Politik

Gut, aber kein Game-Changer Wie weit bringen die Patriot-Raketen die Ukraine?

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Ein Patriot Luftabwehrsystem der US-Armee nimmt an einer Übung in Alaska teil.

(Foto: IMAGO/ZUMA Wire)

Monatelang hat Präsident Selenskiy mal gefordert, mal gebuhlt, sogar gefleht - um mehr Luftabwehrwaffen für die Ukraine. Nun kommt die Zusage der USA für eine Batterie ihres Systems Patriot. Kann das im Kampf gegen Russland entscheidend weiterhelfen?

Was kann das Patriot-System?

Patriot ist ein Luftverteidigungssystem, das die Rakete von einer mobilen Startrampe, dem sogenannten Launcher, abfeuert. Es bekämpft Flugzeuge, aber auch Marschflugkörper - die mit eigenem Antrieb fliegen und sich selbst ins Ziel steuern können. Weil Marschflugkörper sehr niedrig fliegen können, sind sie vom gegnerischen Radar nur schwer zu orten.

Der Radar des Patriot-Systems ist dem des sowjetischen S-300, das die ukrainische Luftabwehr hauptsächlich nutzt, deutlich überlegen. Es hat daher bessere Chancen, einen angreifenden Marschflugkörper abzuwehren. Einen wirklichen Unterschied macht die Patriot aber vor allem im Verbund mit anderen Waffen, etwa Satelliten und Drohnen, die ein feindliches Geschoss schon beim Abschuss erkennen können, also lange bevor es auf dem Patriot-Radar auftaucht.

"Wenn etwa der Satellit oder eine Drohne melden, dass von Belarus oder dem Schwarzen Meer aus eine Rakete abgeschossen wurde, so hat das Patriot-System in der Ukraine genug Zeit, die Abwehrraketen darauf auszurichten", sagt der österreichische Offizier und Militärexperte Markus Reisner ntv.de. Gestützt auf das eigene Radarsystem kann dann der Abschuss erfolgen. Patriots werden aber auch gegen ballistische Kurzstreckenraketen eingesetzt. Diese haben keinen Eigenantrieb, sondern fliegen mit der Energie des Startantriebs in einem Bogen ins Ziel. Das macht sie für den gegnerischen Radar leichter erkennbar.

Nach Angaben der Bundeswehr ist das von ihr genutzte Patriot-System in der Lage, bis zu 50 Ziele zeitgleich zu kontrollieren, also Flugobjekte zu verifizieren und als Freund oder Feind zu bewerten. Angreifen kann es fünf Ziele zur selben Zeit. Die Bekämpfungsreichweite variiert je nach Version des Systems. Die Bundeswehr gibt für den von ihr genutzten Typ eine Reichweite von 68 Kilometern an.

Das System ist weit verbreitet: 18 Nationen nutzen laut dem US-Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) Patriot in der Luftabwehr, neben Deutschland zum Beispiel auch die Niederlande und Spanien. Polen und die Slowakei haben im Frühjahr von NATO-Partnern Patriots erhalten, um sich gegen mögliche russische Angriffe zu schützen und eigene S-300 Systeme an die Ukraine liefern zu können.

Welchen konkreten Nutzen hat die Ukraine von der Patriot?

"There's a lot of symbolism here", sagt CSIS-Experte Mark Cancian in US-Medien - eine Menge Symbolik. Die Patriot kann dafür stehen, dass der Westen Selenskyjs Plädoyers ernst nimmt, oder dass das Rekordtempo geschätzt wird, mit dem sich Kiews Truppen auf neue Waffensysteme einstellen, und dass er auch in Zukunft an der Seite der Ukraine stehen will. Diese Symbolkraft wirkt nicht nur nach außen, sondern auch in die USA hinein, adressiert an die vor allem republikanischen Stimmen, die weitere Hilfen für die Ukraine infrage stellen.

