Die Renten sind sicher "Jammern auf hohem Niveau"
20.11.2007, 07:54 UhrDie Deutschen sind ein Volk von Pessimisten und Schwarzsehern. Das jedenfalls könnte man meinen, wenn man den Worten von Rentenexperte Prof. Bernd Raffelhüschen im Interview mit n-tv.de lauscht. Von einer Rentenfalle will der Freiburger Finanzwissenschaftler, der mit in der Rürup-Kommission saß, jedenfalls nichts wissen. "Die Renten sind sicher." Davon ist Raffelhüschen überzeugt. Klarheit bestehe auch darüber, dass man neben der gesetzlichen Rente zusätzlich privat vorsorgen muss.
Dass die zusätzlich zu erbringende Sparleistung finanziell nicht drin sei, lässt er nicht gelten: "Das ist Gejammer auf ziemlich hohem Niveau." Lediglich zwischen sechs und acht Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens müssten gespart werden. Damit wäre die Sparquote nicht höher als bei den heute Alten, die auch in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen mussten, rechnet er vor.
In Bezug auf einige ALG-II-Empfänger äußert sich Raffelhüschen eher skeptisch. Da würde sich die private Altersvorsorge wahrscheinlich nicht lohnen: "Wer weiß, dass er sein ganzes Leben lang ein "Loser" sein wird, braucht für sein Alter nicht vorzusorgen."
Darüber hinaus klärt das Interview, warum die Rente mit 70 noch weit entfernt, die Rente mit 64 immer noch möglich ist und worüber wir uns wirklich Sorgen machen müssen.
n-tv.de: Die Rente mit 67 - wie viele Jahre werden wir damit auskommen?
Prof. Bernd Raffelhüschen: Das Alter 67 ist nicht zufällig gewählt. Die Rente mit 67 ist der demographische Faktor für die Langlebigkeit. Wir leben laut den heute gültigen Sterbetafeln von Generation zu Generation vier Jahre länger. Jede Verlängerung der Lebenszeit bedeutet automatisch eine Verlängerung der Rentenbezugszeit. In unserem umlagefinanzierten System muss man sich diese Verlängerung verdienen, indem man dafür zahlt und Zahler in die Welt setzt. Die heutigen Alten haben sowohl gezahlt, als auch Zahler in die Welt gesetzt. Die heutigen 30- bis 50-jährigen haben zwar gezahlt, wenn sie in Rente gehen, aber nur wenig Kinder - also künftige Beitragszahler - in die Welt gesetzt. Sie haben nur die Hälfte einer doppelten Bringschuld im Umlageverfahren erbracht. Wer nur die Hälfte bringt, bekommt auch nur die Hälfte. Die Hälfte von vier Jahren längerer Rentenzeit ist zwei - 65 plus zwei macht 67. Das ist die ganz einfache, demographische Formel. Jeder, der weiß, wie die Sterbetafel heute aussieht, kommt zwangläufig auf das Renteneintrittsalter von 67 Jahren. Deshalb kamen sowohl die Rürup- als auch die Herzog-Kommission zum selben Vorschlag.
Ist die Rente mit 70 schon in Sicht?
Die Rente mit 67 hält so lange, bis die Sterbetafeln anders als erwartet ausfallen. Wenn die Lebenserwartung sich in Zukunft ändert, können wir über die Rente mit 68 reden. Die Rente mit 70 ist allerdings ganz weit entfernt. Selbst die Sterbetafeln mit den höchsten Lebenserwartungen - das sind bei uns die Beamten - würden eher auf die Rente mit 68 als mit 70 kommen.
Trotzdem lehnen einer GfK-Studie zufolge 73 Prozent der Erwerbstätigen die Rente mit 67 ab. Die meisten möchten spätestens mit 64 in den Ruhestand. Ein realistisches Ziel?
Das Erwerbsleben mit 64 zu beenden ist ohne weiteres möglich. Wer in seinem Leben hohe Einkommen generiert hat, hat ja trotzdem viel einbezahlt. Es ist dann kein Problem, mit Abschlägen von hohen Rentenansprüchen in den Ruhestand zu gehen. Wer früher gehen möchte, kann gerne gehen - Hauptsache, er geht mit Abschlägen.
Fast alle Erwerbstätigen sehen laut der gleichen Studie die sozialen Sicherungssysteme in der Krise. Wie sicher ist die gesetzliche Rente und auf welchem Niveau?
Das Unbehagen der Bevölkerung gegenüber den sozialen Sicherungssystemen ist berechtigt, wenn es um die Gesundheit und die Pflege geht. Das Unbehagen gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung ist unverständlich. Als die Bevölkerung glaubte, dass die Rente sicher sei, war sie es nicht. Jetzt haben wir im Grunde genommen in Deutschland eine Basisrente beschlossen. Auf diese Basisrente kann man sich verlassen. Sie ist allerdings keine Lebensstandardsicherung. Das Unbehagen ist also insofern berechtigt, dass für die Lebensstandarderhaltung jeder selbst sorgen muss. Wenn die Menschen tatsächlich darauf reagieren - mit Riester- und Rüruprente, Entgeltumwandlung oder privat vorsorgen - hätten wir das richtige Mischungsverhältnis von Umlage und Kapitaldeckung. Diesen Weg haben wir bereits eingeschlagen. Wir sehen, dass immer mehr Menschen mit zusätzlicher Vorsorge reagieren. Es ist noch nicht der Zustand, wo man völlig zufrieden sein könnte, aber die Richtung stimmt.
