Raketenschlag gegen US-Basen Wie gefährlich der Iran wirklich ist
08.01.2020, 15:28 Uhr
Fanatische Revolutionsgarden mit teils dramatisch veralteter Technik: Der Iran setzt aus gutem Grund auf Raketen.
(Foto: REUTERS)
Der iranische Gegenschlag trifft die US-Basen mitten in der Nacht: An zwei von Koalitionstruppen genutzten Militärstützpunkten im Irak schlagen Geschosse ein. Teheran will mit dem Angriff militärische Schlagkraft beweisen, offenbart jedoch zugleich die eigene Schwäche.
"Die grimmige Rache durch die Revolutionsgarden hat begonnen": Mit diesen Worten verkündete ein Sprecher der Revolutionsgarden in der Nacht auf Mittwoch den erwarteten Vergeltungsschlag gegen die USA. Der Angriff auf von US-Truppen genutzte Militärstützpunkte im Irak begann gegen 1.30 Uhr (Ortszeit Bagdad) und damit fast auf die Stunde genau fünf Tage nach der gezielten Tötung des iranischen Top-Generals Ghassem Soleimani.
Angegriffen wurden mehrere Einrichtungen der internationalen Anti-IS-Koalition im Zentral- und Nordirak. Allein auf dem Gelände der Luftwaffenbasis Ain al-Assad rund 190 Kilometer nordwestlich von Bagdad sollen nach Angaben aus Teheran 15 Geschosse eingeschlagen sein. Raketenalarm gab es auch rund 300 Kilometer weiter nördlich im kurdisch kontrollierten Nordirak. Dort beschossen die Iraner das "Camp Erbil" am Flughafen nahe der kurdischen Metropole Erbil, wo unter anderem auch deutsche Soldaten stationiert sind.
Nach Informationen des deutschen Einsatzführungskommandos in Potsdam dauerte der iranische Luftschlag etwa drei Stunden und war gegen 4.45 Uhr (Ortszeit, 2.45 Uhr MEZ) beendet. Bei dem Angriff feuerten die Revolutionsgarden nach Angaben aus dem Pentagon mehrere Salven an ballistischen Kurzstreckenraketen ab. Verletzte oder gar Tote forderte die "grimmige Rache" offenbar nicht. "Ob Schäden an Infrastruktur und Material entstanden sind, wird derzeit geprüft", hieß es.
Mit dem zeitlich und räumlich begrenzten Feuerüberfall auf US-Standorte im Nachbarland bemüht sich Teheran allem Anschein nach um eine ausgewogene Reaktion. Der Iran habe "angemessene Maßnahmen zur Selbstverteidigung ergriffen und abgeschlossen", teilte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif noch in der Nacht mit. Verschiedenen Berichten zufolge wurden zumindest irakische Stellen kurz vor dem Angriff gewarnt.
Auch die Wahl der Waffen deutet darauf hin, dass es der Islamischen Republik in erster Linie darum ging, vor der Weltöffentlichkeit das Gesicht zu wahren und eine weitere Eskalation bis hin zum offenen Krieg zu vermeiden. Denn der Iran beschoss die gewählten Ziele - soweit bislang bekannt - mit herkömmlichen Shabab-Raketen und kämpfte damit quasi mit offenen Visier. Die Projektile, die auf der russischen Scud-Technik beruhen, folgen nach dem Start einer stabilen und damit vergleichsweise leicht vorhersehbaren Flugbahn.
Zugleich vermied es der Iran, deutlich schmerzhaftere Achillesfersen der USA zu attackieren. So gab es zum Beispiel weder Angriffe auf die Ölversorgung in den mit den USA verbündeten Staaten Kuwait, Bahrein, Katar, den Vereinten Arabischen Emiraten oder Saudi-Arabien, noch auf die freie Schifffahrt in der Straße von Hormus, den internationalen Flugverkehr oder gar auf einen US-Flugzeugträger in der Region. Im Gegensatz zur Strategie der asymmetrischen Kriegsführung in Konfliktregionen, wie sie Soleimanis Al-Kuds-Brigaden etwa in Syrien oder dem Jemen perfektionierten, wählten die Iraner diesmal einen offenen Gegenschlag.
Zur maßvollen Zurückhaltung hat der Iran auch allen Grund. 40 Jahre nach der iranischen Revolution und dem Sturz des Schah ist das Land mit seinen rund 82 Millionen Einwohnern international weitgehend isoliert. Wirtschaftliche Schwierigkeiten lähmen die Entwicklung der religiös-autoritär regierten Regionalmacht am Persischen Golf. In der schiitisch dominierten Islamischen Republik schwelen erhebliche innenpolitische Konflikte, angefacht durch die einseitige Ausrichtung auf die Ölwirtschaft, hohe Arbeitslosenquoten und die mangelnden Perspektiven der Jugend.
Viel finanzieller Spielraum bleibt der Führung in Teheran nicht. Die zuletzt immer weiter verschärften US-Sanktionen machen es dem Iran nahezu unmöglich, moderne Waffensysteme aus dem Ausland einzuführen oder die vorhandenen Panzer, Flugzeuge und Raketenartillerie zu modernisieren. Die iranische Luftwaffe etwa leidet nach Einschätzung westlicher Beobachter unter einem massiven Ersatzteilmangel und muss auf Waffenlieferungen aus China oder Russland vertrauen. Alle militärischen Drohgebärden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Iran der militärischen Übermacht der USA im Fall eines echten Krieges wenig entgegensetzen könnte.
Einige Zahlen unterstreichen, wie sich die Machtverhältnisse am Persischen Golf tatsächlich darstellen: In den iranischen Streitkräften dienen Schätzungen zufolge insgesamt etwa 520.000 Soldaten, davon entfallen 350.000 Mann auf die reguläre Armee und Luftwaffe sowie 150.000 auf die iranischen Revolutionsgarden (IRGC), die eine eigene abgeschottete Teilstreitkraft innerhalb des iranischen Militärapparats darstellen. Dazu kommen noch rund 20.000 Soldaten der Marine, deren U-Boote und Patrouillenboote ebenfalls unter dem Befehl der Revolutionsgarden stehen.
Das US-Militär kommt dagegen auf eine ungleich größere Streitmacht. Die personelle Stärke von US-Army, Navy, Marineinfanterie und Luftwaffe beläuft sich aktuellen Zahlen aus Washington zufolge auf insgesamt rund 1,3 Millionen. Allein in der Marine und dem Marine Corps dienen mehr Berufssoldaten als im gesamten iranischen Militär. Dazu kommt, dass die USA ein riesiges Arsenal an hochmodernen Waffensystemen einsetzen können. Washington verfügt über den mit Abstand weltweit höchsten Militäretat und gibt pro Jahr deutlich mehr als 600 Milliarden Dollar für Rüstung und Verteidigung aus.
Der Iran dagegen kam im Vergleich dazu auf ein militärisches Jahresbudget von zuletzt umgerechnet rund 13,2 Milliarden Dollar - ein Bruchteil der amerikanischen Finanzkraft. Pro Kopf gerechnet lagen die iranischen Militärausgaben im Vergleichsjahr 2018 bei gerade einmal 160 Dollar. Die USA kamen im gleichen Zeitraum auf rund 1985 Dollar. Das mit Teheran verfeindete Königreich Saudi-Arabien - das mit dem Iran um die Vorherrschaft am Golf konkurriert - gab sogar mehr als 2000 Dollar je Einwohner für die eigene militärische Stärke aus.
Quelle: ntv.de