
Den Unterschied zwischen "Obergrenze" und "Begrenzung" hält Seehofer für eine Spitzfindigkeit.
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Angela Merkel braucht gar keine Rache zu nehmen für die Demütigung, die Horst Seehofer ihr zugefügt hat. Der Gegner ist flüchtig.
Schnurrendes Kätzchen oder brüllender Löwe? Horst Seehofer hat beide Rollen schon gespielt in den vergangenen Wochen. Mal trieb er die Kanzlerin mit der Forderung nach Asyl-Obergrenzen vor sich her, dann ließ er die Forderung beim Koalitionsgipfel klaglos fallen, um sie nur wenig später auf dem CSU-Parteitag wieder aufzunehmen. Merkel hatte den Mut und die Standfestigkeit, auf diesem Parteitag zu erklären, warum sie den CSU-Beschluss für falsch hält. Seehofer würdigte das nicht. Er stellte sich neben seinen Gast und drohte ihr indirekt mit dem Bruch der Fraktionsgemeinschaft, sollte sie keine Obergrenze einführen. Politiker von SPD und Grünen sahen sich genötigt, Merkel beizuspringen.
Wegen dieser Ausgangslage waren viele gespannt, wie Merkel und die CDU-Delegierten Seehofer bei ihrem Parteitag in Karlsruhe empfangen würden und wie Seehofer auftreten würde. Die CDU zeigte sich höflich: Sie begrüßte den CSU-Vorsitzenden mit etwas Applaus und freute sich über die Scherze, mit denen er seine Rede auflockerte. Merkel begrüßte Seehofer persönlich, ging aber nicht ans Rednerpult, sondern blieb auf ihrem Platz und lächelte.
Und Seehofer? Der nahm sich viel Zeit für eine Rede, in der er auf die Unterschiede in den Positionen von CDU und CSU kaum einging. Als bayerischer Ministerpräsident hat er viel zu sagen über gelungene Integration und konsequente Abschiebungen - jene Themen, bei denen er mit der CDU einer Meinung ist. Das Wort der "Obergrenze" kam in seiner Rede dagegen kaum vor. Und mehr noch: Er behauptete, dass der Unterschied zwischen der CSU-geforderten "Obergrenze" und der CDU-geforderten "Begrenzung" eine Spitzfindigkeit für Sprachwissenschaftler sei.
Seehofer scheut den fairen Streit
Damit irrt Seehofer. Begrenzen lassen sich Flüchtlingsbewegungen auch durch Schutz der EU-Außengrenzen und Bekämpfung von Fluchtursachen. Eine Obergrenze würde bedeuten, dass nach Erreichen dieser Obergrenze die Landesgrenze geschlossen und überwacht werden müsste. Es wäre ein tiefer Einschnitt in das Grundrecht auf Asyl.
Sicher, dieser Einschnitt ist schon im Grundgesetz vorgesehen, wo es seit 1993 heißt, dass sich nicht auf das Asylrecht berufen kann, wer über einen sicheren Drittstaat einreist. Aber Merkel hat ihre Gründe, dieses Gesetz derzeit nicht durchzusetzen. Sie fürchtet einen Zusammenbruch des Schengen-Raumes, Spannungen in den teilweise verfeindeten Balkanstaaten und ein Ausweichen der Flüchtlinge auf lebensgefährliche Routen. Zum Beispiel denkt sie an die 71 Menschen, die tot in einem Kühllaster in Österreich gefunden wurden.
Die Frage von Begrenzung und Obergrenze wäre wichtig genug, darüber vernünftig und fair zu streiten. Doch Seehofer traut sich nur auf heimischem Gebiet, der Kanzlerin seine Meinung offen zu sagen. Den CDU-Delegierten entsprechend gegenüberzutreten, traut er sich nicht. Das ist weder mutig wie ein Löwe, noch zahm wie ein Kätzchen. Es ist feige wie ein Hase, der davonläuft, wenn er auf seinen Gegner trifft.
Quelle: ntv.de