Nach Berechnungen der Stiftung Warentest reicht es nicht aus, jeweils vier Prozent des Bruttolohns in einen Riestervertrag und die betriebliche Altersvorsorge zu stecken, um auf 80 Prozent des letzten Nettolohns zu kommen. Müssen wir noch mehr fürs Alter sparen?
Ich bin in Bezug auf die Nettoersatzquote skeptisch. Ein Rentenniveau in Höhe von 80 Prozent des letzten Nettolohns hatten wir in Deutschland noch nie. Wir hatten im Maximum eine Nettoersatzquote von 72 Prozent und liegen jetzt unter 70 Prozent. Die Zielgröße kann also nie bei 80 Prozent liegen, sondern beträgt zwischen 60 und 70 Prozent. Eins ist klar: Wenn wir eine Nettoersatzquote von 70 Prozent bzw. eine Bruttoersatzquote von 50 Prozent erreichen wollen, müssen etwa sechs bis acht Prozent des Bruttolohns in eine private oder betrieblich ergänzende Altersvorsorge fließen, um die so genannte Rentenlücke zu schließen.
Bei einem Jahresbruttoeinkommen von 40.000 Euro sind das bis zu 3200 Euro jährlich, die für die Altersvorsorge aufgebracht werden müssten. Beschweren sich viele zu Recht, dass sie das nicht leisten können?
Das ist Gejammer auf ziemlich hohem Niveau. Die heutigen Alten, die auch in ihre gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt haben, hatten Sparquoten von rund 14 Prozent. Heute haben wir Sparquoten in Höhe von etwa zehn Prozent. Das heißt, wenn wir unsere Ersparnisbildung um drei bis vier Prozentpunkte erhöhen - und darum geht es letztlich - sind wir da, wo die Alten von heute schon ihr ganzes Leben lang gewesen sind.
Kritischer wird es allerdings, wenn Familien mit Kindern ins Spiel kommen. Dort klafft eine große Lücke, wenn ein Partner längere Zeit nicht arbeitet. Sollte der Staat da noch mehr unterstützen, weil wir ja andererseits auch auf den Nachwuchs angewiesen sind?
Die Familien werden in vielfacher Weise gefördert. Das gilt auch für die Rente. Bei der Riester-Rente erhält man durch die Kinderzulage eine Rente, ohne selbst viel zu zahlen. In der gesetzlichen Rentenversicherung erhält man drei Entgeltpunkte für jedes Kind. Nachdenken kann man über kinderreiche Familien mit niedrigem Einkommen. Diese wollen wir aber nicht in der Rente sondern lieber heute stützen.
Schwierig wird es auch bei Beziehern geringer Einkommen. Setzt man einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde voraus (15.600 Euro Bruttojahresverdienst), erhält ein Arbeitnehmer mit 47 Berufsjahren und Riestervertrag nicht mehr, als wenn er sich auf die staatliche Grundsicherung verlässt. Kann man diesen Menschen überhaupt dazu raten, von dem eh schon geringen Einkommen noch etwas fürs Alter zu sparen?
Für den Niedrigeinkommensbezieher wird die Basisrente sogar unterhalb des Sozialhilfeniveaus liegen. Wer weiß, dass er sein ganzes Leben lang ein "Loser" sein wird, braucht für sein Alter nicht vorzusorgen. Das trifft aber nur auf eine ganz geringe Prozentzahl der Bevölkerung zu. Niedrigqualifizierte, die sich durch eigene Anstrengung noch ein bisschen am eigenen Schopf ziehen, sind in Zukunft deutlich besser gestellt. Denn die Indexierung in der Sozialhilfe war traditionell eine Indexierung auf einen Warenkorb. Heute ist sie eine Indexierung auf die Steigerung der Renten. Das heißt, der Abstand zwischen Rente und Sozialhilfe wird so zementiert, wie er heute ist. Deshalb ist es auch für niedrige Einkommensschichten gut darüber nachzudenken, eine Riesterrente oder Betriebsrente abzuschließen.
Die Rente ist allerdings nicht die einzige Baustelle. Private Zusatzversicherungen, die die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung ergänzen, werden immer zwingender. Droht den Beitragszahlern bei Kranken- und Pflegeversicherung das gleiche Schicksal wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung?
Bei der Kranken- und Pflegeversicherung stehen wir vor der Wahl, ob wir dort denselben Weg wie bei der Rentenversicherung - mehr Eigenbeteiligung, mehr Eigenvorsorge - gehen wollen, oder ob wir in eine Art staatliche Rationierungsmedizin gehen wollen. Diese Entscheidung ist noch längst nicht getroffen. In diesem Bereich haben wir alle Entscheidungen erst einmal vertagt, weil wir uns da nicht rantrauen.
Mit Bernd Raffelhüschen sprach Alexander Klement
Quelle: ntv.de