Mögliche Kriegsverbrechen Weltstrafgericht will auf allen Seiten in Gaza ermitteln
03.12.2023, 15:36 Uhr Artikel anhören
Die israelische Armee setzt ihr Bombardement von Zielen im Gazastreifen fort.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Die Gräueltaten der Hamas vom 7. Oktober bezeichnet der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag als "das Gewissen der Menschheit" schockierende Verbrechen. Das Recht müsse aber auch auf allen Frontlinien gelten, sagt deren Chefankläger Khan. Indes macht UNICEF Israel schwere Vorwürfe.
Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, Karim Khan, setzt sich für Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen auf allen Seiten des Gaza-Kriegs ein. "Wir müssen zeigen, dass das Recht an allen Frontlinien herrscht und dass es in der Lage ist, alle zu schützen", heißt es in einer vom Weltstrafgericht in Den Haag verbreiteten Erklärung. Khan hatte in den vergangenen Tagen Israel und die palästinensischen Gebiete besucht. Es war sein erster offizieller Besuch als Chefankläger. Er war von Angehörigen und Freunden von Opfern der Hamas-Attacken vom 7. Oktober eingeladen worden. Am Samstag war Khan in Ramallah mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas zusammengetroffen.
Israel ist zwar kein Vertragsstaat des Gerichts, doch Khan bot dem Land seine Unterstützung an bei Ermittlungen zu den Attacken der Hamas vom 7. Oktober. Khan sprach von "einigen der schlimmsten internationalen Verbrechen, die das Gewissen der Menschheit schocken". Er rief die Hamas dazu auf, alle festgehaltenen Geiseln sofort freizulassen.
Khan betonte zugleich, dass auch Israel bei Angriffen auf den Gazastreifen an internationales Recht gebunden sei. "Wie ich bereits zuvor gesagt habe, hat Israel ausgebildete Juristen, die Kommandanten beraten, und ein robustes System, das die Einhaltung des internationalen humanitären Rechtes garantieren soll." Fundierte Beschuldigungen über mutmaßliche Kriegsverbrechen müssten unabhängig und schnell geprüft werden.
Der Ankläger äußerte zudem große Sorge über die zunehmende Zahl von Angriffen bewaffneter israelischer Siedler auf palästinensische Bürger im Westjordanland. Der Strafgerichtshof ermittelt bereits seit 2021 gegen die Hamas und Israel wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Gazastreifen. Palästina ist seit 2015 Vertragsstaat. Das Gericht hatte 2021 festgestellt, dass es auch für die seit 1967 besetzten Gebiete wie das Westjordanland und den Gazastreifen zuständig ist.
UNICEF: Angriffe in Gaza "unmoralisch" und "sicher illegal"
Der Pressesprecher des UN-Kinderhilfswerks UNICEF, James Elder, kritisierte derweil die israelischen Angriffe im Gazastreifen während eines Besuchs scharf. Dort finde ein "Blutbad" statt, das "unmoralisch" sei und das mit "mit Sicherheit als illegal verstanden werden wird", sagte Elder dem Nachrichtensender Al-Dschasira während eines Besuchs in Chan Junis. Wer das hinnehme, mache sich selbst schuldig. "Schweigen ist Mittäterschaft", sagte der sichtlich erschütterte Elder, der teils mit zitternder Stimme sprach.
Während seines Besuchs habe er überall Kinder mit schweren Verbrennungen, mit Verletzungen durch Granatsplitter, Gehirnverletzungen und mit Knochenbrüchen gesehen. Man sehe Mütter um ihre Kinder weinen, die wohl "Stunden vor dem Tod" stünden. Die jüngsten Angaben über sogenannte "sichere Zonen" für die Bevölkerung in Gaza bezeichnete Elder als "Falschdarstellung". Die Menschen würden dabei zu "winzigen Flecken Land bewegt", dort gebe es nur Sand, kein Wasser, keine Sanitäranlagen und keinen Schutz vor dem Wetter. "Das sind keine sicheren Zonen, das werden Todeszonen sein", sagte Elder. "Wir müssen es als das bezeichnen, was es ist".
Israel will Gazas Zivilbevölkerung schützen
Der israelische Regierungsberater Mark Regev wies Vorwürfe zurück, sein Land würde im Kampf gegen die Hamas zu wenig unternehmen, um die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen. "Wir unternehmen maximale Anstrengungen, vielleicht sogar nie dagewesene in ähnlichen Umständen", sagte Regev der BBC. Israel habe spezifische Viertel ausgewiesen, die zum Ziel von Angriffen würden und warne die Zivilisten dort vorab, sie zu verlassen, so Regev.
Die Verantwortung für den Gaza-Krieg und die Wiederaufnahme der Kämpfe nach einer mehrtägigen Feuerpause wies Regev ausschließlich der Hamas zu. Zudem verstecke die Organisation "ihre militärische Terrormaschine" in Wohnvierteln, unter Krankenhäusern und in Moscheen. Die Schuld für zivile Todesopfer liege daher bei der islamistischen Organisation. Israel tue alles dafür, um zwischen Kombattanten und Zivilisten zu unterscheiden. Regev zweifelte zudem die von der Hamas-Gesundheitsbehörde herausgegebene Zahl der zivilen Toten in Gaza an. Das werde nach dem Ende des Kriegs deutlich werden, sagte er. "Wenn man vergleichen wird, was Israel in Gaza getan hat und, sagen wir, Großbritannien und andere westliche Mächte im Kampf gegen den IS in Syrien und dem Irak getan haben, werden Sie sehen, dass es uns durch unsere Maßnahmen gelungen ist, die Zahl der zivilen Opfer sehr, sehr niedrig zu halten", so Regev.
Israels Armee hatte die Kämpfe gegen die islamistische Hamas nach Ablauf der Feuerpause wieder aufgenommen. US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Verteidigungsminister Lloyd Austin forderten Israel auf, Zivilisten besser zu schützen.
Bei den israelischen Angriffen auf Gaza sind nach Hamas-Angaben bisher bereits weit über 15.000 Menschen getötet worden, unter ihnen viele Zivilisten. Die Zahlen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen. Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen verübt haben. Auf israelischer Seite wurden mehr als 1200 Menschen getötet, die meisten davon Zivilisten.
Quelle: ntv.de, gut/dpa