Pressestimmen

Blindheit auf dem rechten Auge "Beim Oktoberfest-Attentat fing es an"

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Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Bombenanschlag auf das Münchner Oktoberfest wird der Fall neu untersucht. Grund für die Entscheidung sind Hinweise einer bislang unbekannten Zeugin auf mögliche Drahtzieher. Für die Kommentatoren der deutschen Presse sind die Ermittlungen ein längst überfällig Schritt - auch weil überlebende Opfer stets Vertuschung befürchteten.

Anschlag am 26. September 1980 war der größte in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Kurz nach 22.20 Uhr, als zahlreiche Besucher des Volksfestes auf dem Heimweg waren, explodierte in einem Papierkorb am Haupteingang eine Mörser-Granate mit 1,39 Kilogramm TNT. 13 Menschen, darunter drei Kinder, kamen ums Leben.

Anschlag am 26. September 1980 war der größte in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Kurz nach 22.20 Uhr, als zahlreiche Besucher des Volksfestes auf dem Heimweg waren, explodierte in einem Papierkorb am Haupteingang eine Mörser-Granate mit 1,39 Kilogramm TNT. 13 Menschen, darunter drei Kinder, kamen ums Leben.

(Foto: dpa)

Die Westdeutsche Zeitung fragt: "Kann es noch zu etwas führen, wenn nach 34 Jahren erneut ermittelt wird? Die Antwort auf diese Frage ist offen. Lohnen sich Ermittlungen dann überhaupt noch? Darauf muss die Antwort ein klares Ja sein. 13 Tote, 200 Verletzte - den Opfern und ihren Hinterbliebenen schuldet die Gesellschaft jede nur mögliche Aufklärung. Das ist nicht anders als im aktuellen NSU-Prozess. Auch da geht es um Hintermänner, auch da geht es um rechtsextreme Strukturen. Wenn es vor Jahrzehnten an der Bissigkeit der Strafverfolger gefehlt hat, heißt das nicht, dass man nicht jetzt noch zubeißen kann. In beiden Mordverfahren".

Für die Stuttgarter Zeitung steht fest: "Ohne den NSU-Schock hätte es wohl nie neue Ermittlungen in Sachen Oktoberfest gegeben. Es war überfällig und es ist gut, dass Generalbundesanwalt Range nun jedes Blatt noch einmal umdrehen lässt."

Die Heilbronner Stimme zieht ähnliche Rückschlüsse: "Zeugen, die nicht ernst genommen werden, vernichtete Beweismittel, eine fragwürdige Theorie über eine Tat, an der unbeirrt festgehalten wird. Das kommt einem bekannt vor. Es geht hier nicht um die Morde der Zwickauer Terrorzelle, sondern um den schwersten Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte: das Oktoberfestattentat. Aber die Parallelen sind offensichtlich. Hätte es bereits damals eine fundierte Aufklärung der Tat gegeben, wären den Ermittlern beim NSU-Terror womöglich nicht so schwerwiegende Fehler unterlaufen."

Die Frankfurter Rundschau erklärt, warum es so wichtig ist, mögliche rechtsextreme Hintergründe offenzulegen: "Wer sich die inzwischen 34-jährige Geschichte lückenhafter Aufklärung des rechtsextremen Münchner Oktoberfest-Attentates vor Augen führt, dem kann es Schauer der Beklemmung über den Rücken jagen. 34 Jahre sind das, in denen die 200 damals Verletzten und die Hinterbliebenen der Getöteten sich wohl ähnlich verlassen gefühlt haben, wie es bei den Angehörigen der NSU-Opfer der Fall ist. (…) Umso mehr kann man jetzt aufatmen über den neuen Anlauf der Bundesanwaltschaft, Licht in das Dunkel zu bringen. An Aufklärung führt kein Weg vorbei. Der unfassbare Hinweis von Bayerns Innenminister Herrmann, es gebe in seinem Amtsbereich noch ungeprüfte Akten zum Attentat, lässt da einige Enthüllungen erwarten. Ob sie ähnliche Schockwellen auslösen werden wie die NSU-Affäre, ist offen. Ausschließen kann das leider niemand - denn es ist die gleiche Republik, in der sich beides abgespielt hat."

Auch die Süddeutsche Zeitung erachtet die neuen Ermittlungen als überfällig: "Die Wahrscheinlichkeit, dass in ein paar Wochen der große Hintermann präsentiert wird, ist gering. Aber selbst wenn die Angaben der neuen Zeugin ins Nichts führen sollten, ist das neue Verfahren überfällig - um der überlebenden Opfer willen, die immer das Gefühl hatten, es sollte etwas vertuscht werden. Aber auch um des Selbstreinigungsprozesses willen, den die Sicherheitsbehörden in Deutschland bisher nur zaghaft angehen. Es reicht ja nicht, dass nach dem Auffliegen des NSU ein halbes Dutzend Verfassungsschutzchefs zurückgetreten sind. Es geht darum zu erkunden, was man alles nicht gesehen hat in jener Zeit, da der Staat nach rechts Scheuklappen trug. Beim Oktoberfest-Attentat fing es an".

Diesen Standpunkt vertritt auch die Badische Zeitung aus Freiburg: "Dass die Ermittlungen nun neu aufgerollt werden, bedeutet faktisch das Ende der These vom Einzeltäter Gundolf Köhler. Der (...) Bombenleger, der bei dem Anschlag selbst getötet worden ist, muss Mitwisser und/oder Mittäter gehabt haben - das hatten Hinterbliebene der Opfer und ihr Rechtsbeistand immer vermutet. Nun endlich gibt es eine Zeugin, die schon am Tag nach dem Anschlag Flugblätter entdeckte, auf denen ein Jubel-Nachruf auf Köhler zu lesen war - noch bevor die Polizei den Namen des Täters preisgab. Allein, was heißt hier endlich? Die Frau ging damals zur Polizei und wurde ignoriert. (…) Dringend aufzuklären gibt es deshalb nicht nur das Attentat selbst. Auch die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft gehört überprüft".

Zusammengestellt von Susanne Niedorf

Quelle: ntv.de

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