"Attack Watch" Obama-Schwarm schlägt zurück
20.12.2011, 22:54 Uhr
Mit dieser Webseite will Obama die Angriffe der Republikaner parieren.
Der US-amerikanische Wahlkampf 2012 könnte ganz besonders unappetitlich werden: Ein umstrittenes Gerichtsurteil ermöglicht es anonymen Großspendern, regelrechte Hetzkampagnen gegen unliebsame Kandidaten zu finanzieren. Das Obama-Team will dem vorbeugen und hat ein eigenes Abwehr-Netzwerk aufgebaut.
Ob Barack Obama auf Amazon nach Büchern über sich und seine Präsidentschaft sucht? Ratsam wäre es nicht: Eine Auflistung der Neuerscheinungen für das kommende Wahljahr dürfte beim 44. Präsidenten der USA ein eher unangenehmes Déjà-vu auslösen. Die Abteilung "literarische Attacke" der Konservativen droht, den Markt in regelmäßigen Abständen mit neuen Anti-Obama-Büchern zu überschwemmen - wie schon vor vier Jahren.

Obamas Umfragewerte sind zuletzt gestiegen - bei CNN um fünf Punkte auf 49 Prozent Zustimmung.
(Foto: REUTERS)
Vom "Großen Zerstörer" (David Limbaugh) über "Hoffnungslos" (Jeffrey St. Clair) bis hin zu "Obamas säkular-sozialistischer Maschine" (Newt Gingrich) sind allein bis zur Jahresmitte 2012 mehrere Buchtitel dabei, die in jede gut sortierte konservative Bibliothek gehören.
So wird zum Beispiel der christlich-konservative Autor Dinesh D'Souza erklären, warum sich das Land vier weitere Jahre Obama "nicht leisten" kann. Die Eckpunkte dafür hat der Präsident des New Yorker King's College bereits 2010 in "Die Wurzeln von Obamas Wut" abgesteckt: Darin beschuldigte er den Sohn eines Kenianers und einer US-Amerikanerin die "anti-kolonialen Wunschvorstellungen" seines "radikal-kommunistischen Vaters" in die Realität umsetzen zu wollen. Der Washingtoner Psychoanalytiker Justin Frank liefert voraussichtlich im April eine Ferndiagnose von Obamas Persönlichkeit ab. Laut PR-Text erläutert er darin, wie Obamas vaterlose Kindheit und seine multikulturellen Wurzeln mit seinem "verwirrenden und selbstzerstörerischen" Wunsch nach Konsens und Ausgleich zusammenhängen. Die ärztliche Schweigepflicht verletzt Frank freilich nicht: Persönlich getroffen hat er seinen "Patienten" kein einziges Mal.
Frontalangriff in allen Medien
Der Büchermarkt wird nicht das einzige Schlachtfeld für negative Wahlkampfbotschaften sein. "Crossroads GPS", eine Untergruppe des von Bush-Macher Karl Rove organisierten Aktionsbündnisses "American Crossroads", gibt zum Beispiel allein in diesem Monat rund eine halbe Million Dollar für eine Anti-Obama-Kampagne im Kabelfernsehen aus. Die Demokraten halten ihrerseits mit polemischen Angriffen auf Mitt Romney und Newt Gingrich dagegen. Die republikanischen Kandidaten bekämpfen sich bisher vor allem untereinander, doch das gemeinsame Feindbild wird spätestens nach dem Ende der Vorwahlen im Sommer wieder Obama sein.
Im Internet steht der erste afro-amerikanische Präsident der USA ohnehin seit seiner Amtseinführung unter Dauerbeschuss: Diverse Gruppen vom extrem konservativen Rand des politischen Spektrums unterhalten eine Unmenge von Webseiten, die Obama wahlweise als "schwarzen Satan" oder "faschistoiden Kommunisten" bezeichnen.
So abwegig die meisten dieser Angriffe klingen mögen, sie verfehlen selten ihre Wirkung: Prominent platzierte TV-Spots, finanziert von anonymen Spendern parteiischer Aktionsgruppen wie "Crossroads", liefern leicht verständliche Propaganda, die bei vielen Wählern zumindest in Erinnerung bleibt. Allein die Diskussion über Obamas Staatsangehörigkeit - bis heute glauben viele Konservative, Obama sei in Kenia zur Welt gekommen - dauert seit 2008 an. Erst im April wurde sie von Donald Trump erneut aufgewärmt. 2012 sind die Bedingungen für solche Angriffe noch besser als bei der vergangenen Wahl: Seit dem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Fall "Citizens United" sind Großspenden von Firmen und Lobbyisten kaum noch Grenzen gesetzt - was vor allem den Republikanern zugutekommt.
