US-Wahl bei "Caren Miosga" Gabriel: "Als Merkel Trump auf seinen Fehler hinwies …"
04.11.2024, 01:29 Uhr Artikel anhören
Sigmar Gabriel spricht bei Caren Miosga Klartext.
Dunkle Wolken über den USA und Europa: Bei der ARD-Talkshow "Caren Miosga" zur dramatischen US-Präsidentschaftswahl wirft Sigmar Gabriel Donald Trump eine Einladung an Putin vor. Er schießt gegen Kanzler Scholz - und erinnert an einen speziellen Moment zwischen Angela Merkel und dem Republikaner.
Wer macht das Rennen in den Vereinigten Staaten von Amerika? Der Ausgang des Kampfes um das mächtigste Amt der Welt ist so ungewiss wie selten, und am Sonntagabend in der Diskussionsrunde bei "Caren Miosga" zur US-Präsidentschaftswahl 2024 treffen viele warnende Stimmen aufeinander. Nicht nur Donald Trump bekommt Kritik ab, sondern auch die demokratische Vizepräsidentin Kamala Harris. Das Urteil: Auf Deutschland und Europa kommen in jedem Fall schwierige Zeiten zu.
Als Talkmasterin Miosga Sigmar Gabriel die Frage stellt, wie wichtig die Neubesetzung im Weißen Haus für eine Welt wird, die sich in vielen Bereichen komplett neu zu ordnen scheint, holt der ehemalige Vizekanzler mit einer Anekdote aus. Ein eingeblendetes Foto zeigt ihn zusammen mit Angela Merkel, damals Bundeskanzlerin, und Trump, damals US-Präsident, auf dem G-20-Gipfel 2017. "Bei dem Gespräch hat er Unfug erzählt", sagt Gabriel über den Republikaner. "Und als Angela Merkel ihn freundlich auf seinen Fehler hinwies", habe er bei einem Berater nachgefragt und anschließend schnell das Thema gewechselt.
"Er hat kein Verständnis für die Fragen der Welt und alles, was über die Interessen der USA hinausgeht", kritisiert der ehemalige SPD-Politiker, der seit 2019 Vorsitzender der Atlantik-Brücke ist, die sich für die Pflege der deutsch-amerikanischen Beziehungen einsetzt, den 45. US-Präsidenten, der nun laut aller Umfragen und Analysen genauso gute Chancen auf einen Wahlsieg hat wie Widersacherin Harris. Trump sei nationalistisch und protektionistisch und wolle die Vereinigten Staaten aus der Rolle des Weltpolizisten heraus steuern, was bei vielen Wählern gut ankäme.
Gabriel: "Trump hat kein Verständnis für Allianzen"
Würde Trump wiedergewählt, würde er die USA zu einer schurkischen Supermacht formen, sagt Gabriel in Anlehnung an den US-amerikanischen Politikwissenschaftler Robert Kagan der diesen Begriff schon 2018 benutzt hat. "Trump hat kein Verständnis für Allianzen", so Gabriel, er würde bilaterale Deals mit anderen Machthabern schmieden, die unter anderem Deutschland und der Ukraine großen Schaden hinzufügen könnten.
Trump als Präsident wäre "eine Einladung an alle Autoritären", erklärt Gabriel und konkretisiert. Er glaube nicht, dass der Republikaner wie angedroht wirklich aus der NATO austreten wolle, aber es reiche, wenn er Zweifel säte. "Das ist wie eine Einladung an Wladimir Putin, uns zu testen", sagt der ehemalige Spitzenpolitiker: "Ob wir darauf vorbereitet sind, wage ich zu bezweifeln."
Auch Cathryn Clüver Ashbrook äußert große Bedenken in diese Richtung. Die deutsch-amerikanische Politikwissenschaftlerin, die in Sachen US-Politik und transatlantische Beziehungen unter anderem die Bundesregierung berät, erklärt bei einer Wiederwahl Trumps hätte Europa "mit der Glaubwürdigkeit unserer Demokratien ein ganz immenses Problem, wo die Achse des Autoritarismus - China, Nordkorea, Iran und allen voran Russland - an der Glaubwürdigkeit jetzt schon herumschraubt." Das "kleine Europa" könne sich dann kaum noch verteidigen, weshalb dringend NATO-Übungen intensiviert und für die eigene Verteidigung gesorgt werden müssten. Der EU-Verteidigungskommissar sollte schnell befähigt werden, das anzugehen.
Und ein Giftpfeil für Scholz
An dieser Stelle schießt Gabriel einen Giftpfeil auf Olaf Scholz ab. Der Bundeskanzler hätte auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres, als der US-Senat ein weiteres Milliarden-Paket zur Unterstützung der Ukraine abgelehnt hatte, eine Führungsrolle übernehmen sollen. Scholz hätte erklären müssen, dass Europa gemeinsam Schulden macht und die Milliarden aufbringt. Leider seien "die Europäer sich nicht einig und es gibt kein europäisches Zentrum", urteilt Gabriel.
