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Die Logik des Nationalismus Putin führt Russland ins Aus

Uniformen aus dem Laden an der Ecke: Wladimir Putin.

Uniformen aus dem Laden an der Ecke: Wladimir Putin.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Russlands Präsident schickt seine Armee in fremde Staaten und leugnet dann auch noch die Präsenz seiner Truppen dort. Dahinter steckt dieselbe Logik, die vor 100 Jahren in den Ersten Weltkrieg geführt hat.

"Da wird Putin aber zittern", höhnt so mancher Kommentator auf den sozialen Netzwerken über die Konsequenzen, die Europa und die USA dem russischen Präsidenten derzeit androhen. Und wirklich klingt die Aussetzung der bilateralen Gespräche über Visafragen durch die EU nicht nach einer machtvollen Demonstration von Stärke. Selbst der von den USA ins Gespräch gebrachte Rauswurf aus den G8 scheint Wladimir Putin nicht zu beeindrucken.

Doch was ist die Alternative? Sollen die USA, die Europäische Union und die Nato Russland den Krieg erklären? Die ukrainische Politikerin Julia Timoschenko scheint so etwas tatsächlich zu erwarten. Wenn "die Instrumente der Diplomatie nicht funktionieren, wenn alle Verhandlungen mit Herrn Putin scheitern, muss die Welt zu anderen Mitteln greifen", sagte sie bei CNN.

Timoschenko hat sich mit diesem Spruch aus der Gemeinschaft der ernstzunehmenden europäischen Politiker verabschiedet. Zugleich muss man allerdings sagen, dass sie Putin in seiner eigenen Logik geantwortet hat. Denn in erster Linie ist Putin nicht Sowjet-Nostalgiker, sondern ein lupenreiner Nationalist.

Das heißt nicht, dass er immer Unrecht hat. Genüsslich erinnerte Putin bei seiner Pressekonferenz am Dienstag an militärische Interventionen des Westens, bei denen die USA oder die Nato für sich in Anspruch genommen haben, aus rein humanitären Gründen einzugreifen. Putin hat diese Interventionen immer scharf abgelehnt - in Syrien, in Libyen oder im Kosovo. Nun schiebt er dieselbe Begründung vor. Einen Widerspruch sieht er darin offenbar nicht.

Aber ohnehin schien Putins Pressekonferenz nicht in seiner Residenz bei Moskau stattzufinden, sondern "in einer anderen Welt" - mit dieser Redewendung soll Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama ihren Eindruck von Putin beschrieben haben. Putin habe den Bezug zur Realität verloren, sagte sie laut "New York Times". Dass russische Truppen auf der Krim faktisch die Kontrolle übernommen haben, wird von Putin schlichtweg geleugnet. In seiner Welt handelt es sich bei den schwer bewaffneten Soldaten um "einheimische Selbstverteidigungskräfte", die ihre Uniformen aus örtlichen Militaria-Läden bezogen haben.

Putins Nationalismus ist aus der Not geboren

Trotz seiner teils höchst seltsamen Ausführungen ist Putins Verweis auf die schmutzige Weste des Westens nicht von der Hand zu weisen. Unter dem Vorwand von Freiheit und Demokratie haben die USA im Kalten Krieg und danach im Krieg gegen den Terror die territoriale Integrität zahlreicher Staaten missachtet. Für Russland ist das aus nachvollziehbaren Gründen schwer zu verstehen, aber es gibt einen Unterschied zwischen den Rollen, die Amerika als Weltpolizist und Russland als Ex-Supermacht spielt. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen. Erstens: Wer friedlich in Washington gegen amerikanische Kriege protestiert, muss nicht fürchten, von Sicherheitskräften fortgeschleift zu werden und in Haft oder Hausarrest zu verschwinden. Zweitens: Es hat einen Grund, dass die einstigen Sowjetrepubliken im Baltikum und die früheren Satellitenstaaten der UdSSR in Osteuropa so rasch wie möglich in die Nato wollten. Die Attraktivität des russischen Modells hält sich ganz offensichtlich in engen Grenzen.

Was Putins Weltbild von dem der westlichen Staaten unterscheidet, ist sein radikaler Nationalismus. Beim Nationalismus geht es nicht darum, das eigene Land zu glorifizieren. Es geht darum, andere Länder als Feinde zu identifizieren. Je schwächer das Selbstbewusstsein eines Landes, umso mehr Feinde braucht es. Möglicherweise entspringt Putins Nationalismus keiner Überzeugung, sondern ist aus der Not geboren. Nach den überraschend heftigen Protesten gegen die Fälschung der Parlamentswahl im Dezember 2011 hat Putin seine antiwestliche Propaganda deutlich verschärft. Seine Wiederwahl ins Präsidentenamt 2012 feierte er als Sieg über die Einflussnahme ausländischer Mächte.

Die Spaltung Europas ist real

Im Moment verbreiten Politik und Medien in Russland, dass man Russen und Russischsprechende in der Ukraine vor "entfesselten Neonazis" schützen müsse. In seiner Pressekonferenz betonte Putin, die Ukrainer seien nicht Nachbarn, sondern "Brüder". In dieser Logik ist es gar nicht möglich, dass die russischen Soldaten in der Ukraine als Aggressor auftreten. Putins Propaganda malt Russland als Bollwerk gegen den verkommenen Westen, der die Welt beherrschen will und Schwule heiraten lässt. Die Europäische Union und die USA sollten sich keinen Illusionen hingeben: Putin kann weder durch Annäherung noch durch Verflechtung zu einem "Wandel" bewogen werden. Die Spaltung Europas, die Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier aufziehen sieht, ist längst Wirklichkeit.

Was heißt das für die europäische Diplomatie? Die EU deckt 35 Prozent ihres Ölbedarfs und 30 Prozent ihres Gasverbrauchs mit russischen Lieferungen und hat ein entsprechend großes Interesse an guten Beziehungen zu Putins Reich. Aber nicht um jeden Preis. Dabei geht es gar nicht um Sanktionen oder die von US-Präsident Obama angestrebte Isolierung Russlands. Es reicht schon, wenn die EU-Staaten die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland sich selbst überlassen. Ein Land, dessen Regierung internationales und nationales Recht missachtet, ist kein attraktiver Standort für ausländische Unternehmen. Das weiß auch Putin: "Geld liebt Stille und Stabilität", sagte er den russischen Journalisten, die er zu seiner Pressekonferenz hatte einladen lassen.

Der Nationalismus des 19. Jahrhunderts führte in den Ersten Weltkrieg. Ein solcher Krieg ist heute so gut wie ausgeschlossen: Putin kann sicher sein, dass der Westen einen Krieg um jeden Preis vermeiden will. Das ist auch richtig so. Nein, Putin wird nicht zittern, wenn die ausländischen Investitionen in Russland zurückgehen. Aber vielleicht wacht er irgendwann auf. Er ist auf dem besten Wege, sein Land zu isolieren. Selbst China geht vorsichtig auf Distanz zu Moskau. Mag sein, dass Russland sich am Ende dieser Krise die Krim einverleiben und Putin mit nacktem Oberkörper über die Halbinsel reiten wird. Sicher wird er sich dann als Gewinner fühlen. Wahrscheinlich wird Russland erst später merken, dass es in Wahrheit verloren hat.

Quelle: ntv.de

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