Nach Brandanschlag in Tröglitz "Anlass für ein Umdenken"
06.04.2015, 22:03 Uhr
(Foto: imago stock&people)
Das Entsetzen ist landesweit groß nach dem Brandanschlag auf ein noch nicht bewohntes Asylbewerberheim in Tröglitz. Welche Konsequenzen sollen nun aus dieser ausländerfeindlichen Attacke und bedrohlichen Situation gezogen werden?
Das Entsetzen ist landesweit groß nach dem Brandanschlag auf ein noch nicht bewohntes Asylbewerberheim in Tröglitz. Nachdem bereits im Vorfeld des Anschlags der Bürgermeister wegen Bedrohungen zurücktritt, muss nun dem Landrat Polizeischutz gewährt werden. Welche Konsequenzen sollen nun aus dieser ausländerfeindlichen Attacke und bedrohlichen Situation gezogen werden? Die Presse präsentiert zahlreiche Forderungen.
"Es mangelt der Republik nicht an Kampagnen gegen Rassismus und Rechtsextremismus. Was fehlt, ist ein systematisches, langfristig angelegtes Engagement von Staat und Zivilgesellschaft", bemerkt der Tagesspiegel. "Die Tragödie von Tröglitz als aktuelles Symptom einer Dauerkrise müsste Anlass sein, dass die Bundeskanzlerin die Bekämpfung des Rassismus zur Chefsache erklärt. Angela Merkel wäre mit ihrer Autorität und Popularität wie kaum jemand sonst in der Lage, gemeinsam mit den Regierungschefs der Länder eine Zäsur herbeizuführen."
Die Neue Presse sieht einen "Anlass für ein Umdenken" in der Europäischen Flüchtlingspolitik. "Was ist mit den normalen Bürgern, die hinter dem Begriff 'Flüchtling' keinen (beispielsweise) syrischen Jungen sehen, der außer seinem Leben alles verloren hat und - gebeutelt von traumatischen Erlebnissen - seine Heimat hinter sich lassen musste, sondern eine anwachsende Zahl von Kostenfaktoren, die das eigene Hab und Gut bedrohen. Das sind ja nicht alles Rechtsradikale, sondern Bürger, die womöglich auch wahrnehmen, wie sich die deutsche und vor allem europäische Flüchtlingspolitik ansonsten aufstellt. Ein Europa, das seine Grenzen abschottet und hinnimmt, dass das Mittelmeer jährlich zum Massengrab für Flüchtlinge wird, ist kein gutes Vorbild."
Eine grundsätzliche Extremisierung ist laut Die Welt das zu bekämpfende Problem. "Je weiter man vom Brandherd entfernt ist, desto lauter ertönt die wohlfeile Forderung nach einem NPD-Verbot. Aber das ist nichts als ein Ausweis von Hilfslosigkeit angesichts einer Gemengelage, die sich dem schlichten Rechts-links-Schema entzieht. Es ist ein Grundextremismus, gemischt mit Demokratieferne und Antiparlamentarismus, der dort - ebenso wie in Dresden und Leipzig - allzeit entzündbar scheint. Und diese Art Extremismus ist mal rot, mal braun, mal farblos."
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zieht Parallelen zur Vergangenheit und sieht die Politik im Zugzwang. "Mit den gutgemeinten, aber abgedroschenen Formeln, die jetzt wieder zu hören sind, wird der Fluch der Anschläge auf Asylbewerberheime nicht gebannt werden. Jedem, der Verantwortung trägt ... sollte bewusst sein, worum es dabei geht, nämlich um die Gefahr, dass sich Verbrechen wiederholen, die vor zwanzig Jahren ... wie ein Flächenbrand um sich griffen. Nicht Beschwörungsformeln änderten daran etwas, sondern Gesetzgebung und Verwaltung. ... Wenn sich ... Politiker schon zu fein waren, mit Pegida zu diskutieren, sollten sie das Gespräch mit den Bürgern doch nicht scheuen."
Die ganze Gesellschaft sieht hingegen die Süddeutsche Zeitung in der Pflicht. "Der Anschlag gemahnt an die Ausschreitungen vor bald 25 Jahren. Damals konnten die Agitatoren gegen Ausländer und Flüchtlinge noch glauben, sie verträten eine schweigende Mehrheit, die ohne Einwanderer und ohne Flüchtlinge leben möchte. Wer heute nicht blind oder blöd ist, weiß, dass das nicht geht. Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert: Der Migrationshintergrund eines stattlichen Teils der Bevölkerung zeigt sich nicht mehr nur im Hintergrund. Das ist gut so; und das wird dem Land guttun, weil nur so Integration funktionieren kann."
Die Thüringische Landeszeitung warnt, dass Intoleranz gegenüber Ausländern hoffähig zu werden droht. "Bei den politischen Entscheidungsträgern sollten nach Pegida und Co. endlich die Alarmglocken schrillen. Ihren klaren Worten müssen auch Taten folgen - und zwar jenseits eines Versuchs, die NPD zu verbieten. Vor allem dürfen sie Orte wie Tröglitz nicht allein im Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit lassen."
Ein anderer Ton klingt aus der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. "Vielmehr hätte sich das Land Sachsen-Anhalt fragen müssen, wie klug es ist, bis zu 50 Flüchtlinge in einer kleinen Arbeitersiedlung einzuquartieren, die von Strukturschwäche geprägt ist. Es ist ein Dilemma: Verzichtet man nun auf eine Unterbringung, würden sich die Rechtsextremen als Sieger fühlen. Aber die Sicherheit von Leib und Leben der oft traumatisierten Kriegsflüchtlinge wiegt schwerer und spricht für eine Neubewertung der Situation."
Zusammengestellt von Lara Dalbudak.
Quelle: ntv.de