Verteidigung mit Schwarmintelligenz
Deswegen hat das Obama-Camp nun frühzeitig vorgesorgt: "Attack Watch" heißt die eigens für Obamas Wiederwahl eingerichtete Webseite, auf der Anhänger des Präsidenten frühzeitig vor negativer Wahlkampfwerbung warnen sollen.
Die Strategie basiert auf den Erfahrungen von 2008: Schon damals sah sich Obama einer Vielzahl abstruser Vorwürfen gegenüber: Von einfachen Falschaussagen über sein zukünftiges Regierungsteam bis hin zu kruden Verschwörungstheorien. Einige der wildesten wurden vom rechtskonservativen Autor Jerome Corsi in einem inzwischen berüchtigten Bestseller gebündelt - die meisten Aussagen darin wurden kurz darauf als falsch identifiziert. Großen Anteil an Obamas Abwehr solcher Angriffe war die Internetseite "Fight the Smears", frei übersetzt "Kämpft gegen die Lügen".
"Attack Watch" soll nun die Speerspitze des Obama-Teams gegen die erwartete Flutwelle von negativer Wahlkampfwerbung werden. Sie funktioniert nach dem Prinzip der digitalen Schwarmintelligenz: Jeder kann mitmachen und einen "Angriff" melden, oder sich per Twitter, Facebook und Newsletter über "Angriffe" informieren. Mehrere Falschaussagen will die Gruppe bereits in republikanischen TV-Spots, Blogs und den Fernsehdebatten entdeckt haben, darunter über Michele Obama, Israel und die Steuerpolitik. Auch alte Vorwürfe sind im Archiv zu finden.
Demokraten verteidigen in der Breite
Doch "Attack Watch" geht auch selber zum Angriff über. Als Mitt Romney in einem viel kritisierten TV-Spot Obama erst falsch zitierte und dann dessen Aussage auch noch gegen ihn verwendete, schlug das Team der Seite zurück. "Romneys doppelzüngige Vergangenheit" heißt seitdem eine umfangreiche Liste von angeblichen Falschaussagen des Ex-Gouverneurs - die ganz nebenbei eine entsprechende Anti-Romney-Kampagne der Demokratischen Partei inhaltlich flankiert.
Außerdem können sich die Demokraten auf die Hilfe der bestens organisierten Aktivisten von "MoveOn" und "mediamatters" verlassen. Beide Webseiten dokumentieren akribisch jede Aussage der Republikaner, besonders mit Blick auf Verdrehungen der Wahrheit - zumindest aus liberal-demokratischer Sicht. Sie helfen damit vor allem auch den weniger prominenten Kandidaten bei der ebenfalls anstehenden Kongresswahl. Und MoveOn gehört ohnehin zu den größten "Grasswurzel"-Organisationen von Obamas Partei: Mit Helfern in allen 50 Bundesstaaten unterstützt sie etliche Kandidaten bis hinab zu Gemeindewahlen.
Dass die demokratischen Wahlbotschaften dabei nicht frei von verdrehten Fakten und böswilligen Fehlinformationen bestehen, versteht sich. Für den durchschnittlichen Wähler ist diese Meinungskakophonie daher kaum noch zu durchschauen. Allein unabhängige Projekte wie "FactCheck" oder "PolitiFact" können noch dabei helfen, Wahrheit und Unwahrheit zu unterscheiden. PolitiFacts Auszeichnung für die "Lüge des Jahres" ging übrigens an die Demokraten: Deren regelmäßige Behauptung, die Republikaner würden das staatliche Gesundheitssystem "Medicare" beenden wollen, sei schlicht falsch.
Eine US-amerikanische Tradition
Bei den republikanischen Kandidaten fehlen bisher entsprechende Selbstverteidigungsnetzwerke. Weder Romney noch Gingrich, denen bislang die besten Chancen gegen Obama eingeräumt werden, unterhalten ähnliche Plattformen gegen negative Wahlwerbung der Demokraten. Offenbar verlassen sie sich lieber auf die Durchschlagskraft des Haussenders Fox News, konservative Webseiten wie den "Drudge Report" und "Red State", sowie Medienpersönlichkeiten wie die Krawall-Talker Rush Limbaugh, Ann Coulter und Sean Hannity.
Wirklich neu ist negativer Wahlkampf in den USA freilich nicht - im Gegenteil, sie gehört zur politischen Tradition. Bereits die Gründerväter Thomas Jefferson und John Adams bewarfen sich im Rennen um das höchste Amt der jungen Republik mit reichlich Dreck. Adams, damals Präsident, sei ein "hässlicher, geschlechtsloser Charakter", so Jefferson, der "weder die Stärke und Kraft eines Mannes, noch die Zartheit und Sensibilität einer Frau" habe. Adams ließ über Jefferson, der pikanterweise sein Vizepräsident war, verbreiten: Der Mann sei ein "bösartiger, niederer Sohn einer Halb-Indianerin und eines Mulatten-Vaters aus Virginia".
Quelle: ntv.de