Auftrieb für Demokratiefeinde? Verfassungsschutz: Extremisten wollen Proteste kapern
17.08.2022, 12:10 Uhr
Auch legitimer Protest gegen die Corona-Maßnahmen wurde in der Vergangenheit für demokratiefeindliche Zwecke missbraucht. Hier bei einer Demo in Berlin.
(Foto: picture alliance/dpa)
Einen "Wut-Winter" sehen bereits manche auf Deutschland zukommen. So weit geht der Verfassungsschutz nicht. Allerdings sieht er bereits jetzt, wie rechtsextreme Akteure von Corona auf das Thema Versorgungskrise umschwenken. Sie wollten legitimen Protest für Demokratiefeindlichkeit missbrauchen.
Nach den Corona-Protesten könnten nun zusätzlich hohe Energiekosten in den kommenden Monaten zu vermehrten Protesten führen. Ein demokratisches Grundrecht - doch der Bundesverfassungsschutz (BfV) beobachtet, dass sich bereits verschiedene Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum "zunehmend inhaltlich auf diesen Themenkomplex fokussieren", wie es in einer Pressemitteilung des Bundesamts heißt.
Die Verfassungsschützer stellen demnach fest, dass eine radikalisierte Minderheit aus Rechtsextremisten, sogenannten Delegitimierern, Reichsbürgern und Verschwörungsgläubigen sich in Stellung bringt, um Themen wie den Krieg gegen die Ukraine, steigende Preise, Inflation und die Corona-Pandemie zu besetzen und zur Mobilisierung zu missbrauchen.
Der Verfassungsschutz verfolge "die Entwicklungen seit Kriegsbeginn sehr aufmerksam". Indizien für einen "heißen Herbst" mit womöglich gewaltsamen Protesten gibt es jedoch bislang noch nicht.
Das Bundesamt beobachtet das bundesweite Protestgeschehen, aber auch Strömungen, die sich anschicken, diese Proteste für ihre Zwecke zu kapern. Dabei kommt den rechtsextremistischen Parteien eine besondere Bedeutung zu. Hier werden die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges "einer vermeintlichen Unfähigkeit der demokratischen Parteien zugeschrieben". So soll das Vertrauen der Bürger in Staat, Regierung und Demokratie untergraben werden.
AfD greift Inflation auf
Als Beispiel nennen die Verfassungsschützer die thematische Kursverschiebung der Regionalpartei "Freie Sachsen", die "neben der Kritik an den Corona-Schutzmaßnahmen allmählich eine verstärkte Thematisierung der sozialen Frage in den Vordergrund rückt". Die Partei konstruiere eine "vermeintliche Entfremdung der demokratischen Parteien von der Bevölkerung" und versuche, sich selbst als sozialpolitische Alternative zu inszenieren. Die AfD greift laut BfV verstärkt das Thema Inflation auf.
Nach der Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen sehen die Verfassungsschützer in der Protestszene eine Suche nach neuen Thematiken, um die Mobilisierungsfähigkeit zu erhalten. Das Thema "Energiekrise" sei bereits präsent, bestimmt jedoch laut den Beobachtern bislang noch nicht den Diskurs.
Auch Akteure aus der Szene, die eine "verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" betreibt, beobachten die Verfassungsschützer dabei, wie sie sich schon jetzt bemühen, die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die deutsche Bevölkerung und Wirtschaft zu besetzen. Eingebettet werde das vielfach in Verschwörungserzählungen.
Aktivitäten von russischer Seite hat das BfV ebenfalls im Blick. Hier versuchen Akteure über gezielte "Verbreitung von Falschinformationen etwa zu Gasknappheit und Preissteigerungen", Angst vor einer möglicherweise existenzbedrohenden Energie- oder Lebensmittelknappheit in Deutschland zu schüren. Die Verfassungsschützer rechnen damit, dass russische Propaganda im extremistischen Milieu noch zunehmen wird und Verschwörungsnarrative befeuern wird "mit dem Ziel, einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben". Auch mit verstärkten politischen und militärischen Aufklärungsversuchen muss man demnach rechnen.
Bestes Gegenmittel: Gut kommunizieren
In der linksextremistischen Szene beobachtet der Verfassungsschutz ebenfalls Bewegung: Dort habe das Aktionsfeld "Antimilitarismus" seit dem Kriegsbeginn stark an Bedeutung gewonnen. "Insbesondere Rüstungsunternehmen, aber auch die Bundeswehr und politische Parteien sind dabei im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten", heißt es in der Mitteilung des BfV. Es sei bereits zu Sachbeschädigungen gekommen. Mit Blockaden und Sabotageaktionen müsse gerechnet werden.
Als ein zentrales Mittel, um der Unterwanderung legitimer Proteste durch Extremisten zu verhindern, nennen Experten eine gute Kommunikationsstrategie der Politik. Maßnahmen müssen transparent und gut erklärt sein. Sowohl im Bundeskanzleramt als auch im Wirtschaftsministerium sollen bereits Einheiten damit befasst sein, Kommunikationswege für die kommenden Monate zu erarbeiten.
Quelle: ntv.de, fni