Merz, Klingbeil, Frei, Pistorius Deutschland bekommt eine Trümmermänner-Regierung
25.02.2025, 10:17 Uhr Artikel anhören
Friedrich Merz drückt aufs Tempo und startet sofort die Gespräche mit der SPD. Vier Männer prägen das neue Koalitions-Zentrum der Macht. Warum das Pragmatiker-Quartett bessere Erfolgschancen hat, als man denkt.
Deutschland hat Glück im Unglück. Die Bundestagswahl hat eine schwer verunsicherte Nation offenbart, die zu einem vollen Drittel extremistische (linke wie rechte) Parteien wählt. Im Wahlnacht-Krimi ist die Republik zudem haarscharf an einem Desaster vorbeigeschrammt: 13.435 fehlende Stimmen für russlandtreue Linkspopulisten haben das Land vor der Unregierbarkeit und österreichischen Verhältnissen bewahrt. Das Drama dieses Wahlgangs beendet gleich reihenweise politische Karrieren - von Robert Habeck bis Christian Lindner, von Olaf Scholz bis Rolf Mützenich.

Viele Fotos, die Friedrich Merz und Lars Klingbeil in so freundlichem Umgang zeigen, gibt es bislang nicht. Dieses entstand beim Bundespresseball 2022.
(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Pool)
Doch aus den Trümmern der Ampel scheint sich nun eine Allianz von Aufräumern zusammenzufinden, deren schwarz-rote Koalition bessere Erfolgschancen hat als viele befürchten. "Die neue Regierung tritt mit einem ernsten Selbstverständnis von Trümmerfrauen an", heißt es aus der CDU-Führung. Im Willy-Brandt-Haus macht das Wort von den "Trümmermännern" Boris Pistorius und Lars Klingbeil die Runde, die die SPD wieder aufbauen müssten. In Wahrheit trifft das Wort auf die ganze neue Bundesregierung zu.
Es findet sich im neuen Machtzentrum der schwarz-roten Trümmermänner eine bemerkenswert realpolitische Viererrunde zusammen. Das neue Quartett der Macht besteht aus CDU-Chef Friedrich Merz, dem amtierenden Verteidigungsminister Boris Pistorius, SPD-Chef Lars Klingbeil und Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei. Sie alle zeichnet aus, dass sie mittige Pragmatiker sind und professionell miteinander können.
"Mit der Pistorius-SPD kann das was werden"
Thorsten Frei wird unter Kanzler Merz wahrscheinlich Fraktionschef der Union, Lars Klingbeil sein Gegenüber in der SPD-Fraktion. Es ist hilfreich, dass beide Achsen der künftigen Machtordnung stabil sind. Merz hat mit Frei einen loyalen Ingenieur der Macht an seiner Seite. Und auch zwischen Klingbeil und Pistorius gibt es eine funktionierende "Niedersachsen-Connection".
Auch wenn der Koalitionspoker nun beginnt und rhetorisches Geklingel ansetzt, hinter den Kulissen verstehen sich Friedrich Merz und Boris Pistorius durchaus gut. Sie wirken in ihrer seriösen, fast knorrigen Ernsthaftigkeit schon beim Start wie ein erfahrenes Chirurgen-Duo, das die kranke Nation sachgerecht operieren wird. Sollten sie erfolgreich sein, kann eine Chefarzt-Aura sie tragen, vor allem da Scholz und Habeck rückblickend eher wie schamanische Heilpraktiker der Macht nachwirken.
"Mit der Pistorius-SPD kann das was werden", hört man jetzt aus dem Adenauer-Haus. Merz will die SPD - anders als Merkel - nicht erdrücken, sondern ihr Platz zur Profilierung geben. Beide Seiten wollen zudem Streit unbedingt vermeiden und den hohen Ton in jeder Beziehung dämpfen. Die Ampel-Jahre waren nicht bloß von zu viel Streit geprägt, habituell nervte ein Überschwang an Moral und Inszenierung, an falschem Pathos und Besserwisser-Ambition. Die neue Führungsriege wird darum das genaue Gegenteil wählen: Seriöser Pragmatismus ist angesagt.

Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, und Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Pistorius und Klingbeil müssen SPD auf Kurs der Merz-Mitte mitnehmen
Anders als bei der Ampel laufen die großen Sachlinien der Koalitionäre diesmal weniger scharf gegeneinander. Aus drei Gründen hat die Trümmermänner-Koalition bessere Chancen, eine entschiedene Antwort aus der Mitte der Republik auf die Schieflage der Nation zu geben:
Erstens sorgt das Wahlergebnis bei allen Beteiligten für bittere Einsichten in den Ernst der Lage. Die Verdopplung der AfD, der flächendeckende Triumph der Rechtspopulisten in Ostdeutschland, der sprunghafte Anstieg bei der Linkspartei, das schlechteste SPD-Ergebnis seit 1887 und das extreme Wahlverhalten der Jungwähler zeigen, dass Deutschlands politische Balance auf der Kippe steht. Bei den Trümmermännern herrscht daher ein klares Bewusstsein, dass man noch diese eine Legislatur habe, um Deutschlands innere Schieflage zu heilen, das Migrationsproblem endlich zu lösen.
Zweitens sorgt die außenpolitische Brisanz für massiven Druck zur Regierungseinheit. Die Aggression Russlands und die disruptive, neo-nationalistische Politik Donald Trumps zwingen Deutschland zu einer völligen Neuverortung seiner Sicherheit. Berlin wird nicht nur massiv aufrüsten müssen, sondern auch eine neue, europäische Sicherheitsarchitektur bauen müssen. Ein "Iron Dome" für Europa muss her - auch da sind sich SPD und CDU-Spitzen einig. Mit Klingbeil und Pistorius hat die SPD zwei explizite Bundeswehrexperten und Sicherheitspolitiker, die bei diesem Thema nahtlos in die CDU passen würden.
Drittens wissen beide Koalitionspartner, dass der Industriestandort Deutschland eine neue Agenda-Politik braucht. Die SPD hat weite Teile der Arbeiterschaft verloren und will sich ihrer Kernklientel wieder zuwenden durch eine industriefreundliche Wende. Die Union strebt ohnedies eine neue Agendapolitik an. Auch in dieser strategischen Frage liegen beide Seiten auf ähnlicher Linie. Klingbeil hat sogar intoniert, dass die SPD wieder "weniger Bürgergeldempfänger-Partei und mehr Anwalt der Mitte" werden müsse. Mit der Rolle einer größeren grünen Partei hat die SPD zigtausende von Arbeitern an die AfD vergrault, sogar den Herzkammerwahlkreis Gelsenkirchen an die Rechtsradikalen verloren.
Pistorius und Klingbeil müssen Geschick beweisen und ihre schwer verwundete Partei auf den Kurs der Merz-Mitte mitnehmen. Doch es herrscht in der SPD seit Sonntag das hilfreiche Bewusstsein, es gehe fortan ums nackte Überleben. Die Trümmermänner der Partei werden nur erfolgreich sein können, wenn sie auch als Trümmermänner der Nation Erfolge erzielen.
Quelle: ntv.de