, die er täglich warten muss, dort anrichten. Shepherd ist bestürzt und sucht nach einem Ausweg.
Gefängnis oder Todesstrafe
Als er im Frühjahr 2007 zurück in den Irak beordert wird, widersetzt er sich dem Befehl. Shepherd versteckt sich bei Bekannten im Chiemgau. Erst im November 2008 stellt er einen Asylantrag. Sein Gewissen verbiete es ihm, an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen, heißt es darin. Die von ihm reparierten Hubschrauber würden zu Angriffen auf unschuldige Zivilisten missbraucht. Man müsse ihn schützen, weil ihm in den USA 18 Jahre Haft und Schande drohten. Doch die Bundesrepublik lehnt den Antrag ab. "Eine Freiheitsstrafe und die Entlassung aus der Armee wären nicht als unverhältnismäßig hart anzusehen", als Berufssoldat hätte Shepherd auch einfach kündigen können, heißt es 2011 in der Begründung des Bundesamtes für Migration.
Von den 250.000 US-Soldaten, die zwischen 2003 und 2006 im Irak im Einsatz sind, desertierten etwa 5500. Nach US-Recht ist die Lage klar. Artikel 85 des amerikanischen Militärgesetzes besagt: Wer sich ohne Erlaubnis von der Einheit entfernt und sich dem Dienst entzieht, macht sich der Desertion schuldig. Dafür droht eine Gefängnisstrafe, im schlimmsten Fall sogar der Tod. Yves Pascouau, Asylexperte vom Brüsseler Institut European Policy Centre, sagt: "Die USA gelten in Rechtsfragen als super-sicherer Staat - wie jede westliche Demokratie." Eine Haftstrafe reiche als Grund für Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonventionen nicht aus. Umstritten ist auch, warum der Amerikaner erst 19 Monate nach seiner Fahnenflucht Asyl beantragt hat.
Shepherd und sein Anwalt Reinhard Marx berufen sich in ihrer Klage auf die Qualifizierungsrichtlinie der EU. Demnach sind Deserteure zu schützen, wenn sie sich einem völkerrechtswidrigen Krieg entziehen und mit Verfolgung rechnen müssen. Nur: Maßt sich die EU an, den US-Einsatz im Irak offiziell als Kriegsverbrechen oder als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bezeichnen?
"I never regretted meine Entscheidung"
Zu Fragen wie diesen hat das zuständige Münchner Verwaltungsgericht den EuGH um Auskunft gebeten. Zwei Szenarien sind denkbar: Entweder muss das Bundesamt Shepherd nachträglich doch Asyl gewähren und den Flüchtlingsschutz anerkennen. Oder der Ablehnungsbescheid bleibt bestehen, der Fahnenflüchtige wird abgeschoben und muss das Land innerhalb einer Frist verlassen.
Shepherd sieht sich als Vorreiter für US-Kriegsdienstverweigerer und Soldaten in ganzer Welt. "Es gibt viele tausend Menschen, die in ähnlichen Situationen sind. Deshalb muss ein Weg geschaffen werden, damit Soldaten dem Wahnsinn von Kriegen entkommen können, die auf Verbrechen beruhen", sagt er. Shepherd ist ein doppelter Präzendenzfall. Er ist der erste US-Soldat, der in Deutschland Asyl beantragt, zudem könnte er bald Musterbeispiel für die Asylanerkennung von Deserteuren werden.
Darf er bleiben oder nicht? André Shepherd wartet inzwischen seit sechs Jahren auf eine Antwort. Die Zeit hat er genutzt. Der 37-Jährige hat die Prüfung der Industrie- und Handelskammer genutzt und arbeitet inzwischen als Netzwerk-Ingenieur. Doch er will endlich ein ganz normales Leben führen als deutscher Staatsbürger. "Ich liebe diesen Ort, ich bin zuhause bei meinem See und meinen Bergen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "I never regretted meine Entscheidung, auch wenn ich nie mehr zurück kann."
Quelle: ntv.de