Person der Woche Der Mittelmeer-Sheriff hat einen Plan
21.04.2015, 13:11 Uhr
Der italienische Innenminister Angelino Alfano wird im Flüchtlingsdrama zur europäischen Schlüsselfigur. Er hält humanitäre Hilfe nicht für ausreichend - und fordert ein massives europäisches Eingreifen in Libyen.
Angelino Alfano ist so etwas wie der Otto Schily Italiens. Ein knarziger Innenminister und brillanter Jurist mit zuweilen streitbaren Ansichten. Alfano ist als Innenminister Italiens zum politischen Hauptakteur im Flüchtlingsdrama geworden. Seine Sicherheitskräfte stehen Tag und Nacht im Wasser des Mittelmeers an einer Grenze Europas, die verschwimmt und zusehends tödlich wird. Von allen europäischen Politikern kennt er die Problemlage am genauesten. Ob Finne oder Portugiese, bei ihm holen sich die anderen Innenminister Europas Rat. Kurzum: Alfano ist Europas Mittelmeer-Sheriff.
In dieser Rolle sagt der Sizilianer manchmal Dinge, die andere zunächst irritieren, später aber überzeugen. Alfano belässt es in seiner politischen Rhetorik nicht bei Mitleidsbekundungen für die Opfer der humanitären Katastrophe und versteigt sich auch nicht in die billige Pose des Menschenretters - obwohl Italiens Sicherheitskräfte jede Woche Tausende aus Lebensgefahr bergen. Er geht den Ursachen des Flüchtlingsdramas nach und wird in Libyen fündig. Seine Forderung: Europa müsse dringend in Libyen intervenieren, sonst werde das Flüchtlingsproblem immer größer. Libyen müsse bei der Lösung des Flüchtlingsdramas sogar absolute Priorität haben.
"Bis gestern haben wir 976 Schlepper festgenommen, heute Nacht sind 24 dazu gekommen. Was Italien machen kann, macht es", sagt Alfaro vor dem EU-Gipfel: "Nun braucht Europa aber eine schnelle, resolute und energische Aktion." Alfano schlägt vor, mit einem Mandat von Vereinten Nationen sowie EU und gemeinsam mit Spezialkräften verschiedener Staaten eine "internationale Polizeioperation" an der libyschen Küste und "auf den Stränden" gegen die Schlepper zu unternehmen.
Alfano geht es nicht nur um einen Schlag gegen die kriminellen Menschenschmuggler. Er hält das Libyen-Thema auch aus strategischen Gründen für eine akute Bedrohung Europas: "Wenn die Miliz des Kalifats schneller handelt, als die internationale Gemeinschaft entscheidet, wie können wir dann das Feuer in Libyen löschen und die Migrationsströme eindämmen? Wir laufen Gefahr, einer noch nie da gewesenen Massenflucht ausgesetzt zu sein", warnt der besorgte Minister.
Alfano sieht es als eine strategische Aufgabe Europas an, Libyen wieder zu stabilisieren und zu einem Partner in der Flüchtlingspolitik zu machen. Er greift damit eine alte Initiative Otto Schilys auf, der bereits vor Jahren Auffanglager für Flüchtlinge in Nordafrika vorgeschlagen hatte. Davon ist man in Anbetracht der Lage Libyens derzeit freilich weit entfernt.
"Eine See des Chaos"
Libyens Diktator Muammar Gaddafi hatte vor seinem Sturz die jetzige Entwicklung drohend vorausgesagt. In seinen letzten Interviews warnte Gaddafi: "Wenn anstelle einer stabilen Regierung, die Sicherheit garantiert, die mit Bin Laden vernetzten Milizen die Kontrolle übernehmen, dann werden die Afrikaner in Massen nach Europa strömen. Das Mittelmeer wird zur einer See des Chaos werden!"
Tatsächlich gerät Europa mit seiner Flüchtlingspolitik in ein Dilemma. Zwar will die EU nun mit einer verdoppelten Hilfsflotte retten, wer zu retten ist. Das Fatale dabei: Das dürfte noch mehr Menschen aufs Meer treiben und die Geschäfte der Schlepper weiter befeuern. Denn nun werden sie noch unsichere Boote für ihr zwielichtiges Geschäft nutzen.
