Trump ist noch im Vorteil Harris ist ein anderes Kaliber als Biden - aber eine Botschaft fehlt
26.07.2024, 20:10 Uhr Artikel anhören
"Wir wollen Sturmgewehre verbieten und sie Bücher": Die designierte Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris am Donnerstag beim nationalen Gewerkschaftsverband der Lehrer.
(Foto: dpa)
Etwa eine Woche ist seit dem überfallartigen Kandidatenwechsel von US-Präsident Biden zu seiner Vize Harris vergangen. Die Republikaner schmeißen wahllos mit allem, was sie haben. Die Demokraten sortieren sich. Wer verschafft sich den ersten Vorsprung?
Es dauerte nur wenige Tage. Statt US-Präsident Joe Biden zu bewerben, hat sein 1300 Mitarbeiter starkes Wahlkampfteam auf eine neue designierte Kandidatin umschwenken müssen. Kamala Harris ist Bidens Vizepräsidentin, sie war davor eine bekannte Senatorin, weil sie in Anhörungen unnachgiebig und knallhart fragte. Nun soll sie "die Demokratie verteidigen", wie es Biden bei seiner Rede an die Nation ankündigte. Harris soll im November eine weitere Präsidentschaft Donald Trumps verhindern.
Die ersten Umfrageergebnisse nach dem Kurswechsel der Demokraten bestätigen, was sie sich erhofft hatten: einen Neustart gegen den mit allen Wassern gewaschenen Trump. 87 Prozent der US-Amerikaner meinen, Biden habe mit seinem Verzicht die richtige Entscheidung getroffen. Die 59-jährige Demokratin schneidet gegen Trump in Umfragen durch die Bank besser ab als der 81-jährige Biden. Allerdings liegt sie immer noch knapp hinter dem Republikaner. In den mutmaßlich entscheidenden Bundesstaaten Michigan, Pennsylvania, Wisconsin und weiteren steht es weiterhin Spitz auf Knopf, mit hauchdünnem Vorteil für Trump.
"Radikale linke Verrückte"
Zwar beginnt die heiße Wahlkampfphase grade erst. Aber aus Sicht von Harris muss sie sich nun überzeugend präsentieren und so lange wie möglich die Initiative behalten: Themen setzen, Stärken zeigen, womöglich "Schwächen" zugeben wie in einem Bewerbungsgespräch. "Lass dir von niemandem sagen, wer du bist", soll Harris' Mutter zu ihrer Tochter gesagt haben. "Du sagst ihnen, wer du bist." Das kann aus Sicht der Demokraten gar nicht schnell genug gehen. Denn die Republikaner werden die Lücken füllen. Es ist nun ein Rennen, das bis zum Wahltag im November keine Pause mehr haben wird.
Am Mittwoch trat Donald Trump erstmals seit dem Kandidatenwechsel auf und drückte Harris allgemeine Stempel auf. Er nannte sie "lügende Kamala Harris" (lyin' Kamala Harris), eine "wahre Marxistin", "radikale linke Verrückte", die "linkeste Vizepräsidentin der amerikanischen Geschichte", auch "Zarin der Grenze" und "treibende Kraft hinter jeder einzelnen Katastrophe Bidens". Zudem verdrehte Trump ihre Spenden für einen Kautionsfonds von Straftätern zu beruflichen Entscheidungen: "Wenn sie jemanden töten, geht einfach nach Hause und entspannt." Zudem nannte er sie eine "Feindin des jüdischen Volkes".
Auch die Migration und die Südgrenze bringen Republikaner mit ihr in Verbindung. Seit 2016, da war Harris noch Oberstaatsanwältin Kaliforniens, hatte sie immer wieder gesagt: "Ich weiß, wie ein Verbrechen aussieht. Ein unregistrierter Einwanderer ist kein Verbrecher." Für den Grenzfetisch der Republikaner ist das ein gefundenes Fressen. Die griffen Harris auch wegen ihres "Lachens in unangemessenen Situationen" an oder wegen ihrer Herkunft. Insgesamt jedoch sind die Konservativen noch uneins, welche Angriffe die effektivsten sind. "Sie schmeißen mit allem, was sie haben, um zu sehen, was funktioniert", wird ein republikanischer Wahlberater vom Magazin "Politico" zitiert: "Wir sind noch nicht bei (Harris') Zeit als Senatorin oder Oberstaatsanwältin angekommen, da wird einiges (zu finden) sein." Man könnte auch sagen: Die Republikaner waren schlecht auf Harris vorbereitet.
Erst die Brieftasche, dann die Demokratie
Die Vizepräsidentin ist jetzt schon ein anderes Kaliber als der immer schwächer wirkende Biden. Harris hatte schon am Sonntag, so beschreibt es die "New York Times", "genau die Kraft und Energie gezeigt, die Biden in den vergangenen Wochen hatte vermissen lassen". Der Präsident hatte Harris demnach am Morgen vorab über seinen bevorstehenden Verzicht informiert. Harris rief sogleich ihren Stab zusammen, erstellte in Windeseile einen Schlachtplan und telefonierte in zehn Stunden 100 Delegierte der Demokraten im Kongress und in den Bundesstaaten ab. Bei Biden sollen es in zehn Tagen nach seiner desaströsen Fernsehdebatte 20 Telefonate gewesen sein.
Am Dienstag platzte Harris mit voller Kraft und Schärfe in den Wahlkampf gegen Trump. Dessen Veranstaltungen haben im Kontrast eher etwas von Plauderstunden, in denen der Ex-Präsident ausprobiert, welche Angriffe bei seinen Anhängern Anklang finden. Am Donnerstag veröffentlichte seine neue Herausforderin ihr erstes Wahlkampfvideo. "In welchem Land wollen wir leben?", fragt Harris darin. Verzerrte Bilder von Trump werden gezeigt. "Wir entscheiden uns für etwas anderes als Chaos, Angst und Hass", heißt es weiter.
"Die Demokratie verteidigen" und Trump als potenziellen Autokraten darzustellen, der Freiheiten wie das Abtreibungsrecht einschränken will - das ist laut Umfragen insbesondere Wählern der Demokraten wichtig. Den Unentschlossenen und Unabhängigen geht es demnach kaum überraschend vor allem um eines: die eigene Brieftasche.
Die Republikaner haben bereits Versprechungen gemacht, so wie Steuersenkungen und protektionistische Maßnahmen, die höhere Löhne für Arbeiter ermöglichen sollen. Auch Harris wird ihre Botschaften konkreter fassen müssen, um die unentschlossenen Wähler von sich zu überzeugen. Das wird in Sachen Inflationsbekämpfung und Erschwinglichkeit des täglichen Lebens nicht einfach. Schließlich ist sie die amtierende Vizepräsidentin.
Quelle: ntv.de