Abgesehen vom symbolischen Wert hilft die Patriot auch militärisch. Die eine Batterie, die an die Ukraine geliefert wird, taugt jedoch nicht zum Game-Changer in diesem Krieg. "Zu einer Batterie gehören bis zu sechs Werfer, die gleichzeitig Munition abfeuern können. Insgesamt sind bis zu 24 Schüsse gleichzeitig möglich, dann muss nachgeladen werden", erklärt Reisner. "Für einen Angriff mehrerer Marschflugkörper und Drohnen bedeutet das: Die Patriot kann nur eine begrenzte Zahl abwehren, alle anderen treffen ihre Ziele."

Das Patriot-System wird seit 40 Jahren militärisch genutzt. Es ist, was die Modernität betrifft, Systemen wie der deutschen IRIS-T SLM, das die Ukraine auch schon bekommen hat, unterlegen. Der Vorteil seines fortgeschrittenen Alters ist aber, dass das System auch schon vielfach im Einsatz war: bereits in den 1990er Jahren in der "Operation Wüstensturm" gegen den Irak, danach in etlichen Konflikten und auch mehrfach beim israelischen Militär.

Was praktisch erprobt und immer wieder verbessert wird, entwickelt sich zu einem verlässlichen, robusten System. Die Experten des CSIS nennen die Patriot daher das "Arbeitspferd" der US-Armee. Auch die Bundeswehr hat gute Erfahrungen gemacht: "Der Einsatz unserer Patriot-Staffeln, beispielsweise in der Slowakei im Rahmen von 'enhanced Vigilance Activities' (eVA), hat gezeigt, dass wir unsere Fähigkeit zur Flugraketenabwehr schnell in ein Einsatzgebiet bringen können und dort sofort einsatz- sowie wirkbereit sind", sagt ein Sprecher der Luftwaffe ntv.de.

Wo wird die Patriot eingesetzt?

Noch ist nicht bekannt, welche Art Angriffe das System in der Ukraine abwehren soll. Militärexperte Gustav Gressel rechnet nicht damit, dass die Patriot zur Drohnenabwehr verwendet wird. "Dort kann sie ihre Stärken nicht ausspielen", sagt er ntv.de. Weder die Reichweite, noch die Manövrierfähigkeit in hohen, dünnen Atmosphärenschichten komme gegen Drohnen zum Tragen. "Gegen ballistische Raketen hingegen, etwa Iskander oder Fateh-110 spielt die Patriot ihre Stärken aus", so Gressel.

Weder die Reichweite, noch die Manövrierfähigkeit in hohen, dünnen Atmosphärenschichten komme gegen Drohnen zum Tragen.

Hinzu kommt, dass die russische Armee häufig Angriffe fliegt, in denen ein Drohnenschwarm zunächst die ukrainische Luftabwehr in Beschlag nimmt. Nachfolgende Marschflugkörper können dann ungehindert ihr Ziel erreichen. Hier könnte die Patriot die bestehenden ukrainischen Abwehrsysteme entlasten und sich auf die Marschflugkörper konzentrieren.

Eine Patriot-Rakete kostet mehrere Millionen Dollar. Wenn sie gegen Drohnen eingesetzt wird, die nur 20.000 Dollar pro Stück wert sind, würde ein Missverhältnis entstehen. Doch die Wahl der Gegenwehr ist laut Gressel im Verhältnis zum möglichen Schaden zu sehen. "Wenn Sie einen Transformator vor den Drohnen schützen, der nicht nur teuer ist, sondern für dessen Ersatz auch Wartefristen von über einem Jahr in Kauf genommen werden müssten, zusätzlich zum wirtschaftlichen Schaden, wenn ein Jahr lang kein Strom fließt, dann relativieren sich die Kosten."

Aus Sicht von Oberst Reisner wäre ein Einsatz zur Abwehr von Angriffen auf die ukrainische Hauptstadt wahrscheinlich. "Als 'Center of Gravity', also militärisches und ziviles Zentrum des Landes, wäre es sinnvoll, Kiew besonders gut zu schützen."

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 21. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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