Flüchtlingsdramen im Mittelmeer "In Wahrheit braucht es einen langen Atem"
20.04.2015, 20:42 Uhr
Das Flüchtlingssterben auf dem Mittelmeer nimmt kein Ende. Nach einer Woche, in der annähernd 1000 Menschen ihre Flucht nach Europa mit dem Leben bezahlten, fragt sich die Politik, was getan werden kann und muss. Bei einem Krisengipfel am Donnerstag wollen sich die Spitzen der EU zusammensetzen und beraten. Doch die Aufgabe vor der sie stehen scheint unlösbar. Die Presse präsentiert der Politik mögliche Antworten.
Die Berliner Zeitung sieht ein, dass es keine "einfachen Lösungen für die Flüchtlingsfrage" geben kann. Aus Angst vor rechten und linken Populisten würde die EU die humanitär Krise im Mittelmeer als ein "rein monetäres" dar. Was fehle sei "ein Paradigmenwechsel, hin zu einer humanen Flüchtlings- und Asylpolitik, die es erlaubt, legal einzureisen und einen humanitären Korridor einzurichten." Und selbst wenn sich Europa darauf nicht verständigen könne, müsse es zumindest dafür sorgen, dass eine neue Seenotrettungsmission in Leben gerufen wird.
Auch die Welt plädiert in erster Linie für die Wiedereinführung eines "flächendeckenden Seenotrettungsdienstes". Weitere Konsequenzen müssten jedoch folgen. "Das kann zum Beispiel in einem ersten Schritt heißen, in Nordafrika Auffanglager einzurichten, in denen Asylanträge für Europa gestellt werden können - gegebenenfalls militärisch gesichert", so das Blatt. Ein zweiter Schritt könne darin bestehen, "dass fortan die Passagiere von im Mittelmeer aufgebrachten Fluchtschiffen an diejenige Küste zurückgerettet werden, von der sie kommen." Das, so hofft die Welt, würde sich bei den Flüchtlingen herumsprechen und dazu führen, dass sich ihr Zulauf "in Richtung der Asylzentren auf afrikanischem Boden konzentrieren könnte".
Diese Forderung nach Auffanglagern in Nordafrika hinterfragt die Badische Zeitung aus Freiburg. "Aber wer garantierte für die Sicherheit solcher Lager? Und wer glaubt, dass die vielen Verzweifelten ohne Chance auf Asyl solche Lager tatsächlich aufsuchen würden?" Die Idee könnte sich ins Gegenteil verkehren und sogar dafür sorgen, dass "Schleuserbanden, die immer häufiger mit terroristischen Milizen vernetzt sind, noch verheerender wirken." Denkbar wären auch legale Zugangsmöglichkeiten nach Europa. Dieser Idee fehle es aber in Europa an Akzeptanz. Keine Lösung scheint angemessen. Daher könne eine verantwortliche Politik auch darin bestehen, "der Öffentlichkeit zu erklären, dass es für ein Problem keine wirklich gute Lösung gibt".
Um effektiv etwas gegen die Flüchtlingsströme auszurichten, sollten vor allem die Zustände in der Heimat der Fliehenden verbessert werden, appelliert der Kölner Stadt-Anzeiger. "Die wenigsten scheinen zu begreifen, wie verzweifelt die Zustände in vielen Staaten südlich der Sahara angesichts des Bevölkerungswachstums, des Ressourcenmangels und der extremen Gleichgültigkeit der afrikanischen Eliten gegenüber den eigenen Menschen inzwischen sind." Angesichts dessen wäre es kein Wunder, dass die Menschen ihr Erspartes nehmen und sich auf den gefährlichen Weg "ins vermeintlich gelobte Europa" machen. "Eine liberale Flüchtlingspolitik würde daran wenig ändern", resümiert das Blatt.
Für die "die Entwurzelung von weltweit 50 Millionen Menschen durch Gewalt und Elend", die die Stuttgarter Zeitung als "die größte Tragödie unserer Zeit" bezeichnet, gebe es keine Abhilfe. Manche Maßnahmen, "die sinnvoll und vordringlich erscheinen, bergen neue Risiken." Eine Ideale Lösung gebe es nicht. "Auch wer Gutes will, ist gegen tückische Nebeneffekte nicht gefeit. Es gehört zu den Lebenslügen der Flüchtlingspolitik, dies nicht offen einzugestehen."
Keiner der bisherigen Vorschläge zur Eindämmung der Flüchtlingswelle über das Mittelmeer scheint den Westfälischen Nachrichten aus Münster ausreichend. "Wohin mit all den Flüchtlingen? Und wie ist eine Stabilisierung der Lage vor Ort, zum Beispiel in Libyen, zu erreichen? Das Flüchtlingsdrama schreit nach schnellen Lösungen, aber in Wahrheit braucht es einen langen Atem." Sollte sich die EU auf ein Vorgehen einigen können, wäre dies nur "ein erster Schritt auf einem langen und mühseligen Weg".
Zusammengestellt von Katja Belousova
Quelle: ntv.de