Steuereinnahmen brechen weg VW-Krise frisst sich in Geldbeutel der Bürger
29.08.2016, 16:28 Uhr
Halb Werk, halb Stadt: Wolfsburg bekommt die Krise am stärksten zu spüren - und damit die Wolfsburger Bürger.
(Foto: imago stock&people)
Parkgebühren, Geld für die Kinderbetreuung, Schwimmbadbesuche, Grabpflege, Hundesteuer: Weil VW in der Abgaskrise Millionen Euro weniger Gewerbesteuern zahlt, legen die Kommunen die Kosten um - auf die Bürger.
Den VW-Konzern nimmt sich wohl jede Stadt gerne zum Steuerzahler. In guten Zeiten zumindest. Schlechte Zeiten zählen aber auch dazu. Und die beginnen nun. Die Abgas-Krise setzt dem Autobauer heftig zu. Zweistellige Milliardensummen haben die Wolfsburger schon zurückgestellt für Vergleiche mit Kunden oder US-Behörden. Analysten wie Frank Schwope von der NordLB schätzen den absehbaren Schaden auf bis zu 35 Milliarden Euro. 2015 schrieb Volkswagen wegen des Skandals den höchsten Verlust seiner Firmengeschichte: fast 2 Milliarden Euro. Es gab nur eine Minidividende. Doch die Folgen ziehen weitere Kreise.
Auch die Gewerbesteuerzahlungen, die aus dem Wolfsburger Weltreich an die deutschen Standorte fließen, brechen ein. Es geht um Hunderte Millionen Euro. Genaue Zahlen fehlen, Details nennt Volkswagen nicht. Aber man darf annehmen, dass Deutschlands größter Konzern, größter privater Arbeitgeber und größter Umsatzbringer auch bei den Steuern einen Superlativ bildet. Der "tatsächliche Steueraufwand Inland" der Wolfsburger, zu dem mehrere Abgabenarten gehören, sackte von 2014 auf 2015 von mehr als zwei Milliarden Euro auf rund 800 Millionen Euro. Die Folgen sind drastisch. Haushaltslöcher tun sich auf, mancherorts sind es wahre Krater. Einige Beispiele ausgewählter Städte:
Wolfsburg (VW-Zentrale):
- Die Elternbeiträge zur Kinderbetreuung steigen für Besserverdienende. 720.000 Euro soll das pro Jahr bringen, sie sollen direkt in Ausbau und Qualitätsentwicklung fließen.
- Das Halten von Hunden kostet mehr. Die Steuer für den ersten Hund steigt um 20 Prozent auf 96 Euro. Für einen zweiten oder dritten Hund ziehen die Steuern sogar um 24 Prozent an auf 144 und 168 Euro.
- Wer sein Auto in der Innenstadt auf städtischen Parkflächen abstellt, muss mehr bezahlen - 10 Cent pro Stunde.
- Ebenso wird das Baden teurer: Für das Freibad Fallersleben und das VW-Bad zahlen Erwachsene 3,50 Euro statt bisher 3,20 Euro. Saisonkarten für Erwachsene verteuern sich von 75 auf 85 Euro. Eine Familie muss 10 Euro mehr und damit dann 150 Euro zahlen. Für Kinder und Jugendliche aber bleiben die Preise konstant.
Braunschweig (Komponentenwerk):
- Das Parken in den städtischen Tiefgaragen hat sich seit den 1990er Jahren nicht verteuert. Nun steigen die Preise für öffentliche Parkplätze und städtische Tiefgaragen um 20 Prozent.
- Der Grundsteuerhebesatz steigt um 50 Punkte auf 500 Zähler. Mieter und Hausbesitzer müssen damit tiefer in die Tasche greifen.
- Die Friedhofsgebühren steigen um durchschnittlich 20 Prozent. Eine umfängliche Gebührenerhöhung gab es zuletzt 2012. Kindergräber verteuern sich allerdings mit der jüngsten Anpassung nicht.
Von der erhöhten Grundsteuer verspricht sich die zweitgrößte Stadt Niedersachsens etwa 5 Millionen Euro. Parken soll rund 1 Million Euro mehr einspielen, Friedhofs- und Bestattungsgebühren 240.000 Euro.