In Libyen haben mittlerweile islamistische Milizen das Bürgerkriegschaos dazu genutzt, eine regelrechte Flüchtlingsindustrie aufzubauen. Sie profitieren vom systematischen Menschenschmuggel. Damit erreichen sie zwei politische Ziele mit einem Schlag. Sie verdienen daran gewaltige Beträge und refinanzieren so ihre Waffen und Terroraktionen. Zum anderen bringen sie den großen Glaubensfeind Europa in Probleme.
Italienische Sicherheitskreise warnen seit Monaten davor, dass islamistische Terrorgruppen die Flüchtlinge gezielt als politische Waffen einsetzen werden. Nach Presseberichten werden alsbald eine halbe Million Menschen von libyschen IS-Gruppen in Booten aufs Meer getrieben - um den Kontinent zu "überfluten". Obendrein sollen sich unter den Flüchtlingen auch Terroristen verstecken. Genug Argumente für Alfano, dass Europa endlich einen Libyen-Aktionsplan braucht.
Alfano startet seine Initiative, obwohl die Vorstellung einer Intervention in der ehemaligen italienischen Kolonie Libyen politisch hoch inkorrekt ist. Doch da geht es ihm wie weiland Otto Schily. Alfano stört Kritik wenig, er hat eine Extraportion Selbstbewusstsein und den Mut zu autonomen Denken. Das musste selbst Silvio Berlusconi bitter erfahren, als sich sein politischer Ziehsohn vor anderthalb Jahren plötzlich von ihm abwandte und seine eigene Partei gründete. Alfano galt jahrelang als Berlusconis Kronprinz, er führte sogar dessen Partei. Die Gegner schmähten ihn lange als "Silvios rechte Hand", weil Alfano zunächst als cleverer Anwalt, später als politischer Strippenzieher und Minister Berlusconis ziemlich erfolgreich war. Hernach war er für Berlusconi nur noch "Brutus", ein übler Verräter, der ihn ausgerechnet im heikelsten Moment des Lebens im Stich ließ. Der despotische TV-Tycoon klagte öffentlich: "Ich bin Opfer eines Vatermords."
Doch Alfano emanzipierte sich tatsächlich, und hat es mit seiner neuen Mitte-Rechts-Partei nicht nur ins Parlament sondern auch in die neue Regierung geschafft. Gemäßigt, liberal und europäisch - so sollte seine Truppe auftreten, wie wiedergeborene Christdemokraten. Bei denen hatte der aus Agrigent stammende Alfano einst seine politische Karriere begonnen. Nach dem Jurastudium an der katholischen Universität Sacro Cuore in Mailand wurde Alfano Anwalt, Spezialfach Unternehmensrecht. 1994 schloss er sich der neugegründeten Berlusconi-Partei Forza Italia an, und saß von 1996 bis 2001 im sizilianischen Regionalparlament. Bei den Parlamentswahlen 2001 wurde er dann in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt. Mit knapp 37 Jahren rückte Alfano zum Justizminister auf. Dabei musste er Berlusconi permanent bei Rechtsdisputen zur Seite springen. Im Juli 2011 beschloss Berlusconi, Alfano den Chefposten seiner Partei zu überlassen. Der Justizminister trat daraufhin zurück, um sich ganz auf sein Parteiamt zu konzentrieren. Das Verhältnis der beiden kühlte ab, als Berlusconi öffentlich erklärte, Alfons tauge nicht zum Ministerpräsidenten. Ein letztes Mal verschaffte er ihm schließlich das Amt des Innenministers und Vizepremiers im Kabinett Letta. Doch beide Männer entzweiten sich, und Alfano putschte. Am 15. November 2013 gründete Alfano die Partei Nuovo Centrodestra, deren Vorsitz er übernahm. Seit einem Jahr ist er Innenminister bei Matteo Renzi. Und zwar einer, der es gewohnt ist, unkonventionelle Wege zu gehen. Selbst wenn diese Europa nach Libyen führen sollten.
Quelle: ntv.de