Assange ist gebrochen Die USA haben das Exempel längst statuiert


Wann der Londoner High Court sein Urteil bekannt gibt, war im Vorfeld noch unklar.
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Es ist an der Zeit, dass die USA Julian Assange in Frieden lassen. Er hat für den Geheimnisverrat teuer bezahlt, die Vereinigten Staaten haben ihren Standpunkt sehr klargemacht: Ihre Kriegsverbrechen gehen niemanden etwas an.
Derzeit verhandelt der Londoner High Court, ob Wikileaks-Gründer Julian Assange weiter gerichtlich gegen seine Auslieferung in die USA vorgehen darf. Für eine solche Überstellung haben die USA lange gekämpft. Dabei könnte ihnen das einerlei sein. Assange ist ein gebrochener Mann, das Exempel ist längst statuiert: Es ist gefährlich, Geheimnisse der USA zu veröffentlichen. Alle haben das verstanden. Es gibt keinen Grund mehr, Assange weiter zu verfolgen.
Daran ändern auch all die Facetten der Geschichte nichts, über die nun wieder diskutiert wird: Ob das US-Spionagegesetz eine Verurteilung zulässt. Aus welchen Motiven Assange Wikileaks gründete. Dass er sich von den Russen hat einspannen lassen und damit Trump zum Wahlsieg verhalf. So schwer der Vorwurf auch wiegt: Nicht einmal, ob er in Schweden wirklich zwei Frauen sexualisierte Gewalt angetan hat, tut in dieser Frage etwas zur Sache. Assange wird von den USA Geheimnisverrat vorgeworfen. Dafür hat er teuer bezahlt, auch ohne Auslieferung. Die politische Botschaft, die die USA senden wollten, ist angekommen: Die Vereinigten Staaten dulden keinerlei Einmischung in ihre Kriegsverbrechen.
Assange hatte es gewagt, auf seiner Internetplattform geheime Dokumente in zuvor ungekanntem Ausmaß zu veröffentlichen. Lange schien es, als würde er damit durchkommen. Viele Menschen waren davon beeindruckt, begeistert; Assange war ein politischer Popstar, ein digitaler Rebell.
Verurteilung wäre fatales Signal
Mit der Zeit aber wurde klar, dass sich Assange verhoben hatte. Er hatte die Interessen von Organisationen empfindlich verletzt, denen Wikileaks nur Aufmerksamkeit entgegensetzen konnte. Aber Aufmerksamkeit ist nie von Dauer. Das US-Militär, FBI und CIA hatten Zeit. Sie konnten über Jahre hinweg dabei zusehen, wie Assange in der ecuadorianischen Botschaft verzweifelte. Irgendwann dachte man bei Assange nicht mehr an enthüllte Kriegsverbrechen, sondern an einen verwirrten Mann mit langem, weißem Bart oder an die Vergewaltigungsvorwürfe. Assange hat das Übrige dazu getan, er hat sich vor Putins Karren spannen lassen, immer wieder überwarf er sich mit Verbündeten.
Mittlerweile ist Assange für die meisten kein weißer Ritter mehr, eher ein Bettler vor dem Stadttor: Man hat Mitleid, will ihm aber lieber nicht zu nahekommen. Nur wenige werden ihm das wünschen, was er durchmacht. Kaum jemand will, dass Assange sich in einem US-Sicherheitstrakt das Leben nimmt. Das hielt eine britische Richterin 2021 für so wahrscheinlich, dass sie die Auslieferung verbot.
Assange hat längst gebüßt. Für seinen Verrat, sagen die einen. Für seinen Mut, sagen die anderen. Es spielt keine Rolle. Eine Auslieferung und ein Prozess in den USA mit einem drastischen Urteil würde die Bestrafung missliebiger Journalisten zur Staatsdoktrin machen. Aus lähmender Verunsicherung würde vernichtende Sicherheit.
Die USA sollten sich zufriedengeben. Sie haben deutlich genug gemacht, wie ungern sie ihre Staatsgeheimnisse veröffentlicht sehen. Präsident Joe Biden könnte das US-Justizministerium auffordern, die Anklage gegen Assange zu überprüfen. Mit einem neuen Leitfaden stärkte das Ministerium erst letzte Woche die Rechtssicherheit von Journalistinnen und Journalisten. Die Verschonung Assanges wäre das wesentlich handfestere, wertvollere Signal in Richtung Presse. Eines, das bitter nötig ist. Besonders, falls Donald Trump nächstes Jahr wiedergewählt werden sollte.
Quelle: ntv.de