Retouren-Problem Rückschickwahn lässt Handel stöhnen
04.05.2013, 08:30 Uhr
Der Handel in Deutschland ist im großen Umbruch. Läden, Ketten, Offline, Online – alles verschmilzt. Zurzeit schwer "in" ist das Online-Shopping von Klamotten oder Schuhen. Einfach mal bestellen - zurückschicken geht ja immer. Und genau diese Retouren, machen dem Handel schwer zu schaffen.
Wenn Peggy Schliebs mal wieder in einem neuen Outfit nach dem anderen vor ihrem Spiegel tanzt, war in der Regel kurz zuvor der Paket-Bote da. Denn die Berlinerin shoppt am liebsten via Mausklick: "weil es ja einfach ist, einfach mal am Abend, nach der Arbeit ein bißchen im Internet zu surfen. Um sich die Kleidung nachzugucken, die neue Mode und auch die Preise zu vergleichen."
Das Angebot im Internet ist in den letzten Jahren explodiert. Kleidung, Möbel, elektronische Geräte. Es gibt nichts, was es nicht gibt. Und in der Regel sind die Preise kleiner als im Geschäft, weil kostenintensive Ladenflächen und Beratung für die Anbieter weg fallen.
14-tägiges Widerrufsrecht
Wer im Internet bestellt, wickelt ein so genanntes Fernabsatz-Geschäft ab. Wenn die Ware nicht gefällt und mehr als 40 Euro gekostet hat, darf man sie umsonst zurück schicken. Die Retourkosten übernimmt der Händler, erklärt Bernd Ruschinzik von der Verbraucherzentrale Berlin: "Grundsätzlich gibt es ein 14-tägiges Widerrufsrecht. Es gibt da Ausnahmen. Wenn Sie beispielsweise eine Pizza bestellen, dann können Sie dem Pizzaboten nicht sagen, ich habe es mir anders überlegt. Oder wenn Sie sich etwas anfertigen lassen, dann gibt es auch kein Widerrufsrecht."
Kostenlose Retouren
Alle anderen Waren dürfen zwei Wochen kostenlos zurück geschickt werden. Vor allem bei Kleidung ist das Gang und Gebe. Die Branche spricht hier von etwa 40 Prozent Retouren. Peggy Schliebs schickt in der Regel mehr als die Hälfte zurück: "Der Nachteil ist natürlich, man weiß nicht, wie die Qualität der Stoffe ist und wie sich das Kleidungsstück anfühlt, der Vorteil ist natürlich, man kann mehrere Sachen bestellen, und sie dann zu Hause anschauen.", so Peggy Schliebs.
Kleidung, die nicht gefallen hat, könnte bei Hermes Fulfilment in Hamburg landen. Die 100-prozentige Tochter der Otto Group kümmert sich um die zurückschickte Ware der eigenen Gruppe und zahlreicher externer Kunden.
Waren auf Rechnung
Ein Grund für das wachsende Internet-Geschäft ist die Möglichkeit, Ware auf Rechnung zu bestellen – das war schon zu Zeiten von Katalog-Bestellungen möglich und gibt es so im Ausland nicht. Dieter Urbanke, Geschäftsführer von Hermes Fulfilment ergänzt: "Dass heißt er bestellt Ware und bekommt die auch, ohne sein Konto belastet zu bekommen, ohne Vorkasse zu machen müssen. Das ist etwas, was den Kunden natürlich schon dazu verleitet mehr zu bestellen, als er wirklich behalten möchte. Wenn er per Kreditkarte oder gegen Bar, tatsächlich schon zahlen muss, dann haben viele Sorge, dass sie am Ende nur schwierig an ihr Geld kommen, wenn sie es zurückgeben.
Bei Hermes Fulfilment durchläuft zurück geschickte Ware einen aufwendigen Rückabwicklungsprozess. Jedes einzelne Paket wird zunächst ausgepackt und für die Warenbeurteilung vorbereitet. Jeder einzelne Artikel wird danach an einem von rund 200 rechnergestützten Arbeitsplätzen anhand des Strichcodes auf der Verpackung identifiziert und schließlich ausgepackt.
Die Ware wird genau geprüft, ob sie weiterhin neuwertig ist und notfalls gesäubert. Kann ein Kleidungsstück in den Wiederverkauf gehen, wird es wieder genauso verpackt, um es erneut zu versenden.
Allein am Standort Hamburg wickelt Hermes Fulfilment etwa 50 Millionen Retouren im Jahr ab.
