Zerfall der AfD-Fraktion in Stuttgart "Meuthen wähnte sich als Löwenbändiger"
05.07.2016, 21:11 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Die baden-württembergische AfD-Fraktion zerbricht am Streit um Antisemitismusvorwürfe. Fraktionschef Jörg Meuthen verlässt mit weiteren 13 Parlamentariern die Fraktion. Die deutsche Presse erkennt darin einen politischen Bankrott und mehr als ein Krisenzeichen. Wer mit dem Feuer spielt, müsse sich zwangsläufig die Finger verbrennen. Die Kommentatoren sehen Jörg Meuthen als Löwenbändiger, den das gefräßige Ungeheuer namens Populismus verschlungen hat.
"In Stuttgart hat die Spannung innerhalb der AfD, die auch in Sachsen-Anhalt die Fraktion beschäftigt, zum ersten Mal zum Bruch geführt." Die Volkstimme aus Magdeburg sieht in der Partei auf der einen Seite politische Hasadeure, Rechtsausleger, Zündler oder schlichte Spinner auf der Suche nach politischer Heimat und auf der anderen Seite seriöse Konservative wie Jörg Meuthen. "Dem blieb angesichts des rufschädigenden Schwachsinns, den sein Fraktionskollege Wolfgang Gedeon abgesondert hatte, nichts anderes übrig, als die Entscheidung in der Fraktion zu suchen." Das Blatt erkennt: " Das 'bürgerliche' Lager war nicht groß genug, um sich des Zündlers zu entledigen." Ohne Segen des Bundesvorstands werde sich nun der dunklere Teil der AfD-Fraktion verselbstständigen, befürchten die Kommentaroren. "Ein unhaltbarer Zustand für die AfD-Führung, die Meuthen mit großer Mehrheit den Rücken gestärkt hat." Damit werde ein weiterer Riss sichtbar. "Die Bundesvorsitzende Frauke Petry und ihr prominenter Unterstützer Albrecht Glaser waren dabei nicht beteiligt."
Die Neue Osnabrücker Zeitung sieht keine vier Monate nach ihrem Triumph die baden-württembergische AfD vor dem politischen Bankrott. "Im März war die Fraktion als drittstärkste Kraft vor der SPD mit 23 Abgeordneten in den Stuttgarter Landtag eingezogen. Nun ist die heillos zerstrittene Truppe offiziell gespalten", urteilen die Kommentatoren des Blattes. "Das schnelle Scheitern von Fraktionschef Jörg Meuthen ist mehr als ein lokales Politereignis: Der freundliche Wirtschaftsprofessor sprach vor allem die Bildungsbürger an, denen die Partei sonst zu larmoyant ist." In der AfD-Bundesspitze sei er der geschmeidige Gegenentwurf zur aggressiven Frauke Petry und den volkstümelnden Poggenburgs und Höckes im Osten gewesen. "Mit dem Meuthen-Rezept wollte die AfD Westdeutschland erobern."
Aus dem Schicksal von Parteichef Meuthen lässt sich laut Stuttgarter Zeitung lernen: "Wer mit dem Feuer spielt, verbrennt sich die Finger." Die AfD habe gezielt nationalistische Instinkte und fremdenfeindliche Ressentiments bedient. "Auch der sich in der Regel seriös gebende Meuthen spielte bei diesen schmutzigen Spielen mitunter mit", kritisiert das Blatt den Politiker. Die AfD gehöre zu den politischen und gesellschaftlichen Kräften, die rechtsextremes, ausländerfeindliches und antisemitisches Denken stimulieren und zur öffentlichen Äußerung ermutigen, heißt es weiter. "Meuthen wähnte sich als Löwenbändiger, doch die Löwen haben ihn nun verschlungen. Der Populismus ist ein gefräßiges Ungeheuer."
Für den Trierischen Volksfreund zeigen die Ergebnisse, wie wenig die AfD im Vorfeld über ihr eigenes Personal weiß. "Und wenn doch, wie sehr sie ignoriert, wer da mit zwielichtiger Gesinnung für führende Funktionen bereitsteht." Doch die Zeitung sieht auch den Wähler in der Verantwortung. "Die Lehre von Stuttgart ist deshalb auch, genau hinzuschauen und genau hinzuhören, wer sich hinter dem Denkmäntelchen einer vermeintlich demokratischen Partei verbirgt. Kurzum: Wem man seine Stimme gibt, und wem besser nicht."
Die Tageszeitung sieht in der Flucht aus der Fraktion mehr als ein Krisenzeichen. "Meuthen beteuert unverdrossen, dass die Rechtspopulisten 'eine staatstragende Partei sind'". Doch dem widerspricht das Blatt aus Berlin. "Die Fraktion in Stuttgart ist nicht in der Lage, einen Abgeordneten auszuschließen, der das 'Talmud-Judentum' für den 'inneren Feind des christlichen Abendlandes' hält. Wer ein paar Zitate aus Wolfgang Gedeons Agitpropschriften las, wusste, dass man kein wissenschaftliches Gutachten braucht, um zu erkennen, dass es sich hier um puren Antisemitismus handelt." Für die Kommentatoren war das Erfolgsgeheimnis der AfD bis dato, wie ein Staubsauger allen Verdruss aufzusammeln und gegen die da oben zu bündeln. "Kann sein, dass es mit diesem glatten Aufstieg erst einmal vorbei ist. Der Gedeon-Eklat ist keine Etappe in einem Häutungsprozess, an dessen Ende eine rechtskonservative, demokratische Partei stehen wird." Für die Zeitung wird dadurch viel mehr deutlich, welchen geistigen Schutt die AfD mit sich führt.
Quelle: ntv.de