Politik

Kann London die EU-Armee blockieren? Wie Brüssel die Briten austricksen will

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz trifft die neue britische Premierministerin Theresa May. Die muss den Brexit abwickeln, obwohl sie eigentlich dagegen war.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz trifft die neue britische Premierministerin Theresa May. Die muss den Brexit abwickeln, obwohl sie eigentlich dagegen war.

(Foto: AP)

Nach dem Brexit ringt die EU um den Zusammenhalt der Gemeinschaft. Eine stärkere militärische Kooperation soll die Staaten wieder zusammenrücken lassen. Doch ausgerechnet die Aussteiger, die Briten, versuchen diesen Schritt zu blockieren.

In den Tagen, nachdem die Briten sich für den Ausstieg aus der EU entschieden haben, ertönte aus Brüssel immer wieder eine Forderung: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bat London, die Gemeinschaft nicht in einer schädlichen Hängepartie verharren zu lassen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, dass er den offiziellen Scheidungsbrief "gern sofort" hätte.

Die beiden Spitzenmänner Europas spielten auf die Aktivierung von Artikel 50 des Lissabon-Vertrages an, die bis heute nicht erfolgt ist. Demnach beginnt ein geregelter Austrittsprozess eines Mitglieds erst, wenn das Land, das nicht mehr Teil der Gemeinschaft sein will, dies offiziell in Brüssel verlautbart. Passiert das nicht, bleibt der Staat Vollmitglied.

Nun droht genau das zu geschehen, was Schulz und Juncker mit ihrem Drängen im Juni verhindern wollten: Obwohl Großbritannien eigentlich längst auf dem Weg aus der EU ist, missbraucht das Land seine Noch-Vollmitgliedschaft, um die Weiterentwicklung der Gemeinschaft zu boykottieren. Und das ausgerechnet bei dem derzeit wohl wichtigsten Integrationsschritt auf der europäischen Agenda.

Das einzige Feld, auf dem die EU derzeit punkten kann

"Wir werden weiter jedes Vorhaben einer europäischen Armee oder eines EU-Armeehauptquartiers ablehnen", sagte der britische Verteidigungsminister Michael Fallon beim Treffen mit seinen Noch-EU-Kollegen in Bratislava. Solche Pläne würden "die Nato schlicht und einfach untergraben".

Der britische Verteidigungsminister Fallon sagt: "Wir werden weiter jedes Vorhaben einer europäischen Armee oder eines EU-Armeehauptquartiers ablehnen."

Der britische Verteidigungsminister Fallon sagt: "Wir werden weiter jedes Vorhaben einer europäischen Armee oder eines EU-Armeehauptquartiers ablehnen."

(Foto: dpa)

Die Briten stemmen sich seit jeher dagegen, dass die EU in der Verteidigungspolitik näher zusammenrückt, was zum einen an der EU-Skepsis der Briten liegt, zum anderen am sehr engen Bündnis mit den USA und damit der Nato. Für die übrigen Mitgliedsstaaten gilt eine verbesserte militärische Zusammenarbeit derzeit dagegen als das einzige Feld, auf dem für die durch Finanz-, Flüchtlings- und Brexit-Krise gebeutelte EU ein weiterer Integrationsschritt überhaupt möglich erscheint. Bei den Themen Migration und Asyl gibt es genauso wenig einen Konsens wie beim Kampf gegen Armut, Jugendarbeitslosigkeit und wirtschaftliche Ungleichheit in der Gemeinschaft.

Ungewiss ist, ob die Briten mit ihrer Blockade-Haltung erfolgreich sein werden, denn die Verteidigungsminister der übrigen EU-Staaten scheinen sich bereits auf das Nein der Briten eingestellt zu haben.

Von der Leyen will die Möglichkeiten des Lissabon-Vertrages ausschöpfen

Insbesondere Deutschland hebt hervor, dass es nicht darum gehe, eine Europa-Armee aufzubauen, sondern nur darum, die Kooperation der Mitgliedstaaten zu vertiefen. Eine europäische Armee würde eine Änderung der Verträge von Lissabon voraussetzen, die die Briten blockieren können.

"Es geht jetzt darum, die Möglichkeiten innerhalb der bestehenden Verträge auszuschöpfen und mit konkreten Projekten zu füllen", sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

Mitte September legten Deutschland und Frankreich eine gemeinsame Initiative vor, die neben dem Aufbau eines militärischen Hauptquartiers der EU, die gemeinsame Nutzung von Aufklärungssatelliten, mehr Kooperation bei militärischer Logistik und in der Rüstungskooperation vorsieht. Auch schnell zu verlegende Sanitätskräfte sind geplant.

Kurz vor dem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Bratislava ergänzte Italien diese Ideen um weitere Punkte, darunter unter anderem um europäische Förderprogramme für Militärprojekte.

Kampf gegen die Bedeutungslosigkeit

Deutschland, Frankreich und Italien sehen in ihrer Initiative nicht nur die Möglichkeit, Kosten zu sparen, sondern vor allem die Chance eines Bedeutungsgewinns. Die EU verfügt mit ihren Battle-Groups mit 1500 bis 3000 Mann zwar bereits über Kampftruppen, nur wurden diese bisher nie eingesetzt und es fehlt schlicht die Infrastruktur, um damit in größeren Konflikten wirklich eine Rolle zu spielen. Die EU muss sich deshalb nach wie vor auf ihren Nato-Partner USA verlassen, der sich unter der Präsidentschaft von Barack Obama allerdings zusehends aus der internationalen Krisenbewältigung zurückgezogen hat. "Keiner von uns ist doch alleine in der Lage, eine Antwort auf die großen Krisen zu geben", so von der Leyen über die aktuellen Fähigkeiten der EU.

Um eine Blockade Großbritanniens zu verhindern, setzen die Mitgliedsstaaten nun auf bisher noch nicht angewendete Artikel im Lissabon-Vertrag. Explizit geht es um Artikel 42 und 46, die eine sogenannte "ständige strukturierte Zusammenarbeit" regeln. Demnach ist es möglich, dass einzelne Mitgliedstaaten ihre Kooperation im militärischen Bereich "verstärken". Voraussetzung dafür ist keine einstimmige Entscheidung aller Mitgliedsstaaten, sondern ein Beschluss mit qualifizierter Mehrheit im europäischen Rat, also der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten. Im Idealfall für Brüssel beteiligen sich alle 27 EU-Staaten außer Großbritannien an der ständigen strukturierten Zusammenarbeit. Die Mitgliedstaaten, die dazu bereit sind, könnten diese bereits Anfang 2017 starten – unabhängig davon, ob die Briten dann noch EU-Mitglied sind und ob ihnen dieser Schritt passt oder nicht.

Quelle: ntv.de

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