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Die USA sind kastriert Wer ist hier die lahme Ente?

Viele Auftritte im Kongresswahlkampf hatte Obama nicht. Die meisten Kandidaten scheuten sich, den Präsidenten einzuladen.

Viele Auftritte im Kongresswahlkampf hatte Obama nicht. Die meisten Kandidaten scheuten sich, den Präsidenten einzuladen.

(Foto: AP)

US-Präsident Obama und die Radikalkonservativen der "Tea Party" haben eines gemeinsam: Sie halten die Politik in Washington für kaputt. Recht haben sie. Darauf muss Europa eine Antwort finden.

Aus europäischer Sicht wirkt das Ergebnis der Kongresswahlen in den USA skurril. Die Arbeitslosigkeit im Land liegt bei knapp sechs Prozent, also auf dem Niveau vor der Lehman-Pleite 2008. Auch das Haushaltsdefizit ist auf den niedrigsten Wert seit sechs Jahren gesunken. Die Konjunktur legt zu. US-Präsident Barack Obama kann sich auf die Schulter klopfen.

Dennoch ist es nicht Dank, was die Amerikaner verspüren, wenn sie an ihren Präsidenten denken. Nur 42 Prozent finden, dass Obama gute Arbeit leiste. Für Iowa wird demnächst eine Republikanerin im US-Senat sitzen, deren zentrales Element im Wahlkampf ein Kastrationswitz war. "Ich bin Joni Ernst", sagt sie in ihrem Werbespot, "ich wuchs auf einer Farm in Iowa auf und habe schon als Kind Schweine kastriert." Jetzt wolle sie Washington zum "quieken" bringen.

Solche Botschaften kommen an. Nachwahlbefragungen zeigen, dass die Wähler nicht nur vom Präsidenten eine überaus schlechte Meinung haben. 59 Prozent sind unzufrieden mit der Regierung, 61 Prozent sind unzufrieden mit der republikanischen Führung im Kongress. Jeder zweite Wähler glaubt, dass das Leben für die nächste Generation in den USA schlechter sein wird - der höchste Wert seit Jahren.

Ewiger Streit

Erfolgreiche Wahlkämpfer wie Joni Ernst hämmern es dem Publikum immer wieder ein: "Washington" ist ein kaputtes System, das dringend repariert werden muss. Nach der Wahl rufen die Sieger dann ebenso regelmäßig zur parteiübergreifenden Kooperation auf: "Ich glaube, wir haben die Verpflichtung, bei Themen zusammenzuarbeiten, bei denen wir uns einigen können", sagt jetzt ausgerechnet Mitch McConnell, der sich als Fraktionschef der Republikaner im Senat bislang alle Mühe gegeben hat, jede Initiative des Präsidenten zu blockieren. "Nur weil wir ein Zwei-Parteien-System haben, heißt das nicht, dass wir in ewigem Streit sein müssen."

Doch genau danach sieht es aus. Für die Radikalkonservativen bei den Republikanern geht McConnell nicht einmal weit genug; sie halten ihn für einen Angehörigen des Washingtoner Establishments, das ausgemistet werden muss - oder eben kastriert. Die fundamentalistischen "Tea Party"-Republikaner haben das auf Ausgleich bedachte politische System der USA in eine Sackgasse geführt.

Aus europäischer Sicht ist das ein echtes Problem. Ohne die USA lässt sich keine der globalen Krisen eindämmen - weder die Konflikte um den militanten Islamismus noch die Ebola-Katastrophe, weder der neue Kalte Krieg mit Russland noch die Erderwärmung oder die noch immer nicht überwundene Finanzkrise. Während Washington streitet, werden die USA ihrem Führungsanspruch immer schlechter gerecht. Kein Wunder, dass Obama immer weniger Spaß am Regieren hat. Berater des Präsidenten sagten dem Online-Magazin Politico, Obamas Abneigung gegen Washington habe sich in ein Gefühl düsterer Resignation verwandelt, in einem kaputten System gefangen zu sein, das er nicht habe ändern können.

Für Obama wird das Regieren in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig sein. Die "lahme Ente", von der in den USA jetzt so viel gesprochen wird, ist allerdings nicht Obama. Die lahme Ente, das sind die USA. Europa sollte sich darauf einstellen.

Quelle: ntv.de

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