Referendum in Katalonien "Wir werden wie Verbrecher behandelt"
01.10.2017, 20:14 Uhr
"Wir wollen nur abstimmen und sie behandeln uns wie Verbrecher."
(Foto: imago/UPI Photo)
Das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens reißt tiefe Gräben auf. Am Wahltag stürmt die spanische Polizei viele Wahllokale. Mit Gewalt versucht der Staat, die Abstimmung zu verhindern. Im Interview mit n-tv.de schildert eine Augenzeugin ihre Eindrücke aus der katalanischen Metropole Barcelona.

Polizeigewalt gegen ein Referendum: Die Lehrerin Peracaula Pujadas vor ihrem Wahllokal in Barcelona.
(Foto: n-tv.de)
n-tv.de: Frau Peracaula Pujadas, wie ist die Lage vor Ort?
Eli Peracaula Pujadas: Wir stehen seit heute Morgen vor unserem Wahllokal im Fort Pienc, dem Stadteil von Barcelona, in dem wir wohnen. Das Wahllokal befindet sich in der Schule unserer Kinder. Wir bleiben hier, weil wir verhindern wollen, dass die Polizisten die Urnen mitnehmen. Wir werden hierbleiben, bis alle Stimmen ausgezählt sind. Es gibt hier ein starkes Gefühl der Solidarität. Wir halten die Schulen seit Freitag besetzt. Wir haben miteinander gekocht und gegessen. Es ist alles gut organisiert und bis heute Morgen war alles war sehr friedlich.
In vielen Wahllokalen versuchte die Polizei, das Referendum zu verhindern. Wie war das bei Ihnen in der Innenstadt von Barcelona?
Die gebürtige Katalanin Eli Peracaula Pujadas ist Lehrerin und Mutter von zwei Kindern. Die 45-Jährige versteht sich als Europäerin, ist mit einem Briten verheiratet und lebt mit ihrer Familie in der katalanischen Hauptstadt Barcelona.
Als ich kurz vor 9 Uhr zum Wahllokal kam, waren dort viele spanische Polizisten zu sehen. Sie haben die Eingangstür zur Schule aufgebrochen und die Wahlurnen beschlagnahmt. Die Menschen, die vor der Schule saßen, um das Wahllokal zu schützen, haben sie einfach aus dem Weg gezerrt. Dann wollten sie mit den Wahlurnen abziehen, aber die Menge hat sie aufgehalten. Die Polizisten versuchten, die Straße zu sperren und haben dabei auch Gummigeschosse eingesetzt. Dabei sind die in Katalonien verboten! In Katalonien, aber nicht in Spanien. Sie haben damit geschossen. Und es gab Verletzte.
Das heißt, Sie konnten doch noch Ihre Stimme abgeben?
Wir machen alles per Computer. Auf diese Weise können alle überall wählen, auch in den Bezirken, in denen Wahllokale geschlossen wurden.
Wie lief die Stimmabgabe aus Ihrer Sicht ab?
Das Referendum läuft über ein IT-System. Die Computer wurden zwar gehackt, das System ist immer wieder abgestürzt. Dann mussten wir warten. In der Zwischenzeit wurde die Schlange vor dem Wahllokal immer länger. Ich stand mehr als vier Stunden, bis ich an der Reihe war.
Wie wird sichergestellt, dass es keinen Missbrauch gibt?
Alles läuft über die Personalausweisnummer. Jeder muss im Wahllokal seinen Personalausweis vorzeigen und wird als Wähler registriert. Wie genau man das kontrollieren kann, weiß ich nicht. In unserem Viertel fielen zwei Wahllokale komplett aus. Sie haben nicht funktioniert, weil die Polizei die Urnen mitgenommen hat.
Wie bewerten Sie das Vorgehen der Polizei?
Der Eindruck war sehr gewalttätig. Dabei wollen wir nur abstimmen. Sie hatten Waffen, also Gummigeschosse und Helme. Ich hatte Angst. Und ich habe geweint, weil es so sinnlos war. Wir riefen immer wieder: "Wir wollen nur abstimmen!" oder: "Wir sind friedliche Menschen!"
Das Streben nach einem unabhängigen Katalonien reicht weit zurück. Warum sind die Fronten jetzt so verhärtet?
Weil die Regierung in Madrid darauf besteht, dass wir nicht wählen dürften. Sie behaupten, dass es unsere Verfassung angeblich nicht zulässt, dass wir wählen. Und sie setzen auf die Polizei - und nicht auf Verhandlungen. Dabei ist das eine politische Frage! Wir werden wie Verbrecher behandelt. Das ist es, glaube ich, was die Menschen so wütend macht. Wir werden wie Verbrecher behandelt, auch in dem Sinne, dass viele Leute tatsächlich angeklagt werden. Es wird wohl Tausende Gerichtsverfahren geben.
Was spricht aus Ihrer Sicht gegen einen Verbleib Kataloniens als Teil des spanischen Staates?
(Seufzt) Das ist sehr kompliziert. Die Menschen hier haben sehr viele verschiedene Ansichten dazu. Ich würde nicht sagen, dass in dieser Frage alle einer Meinung sind. Die Menschen, die heute auf die Straße gehen, sind Bürger, die denken, dass wir abstimmen dürfen sollten.
Es geht also vor allem um das Recht, ein Referendum abzuhalten?
Ja genau. Aber mit so viel Repression … Ich glaube, dass die Lücke zwischen Spanien und Katalonien auf diese Weise immer größer wird. Die Menschen sind jetzt sehr, sehr wütend.
Spanien - und damit auch die autonome Region Katalonien - ist Mitglied der Europäischen Union. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht Europa?
Wir brauchen auf jeden Fall einen Vermittler auf europäischer Ebene. Deutschland könnte sich im Europaparlament und in Brüssel dafür einsetzen, dass wir legal und ungehindert über unsere Zukunft abstimmen können. Eine freie Entscheidung brauchen wir so oder so. Denn das, was heute passiert ist, ist eher eine Machtdemonstration der Regierung in Madrid.
Wie geht es nach dem Tag der Abstimmung weiter?
Ich hoffe, dass sich die Regierung in Madrid zurücknimmt und uns doch noch in Ruhe abstimmen lässt. Ich hoffe, dass wir ein legales Referendum abhalten können. Das ist es, was ich mir wünsche.
Mit Eli Peracaula Pujadas sprach Simone Gobel
Quelle: ntv.de