Hohe Retourenkosten
Das Marktforschungsinstitut ibi-Research aus Regensburg hat sich bei den Online-Händlern umgehört, wie viel am Ende eine Retouren-Abwicklung insgesamt kostet.
"Die kompletten Rücksendekosten also, inklusive den Wiedereinlagerungskosten und den Personal- und Materialkosten also, auch zu Aufbereitung, da war man so im Schnitt bei 20 EURO, aber man muss das differenziert betrachten. Also, in der Bekleidungsbranche ist eher seltener, dass die Kosten über 15 EURO sind, liegt vermutlich daran, dass dort weniger weggeschmissen werden muss, als in anderen Branchen, wenns retourniert ist.", erläutert Sabine Pur von ibi research Regensburg.
Zurück geschickte Technik kommt zum Beispiel häufig in nicht wiederverwendbarer Umverpackung. Regelmäßig ist sie zum Teil beschädigt und kann deshalb nicht wieder verschickt werden. Viele Geräte sind außerdem deutlich aufwendiger zu retournieren als zum Beispiel Mode.
Christoph Wenk-Fischer vom Bundesverband des Deutschen Versandhandels erläutert die Unterschiede: "Wenn ich einen Laptop verkauft habe und bekomme den zurückgeschickt, dann muss ich ihn mühsam aufbereiten. Dass heißt die Festplatte löschen, ich muss gucken ist die Verpackung in Ordnung und und und...! Kein Kunde möchte gebrauchte Ware haben und schon mal gar nicht, wenn da sensible Daten drauf sein sollten. Das ist ein hoher Aufwand mit hohen Kosten."
Allerdings sind die Retouren-Quoten bei technischen Geräten auch deutlich geringer als bei Mode.
Neue EU-Verbraucherrichtlinie
Doch auch im Bereich Kleidung könnte sich hier in naher Zukunft einiges ändern. Denn im kommenden Jahr tritt eine neue EU-Verbraucherrichtlinie in Kraft. Wie Bernd Ruschinzik von der Verbraucherzentrale Berlin erläutert: "Derzeit ist es so, dass es unterschiedliche Rückgabefristen gibt, in vielen Ländern gibt es nur ein 7-tägiges Rückgaberecht. Beispielsweise ist es in Italien so, dass der Widerruf per Einschreiben erklärt werden muss, um Wirksamkeit zu erlangen und diese Unterschiedlichkeiten, die sollen mit der EU-Richtlinie aufgehoben werden."
Unter anderem dürfen dann die Unternehmen die Kosten für Retouren auch an die deutschen Verbraucher weiter geben. Noch ist der Retoren-Schein hier allerdings umsonst und für viele Kunden wie Peggy Schliebs ein zusätzliches Argument für den Internet-Einkauf: "Das ist mir sehr wichtig, ich glaube, wenn es nicht mehr umsonst wäre zurück zuschicken, würde ich keine Internetbestellungen mehr aufgeben."
Kunde bleibt König
Und da der Kunde König ist, haben die großen Versandhäuser und Online-Anbieter bereits angekündigt, trotz neuer EU-Verbraucherrichtlinie auch künftig kostenlos die Ware zurück zu nehmen.
Dieter Urbanke von Hermes Fulfilment erläutert die Gründe: "Weil es einfach ganz, ganz viele Gründe gibt, warum der Kunde, auch mit Recht, retourniert. Man wird in endlose Streitereien geraten, ist der Artikel richtig abgebildet gewesen, hat er die Qualität, die versprochen wurde und solche Diskussionen und gerade auch ernsthafte Auseinandersetzungen mit dem Kunden, kann man als Händler nicht gewinnen. Die sollte man gar nicht führen."
Viele kleinere Händler hatten dagegen laut der aktuellen ibi-Research-Studie überlegt, die teuren Retouren-Kosten künftig an die Kunden weiterzugeben. Doch der Marktdruck ist scheinbar größer, weiß Sabine Pur von ibi research: "Da die Großen sich schon ausgesprochen haben, dass sie es nicht machen werden und es als Art ihres Servicegedankens verstehen, ihren Kunden gegenüber, glaube ich, dass die kleinen nachziehen müssen und einfach und auch weiter kostenfrei Rücksendungen anbieten."
Das Geschäft mit dem Online-Shopping dürfte also genauso erfolgreich weiterlaufen wie bisher. Und auch Peggy Schliebs wird sich weiterhin ein paar Klamotten mehr nach Hause liefern lassen, als am Ende in ihrem Schrank landen.
Quelle: ntv.de