Die USA sind für Gabriel die "einzige Supermacht", und wenn das Land "nur noch mit sich selbst zu tun hat, werden wir als Europäer darunter am meisten leiden". Der Ex-Vizekanzler malt ein düsteres Bild für Deutschland und seine Nachbarländer für den Fall, dass Trump gewinnt und die USA sich immer mehr abschotten: "Wir sind auf dieses Amerika angewiesen. Wir sind Provinz ohne die."
Wahlkampfstratege Julius van de Laar, der auch in Miosgas Runde sitzt, sieht Trumps Ukraine-Politik ganz nüchtern. Der Republikaner mache einfach einen simplen und "guten Pitch". Dass dieser nicht auf Fakten basiere, sei in so einem Wahlkampf nicht so wichtig, denn dabei komme es auf Erzählungen an und Trump sei der "Meister des Narrativs". Seine Politik: America First, die USA zuerst. Er gehe auf das Gefühl der Wähler ein, die sich fragen, warum sie einen Krieg am anderen Ende der Welt finanzieren sollen, wenn sie doch selbst so viele Probleme haben. Trumps Erzählung laute: Als ich an der Macht war, herrschte Ruhe auf der Welt. Jetzt haben wir einen Flächenbrand. Ich bringe Frieden und das ist gut für die Wirtschaft.
Harris hat "zu wenig Gefühl"
Einen weiteren Punkt, warum Trump wiedergewählt werden könne, sieht Clüver Ashbrook beim Fehlverhalten der Demokratischen Partei. Die US-Expertin kritisiert Kamala Harris und ihre Mitstreiter als "sehr mahnend und moralisierend" und mit "zu wenig Gefühl". Trump zeige dagegen, er sei "einer von euch", erklärt van de Laar, und hole damit die sporadischen Wähler ab. Bei Harris wisse man seiner Meinung nach nicht, wofür sie am Ende steht, und Trumps Botschaft sei kurz und effektiv.
Jörg Wimalasena, politischer Korrespondent von "Die Welt", erkennt in Harris gar die "falsche Kandidatin", weil zu "wenig Substanz" mitbringe: "Was die USA brauchen, ist ein wenig gute alte Sozialdemokratie und da gibt es bei Harris leider nichts", sagt er. Gabriel stimmt zu, denn Trump funktioniere auch, "weil Teile der Gesellschaft sich ignoriert fühlen und seit Jahren vergessen werden". Der Republikaner sei in der Lage, den Frust und die Wut auf die Eliten zu schüren, obwohl er selbst daher stammt.
Auch bei zwei weiteren entscheidenden Wahlkampf-Themen habe Trump laut van de Laar das Narrativ bestimmen können: Wirtschaft und Migration. Seine haltlosen Ansätze, Mauer gegen illegale Einwanderer und Schutzzölle gegen China, kämen bei Teilen der Gesellschaft gut an, die jemanden wollen, "der endlich wieder aufräumt". Gabriel ist deshalb sehr besorgt: "Trumps Sprache ist die der Rechtsradikalen, Herr Höcke redet genauso", sagt der Ex-Vizekanzler und schiebt mit Blick auf den AfD-Spitzenpolitiker nach: "Ich frage mich schon lange, warum den keiner rausschmeißt."
Clüver Ashbrook hält Trumps Migrations-Aussagen für "brandgefährlich", erwähnt aber auch, dass 54 Prozent der US-Amerikaner ein Deportationsprogramm gut fänden. "Das hätte verheerende Folgen und würde für Chaos sorgen", erklärt die US-Expertin. Das Gleiche gelte für Trumps geplante "Handelskriege" und seine allgemeine "Bauanleitung" für seine zweite Amtszeit: Das Projekt 2025 plane, für "das Überleben der Republikanischen Partei das System umzubauen", die Macht in der Exekutive zu stärken und die Gewaltenteilung auszuhebeln.
Dunkle Wolken über den USA und Europa: Sigmar Gabriel kommt bei "Caren Miosga" zu dem Fazit, dass die Probleme für Deutschland am Tag nach der Präsidentschaftswahl beginnen - unabhängig vom Ausgang. Denn der innenpolitische Kampf in den Vereinigten Staaten sei vorprogrammiert: "Wenn Trump gewinnt, wird er innenpolitisch einen Rachefeldzug gegen die Demokraten beginnen und wenn Harris gewinnt, wird er das nicht akzeptieren." Es werden richtungsweisende Wochen für die gesamte Welt - auch wenn Angela Merkel diesmal Donald Trump nicht mehr zurechtweisen wird.
Quelle: ntv.de