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Das "Duell" Mehr Realität, bitte!

Die Erwartungen waren nicht groß. Trotzdem enttäuschte das TV-Duell zwischen Merkel und Schulz. Viele Deutsche dürften sich verhöhnt vorkommen, wie ihre Probleme einfach ausgeblendet wurden.

Was bleibt von diesem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz am Sonntagabend? Der Schlagabtausch war eine Chance: für die Kanzlerin, ihren Herausforderer und die Politik insgesamt. 16 Millionen Zuschauer verfolgten das Duell. Viele dürften um kurz vor 22 Uhr erleichtert, aber auch enttäuscht gewesen sein, als es vorbei war.

Der Wahlkampf plätschert bisher recht ereignisarm vor sich hin. Nach den Erfahrungen von 2005, 2009 und 2013 waren die Erwartungen an dieses Duell nicht besonders hoch. Dennoch dürften sich nicht wenige Zuschauer fast verhöhnt gefühlt haben. Mieten, Pflege, Bildung, soziale Ungleichheit, Kriminalität - war da was? Die Probleme, Ängste und Sorgen, die viele Menschen bewegen, fanden schlicht nicht statt. Als gäbe es sie gar nicht.

Die Flüchtlingspolitik von 2015, das Verhältnis zur Türkei, die Wahrnehmung von Donald Trump - diese Themen deckten zwei Drittel der Sendezeit ab. Sicherlich treffen sie auch das Interesse, im Lebensalltag hierzulande sind jedoch andere, vor allem innenpolitische Fragen weit relevanter und existenzieller. Was macht die Politik gegen die hohen Wohnkosten und wachsende soziale Ungleichheit? Wie sieht die Zukunft meiner Arbeit aus? Wie pflege ich Angehörige und kann gleichzeitig genug arbeiten, um meinen Lebenserhalt zu bestreiten? Wie fördert Politik die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Fehlanzeige. "Hallo, geht's noch? In was für einer Welt lebt ihr eigentlich?"- diese Reflexe muss das Duell bei manchem Zuschauer ausgelöst haben. Viel bla bla, wenig Ertrag. Leider.

Das Duell bot kein repräsentatives Abbild des Lebensalltags vieler Deutschen. Die Verantwortung tragen die Moderatoren und Sender. Der Ablauf war chaotisch, das Format zu starr. Merkel und Schulz haben daran nicht nur einen Anteil, sie haben am Ende auch den größeren Schaden. Denn das TV-Duell war eine vertane Chance. Nur einmal in vier Jahren erreicht die Politik auf einen Schlag ein so großes Publikum. Eine seltene Gelegenheit, Politikverdruss abzubauen und Vertrauen zurückzugewinnen. Zeigen, dass "die in Berlin" eigentlich gar nicht so übel sind. Dass sie nicht in einer Parallelwelt leben, sondern einfühlsam sind. Das ist den Spitzenkandidaten der beiden großen deutschen Parteien zu wenig gelungen. Denn was kam schon Zählbares heraus? Die Kanzlerin erteilte einer Verlängerung des Renteneintrittsalters auf 70 eine Absage, na immerhin. Aber sonst: eine Menge Floskeln, wenig Neues, wenig klare Botschaften, viele offene Fragen. Und hinterher die üblichen verstörenden Reflexe: Beide Lager erklären sich zum klaren Sieger. Berauschende Selbstzufriedenheit.

2021 wird alles besser - hoffentlich

Über die hohe Zahl der unentschlossenen Wähler liest man zurzeit viel. Die SPD macht sich damit Mut, die Unentschiedenen dienen ihr als Kronzeugen. Als könne man damit beweisen, dass drei Wochen vor der Wahl noch längst nichts entschieden ist. Fast die Hälfte der Wähler hat sich einer Allensbach-Umfrage zufolge noch nicht endgültig festgelegt. Nur: Das Duell hat die Zahl möglicherweise nicht verringert, sondern vergrößert. Laut Wahl-Navi sahen 30 Prozent der Zuschauer keinen Sieger, bei den unentschiedenen Wählern sind es sogar 62 Prozent.

Freuen können sich auch deshalb nun erst einmal die, die am Sonntag nicht dabei waren: die kleinen Parteien. Das Geplänkel der Großen erweckt zumindest den Anschein, dass wenigstens sie echte Alternativen bieten und die wichtigen Themen besetzen. Politiker von Grünen, FDP, Linke und AfD fielen noch am Sonntagabend genüsslich über das Duell her. Die Botschaft: Wenn ihr uns nicht einladet, dürft ihr euch nicht wundern, dass es langweilig wird. Der Wunsch nach einer neuen Großen Koalition könnte nach dem Duell jedenfalls weiter sinken. Das bringt zusätzliche Brisanz in das spannende Rennen um die drittstärkste Kraft.

Und das TV-Duell? Vielleicht stehen 2021 ja endlich alle sechs relevanten Parteien am Tisch, so wie das in anderen Ländern längst normal ist. Es würde den Druck auf die Spitzenkandidaten von Union und SPD erhöhen und der Sache guttun. Vielleicht sprechen wir dann auch mal über die wirklichen Probleme.

Quelle: ntv.de

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