Grün-Schwarz in Baden-Württemberg "Pragmatisches Zweckbündnis auf Zeit"
12.05.2016, 20:58 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach Startschwierigkeiten also doch: Winfried Kretschmann bleibt weitere fünf Jahre Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Die Presse sieht die Zusammenarbeit mit dem neuen Koalitionspartner CDU allerdings kritisch.
Nach Startschwierigkeiten bei einer Probeabstimmung nun also doch. Winfried Kretschmann bleibt weitere fünf Jahre Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Die Presse sieht die Zusammenarbeit mit dem neuen Koalitionspartner CDU allerdings kritisch: Zu lange habe man sich als Regierung und Opposition gegenübergestanden, um einfach zum politischen Tagesgeschäft überzugehen, schreiben die Kommentatoren der Zeitungen.
Für die Badische Zeitung bestehen Zweifel, ob die Grün-Schwarze Koalition in Baden-Württemberg gemeinsam regieren kann, denn: "jetzt sitzen Verlierer und Gewinner in einem Boot und sollen zusammen das Land regieren." Im Vergleich zum grün-roten Vorgängerbündnis, das "eher an eine Wohngemeinschaft erinnerte", käme ein hartes Stück Arbeit auf die Parteien zu, so das Blatt aus Freiburg. Man habe sich zu lange als Regierung und Opposition gegenüber gestanden, "als dass man dem Publikum jetzt glaubhaft eine grün-schwarze Vision vermitteln könnte." Ein pragmatisches Zweckbündnis auf Zeit - das sei auch schon etwas, schreiben die Kommentatoren. Die Badische Zeitung kritisiert zudem das "Abstimmungstheater" im Vorfeld der Wahl: Ein paar Abweichler könne die Koalition verschmerzen, "solange die Landes-CDU aber noch derart unleugbar mit Selbstfindungs- und Führungsfragen kämpft, ist an Routine kaum zu denken."
Die Schwäbische Zeitung würdigt die Tatsache, dass in Stuttgart ein Kabinett entstanden ist, das noch vor Monaten kaum vorstellbar gewesen sei, warnt aber gleichzeitig vor den eigentlichen Problemen. "Doch die wirklich große Herausforderung für die ungleichen Koalitionäre ist die Entwicklung einer Debattenkultur und eines Regierungsstils, die den weit verbreiteten Ärger über die Politik vergessen lassen." Ein ausgeglichener Haushalt unter Grün-Schwarz sei wichtig, so die Zeitung. Dringlicher sei aber konstruktive Politik, "denn der Verdruss im Land hat der Alternative für Deutschland (AfD) die Wähler in die Arme getrieben."
Der Münchner Merkur nimmt die Wiederwahl Kretschmanns zum Anlass, auf die verzweifelte Position der CDU hinzudeuten: "Aus den sechs Gegenstimmen (…) spricht die nackte Verzweiflung einer CDU, die ahnt, dass ihr Schicksal besiegelt ist." Die umgekehrte Reihenfolge aus Grün-Schwarz im Ländle sei historisch – und fatal für die CDU, so die Zeitung aus München. Denn nach Meinung der Kommentatoren wird die CDU den Grünen in ihrer Rolle als Juniorpartner die Wirtschaftskompetenz zuführen, "die die Kretschmann-Partei braucht, um im postmateriellen Südwesten dauerhaft zur neuen Heimatpartei heranzureifen." Im aktuellen politischen Diskurs sieht der Münchner Merkur die CDU als Mehrheitsbeschafferin: "Die CSU hat Bayern, die SPD Hamburg, die Grünen Baden-Württemberg. Und Merkels windschnittige CDU, die so virtuos im Zeitgeist surft?"
In der Volksstimme aus Magdeburg sieht man das grün-schwarze Kabinett unter Führung von Winfried Kretschmann als richtungsweisend: "Heute muss ein Ministerpräsident nicht mehr zwingend von Union oder SPD gestellt werden." Basis für das Wahlergebnis sei das Selbstbewusstsein Kretschmanns, sowie der Rückhalt in der Bevölkerung im Südwesten, schreiben die Kommentatoren. In den kommenden Jahren werde sich der Ministerpräsident noch weiter von seinen Grünen emanzipieren, so die Volksstimme, und: "Diese Konstellation illustriert die Erosion des jahrzehntelang zementierten politischen Systems." Nicht nur die Wahlen in Baden-Württemberg, sondern auch in Thüringen zeigten, dass Überparteilichkeit das Maß aller Dinge sei, prognostiziert die Zeitung.
Zusammengestellt von Judith Günther
Quelle: ntv.de