Ägyptischer Präsident in Berlin "Ehrungen für Al-Sisi sind eine Schande"
03.06.2015, 21:29 Uhr
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi wird in Berlin mit allen Ehren empfangen. Die Presse sieht die Bundesregierung in einem Widerspruch: Einerseits wisse sie um die Menschenrechtslage in Ägypten, andererseits würden Milliardendeals eingefädelt.
Ägypten sei für Deutschland einfach zu wichtig, als dass es wegen der Menschenrechtsdefizite links liegen gelassen werden könnte, konstatiert die "Volksstimme" aus Magdeburg. Im Kommentar der Zeitung heißt es: "Ägypten ist wichtig als Bollwerk gegen den Terrorismus, als Partner Israels und wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung - so begründete die deutsche Politik ehedem die gedeihlichen Beziehungen zum ägyptischen Ex-Diktator Husni Mubarak. Das kann als Blaupause für den jetzigen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi dienen."
Eine ähnliche Richtung schlägt die "Welt" ein und wird dabei noch deutlicher. "Vier Wesenszüge bestimmen die deutsche Nahostpolitik: Moralismus, Unkenntnis, Größenwahn und Kurzatmigkeit. Immerhin sind die vier Eigenarten legitimiert. Die Mehrheit der Bevölkerung teilt sie mit der Politik." Daraus leitet der Kommentator ab, dass "Deutschland in der Welt ziemlich einsam wäre, wenn es nur mit Demokraten verkehrte". Außerdem könnten "selbst Schurken für Sicherheit und Stabilität sorgen (...), und diese Stabilität (kommt) auch uns zugute (...). Was folgt daraus? Gäste wie der ägyptische Präsident sind wichtige Gesprächspartner. Schafft er es, sein Land von der Anarchie zu retten, nutzt es auch den Europäern."
Genau daran stört sich der "Trierische Volksfreund". Die Visite von Sisi bei Kanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck zeige vor allem eines: "Auch den Deutschen geht das Interesse an der eigenen Sicherheit und an Stabilität in der Region inzwischen vor Prinzipien. Moralischer Rigorismus ist in der Außenpolitik sicher fehl am Platze." Das Blatt stellt deshalb die Frage danach, wie man "auch solchen Leuten" gegenüber deutlich den Anspruch auf die universellen Menschenrechte und die Werte der Demokratie formulieren könne. - "So, wie die Vertreter der Bundesregierung es gestern in Berlin taten, war es jedenfalls zu leise."
Das "Straubinger Tagblatt" und die "Landshuter Zeitung" veröffentlichen einen Kommentar, der an ein gebrochenes Versprechen Ägyptens erinnert. "Abdel Fattah Al-Sisi wurde unter der Voraussetzung nach Berlin eingeladen, dass in Ägypten demokratische Parlamentswahlen stattfinden. Das ist bis heute nicht geschehen. Dass er jetzt trotzdem kommen darf, ist ein fatales Signal." Das Beste daraus machen könnte die Kanzlerin nur, wenn sie "jetzt die Gelegenheit wenigstens nutzt, um ihm ins Gewissen zu reden. Erfahrungsgemäß wird ihn das aber nicht beeindrucken."
Die taz aus Berlin schreibt, es sei grundsätzlich gut, "auch den Dialog mit Leuten zu führen, deren Politik man verabscheut. Sonst gäbe es noch mehr Kriege auf der Welt, heiße und kalte." Doch muss ein solcher Dialog mit roten Teppichen und militärischen Ehren einhergehen? Die taz verneint dies. "Den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, ist nicht dasselbe, wie jemanden zu hofieren. Die Ehrungen für den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi (...) sind eine Schande."
Die "Thüringische Landeszeitung" erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass es auch anders geht. Denn Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte sein Treffen mit Sisi ab. Das Blatt aus Weimar wertet das als wichtiges Zeichen. "Wie will der Repräsentant eines frei gewählten Parlaments mit einem Mann über Fragen der Demokratie sprechen, wenn dieser sein eigenes Parlament abgeschafft hat." Dennoch könne Deutschland nicht komplett auf Kontakt mit der ägyptischen Führung verzichten - wegen deren Rolle im Anti-Terror-Kampf.
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" schließlich schlägt den Bogen zu den wirtschaftlichen Interessen, die für Deutschland eine Rolle spielen. "In München freut sich (...)der Siemens-Konzern über den größten Einzelauftrag in seiner Geschichte, abgeschlossen am Rande des Besuchs von Al-Sisi. Einmal mehr erweist sich ein Milliardendeal als Türöffner für einen höchst umstrittenen Machthaber."
Quelle: ntv.de, nsc