Baunatal (Komponentenwerk):
Die Gewerbesteuereinnahmen (brutto, ohne Umlage) hatte in der nordhessischen Stadt 2014 bei gut 72 Millionen Euro gelegen, 2015 kam mit gut 32 Millionen Euro noch nicht einmal die Hälfte zusammen. "Baunatal ist, nicht nur was die Gewerbesteuer betrifft, stark von dem ansässigen VW-Werk geprägt", sagt Stadtsprecherin Susanne Bräutigam. Ebenso wichtig wie die Gewerbesteuer seien aber die örtlichen VW-Jobs. "Natürlich kommt der weit überwiegende Teil der Gewerbesteuer von VW", sagt sie. Noch habe Baunatal ein Finanzpolster. Aber: Im Haushalt 2016 ergebe sich ein Loch über 7,5 Millionen Euro. "Nach der mittelfristigen Ergebnisplanung ist auch für das Jahr 2017 mit einem Defizit zu rechnen", berichtet Bräutigam.
- Eine Konsequenz sei nun: Die Kulturveranstaltungen im Rahmen des "Baunataler Herbstpalastes" werden nicht mehr an zehn, sondern nur an sechs Tagen stattfinden.
Weissach (Forschungszentrum):
Dort gibt es zwar in diesem Jahr noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagt. Doch nach fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen. In Weissach, wo etwa 5500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, waren die Gewerbesteuereinnahmen schon vergangenes Jahr eingebrochen. Statt 70 Millionen Euro nahm die Gemeinde nur 38,8 Millionen Euro ein. Das bleibt nicht ohne Folgen: Großzügige Subventionen, die Weissach den Bürgern früher gewähren konnte, verschwinden:
- Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen. In früheren Jahren bekamen Familien, die Häuser bauten oder kauften, noch 5000 Euro je Kind. Auch die Zuschüsse für das "Mach-Mit-Programm", das Volkshochschulkurse oder Musikunterricht mit immerhin 40 Euro im Monat pro Kind bezuschusst, wurde eingestellt.
- Erhöht hat Weissach die Gebühren für die Nutzung der Strudelbachhalle und die Preise für eine Bestattung. So kostet eine Urnenbestattung in der Erde statt bislang 145 Euro nun 420 Euro.
Ingolstadt (Audi-Werk)
Der Diesel-Skandal bedeutet für die Stadt das Ende der fetten Jahre - nur noch 60 Prozent des langjährigen Gewerbesteuer-Durchschnitts hält der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger, für realistisch. Daher geht es wohl bald ans Finanzpolster. Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen; Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben sind gedeckelt.
Osnabrück (VW-Werk)
Die Stadt steht unter Haushaltsaufsicht und ist in der angespannten Lage dauerhaft auf Kassenkredite angewiesen - also auf Schulden für das laufende Geschäft. 2015 verhängte die Stadt eine Haushaltssperre und eine Einstellungs- und Beförderungssperre; letztere galt bis zur Genehmigung des Doppelhaushalts 2016/2017 durch die Kommunalaufsicht.
VW-Sachsen
In Chemnitz, einem der drei sächsischen VW-Standorte, rechnet die Stadt für 2016 mit sechs Millionen Euro weniger Einnahmen als eigentlich geplant.
In seinen drei Werken in Zwickau, Chemnitz und Dresden beschäftigt Volkswagen rund 10.000 Mitarbeiter. Das größte Werk steht in Zwickau, wo VW mit 7900 Beschäftigten zugleich der größte Arbeitgeber ist. Ende Juni trennte sich Volkswagen Sachsen dort von knapp 700 Leiharbeitern und befristet Beschäftigten. Nach der Diesel-Affäre im Vorjahr verhängte Zwickau mit Blick auf zu erwartende Steuerausfälle zunächst eine Haushaltssperre, hob diese jedoch Ende 2015 wieder auf. Durch Steuernachzahlungen aus den vergangenen Jahren habe man das Defizit ausgleichen können, hieß es.
Quelle: ntv.de, Heiko Lossie, Annika Grah und Roland Losch, dpa