Ratgeber

Krebs-Diagnose bei Patienten Studenten üben Gespräche

Man könnte eine Stecknadel fallen hören, wäre da nicht das Summen der Neonröhre und das leise Weinen von Frau Klein, das die bedrückende Stille durchdringt.

Nervös knetet die junge Frau ihre Hände, wippt mit den Füßen. Jens Biesenbaum im weißen Arztkittel blickt betreten auf seinen Zettel, auf dem die hoffnungslose Diagnose für seine Patientin steht: Mindestens sechs Metastasen im Gehirn lassen keinen Zweifel - Frau Klein wird in wenigen Monaten sterben. Das aufreibende Gespräch mit der schlechten Botschaft dauert keine zehn Minuten, als plötzlich eine Stimme "Cut" ruft und Arzt und Patientin, im wirklichen Leben Student und Schauspieler, aufspringen.

Hilflosigkeit

"Man fühlt sich hilflos in dieser Situation", gesteht Jens Biesenbaum, der an der Universität Würzburg im siebten Semester Medizin studiert und an diesem Tag den weißen Kittel für ein Kommunikationsseminar mit etwa einem Dutzend Teilnehmern angezogen hat. Die Veranstaltung - seit drei Semestern für jeden Studenten der Medizinischen Fakultät Pflicht - soll angehenden Ärzten helfen, unerfreuliche Diagnosen angemessen zu überbringen. Denn bei der Fülle an Lernstoff wurde vor allem eine Fertigkeit bisher sträflich vernachlässigt: die Kommunikation mit dem Patienten.

Was seit den 60er Jahren in den USA und Großbritannien zum Standardprogramm für Medizinstudenten gehört, fasst mit vierzig Jahren Verspätung nun auch in Deutschland Fuß. Birgitt van Oorschot, Ärztin für Strahlentherapie und Palliativmedizin an der Uniklinik der Mainstadt, betreut das Seminar aus medizinischer Sicht. "Normalerweise", berichtet die Ärztin, "ist man beim Überbringen schlechter Nachrichten auf sein Bauchgefühl angewiesen." Lediglich damit gerüstet, erleiden die meisten Ärzte beim ersten heiklen Aufklärungsgespräch jedoch Schiffbruch.

Blickkontakt und fester Händedruck

"Blickkontakt mit dem Patienten aufzunehmen und ein fester Händedruck mit dem Patienten sind natürlich absolute Voraussetzung für den Beginn eines Gesprächs", sagt van Oorschot. Das A und O sei es außerdem, ausreichend Zeit und Raum für Emotionen zu zulassen. "Selbstverständlich muss man dem Patienten auch die Möglichkeit geben einfach zu weinen." Einfühlsam unangenehme Wahrheiten zu kommunizieren, sei auf vielen Klinikstationen unerlässlich: "Arbeitet man auf der Krebsstation, muss jede Woche eine schlechte Nachricht überbracht werden", erzählt van Oorschot.

Nur auf ihr Bauchgefühl müssen sich die Studenten in dem Seminar nicht verlassen. "Nehmen Sie das Tempo raus und gehen Sie auf Gefühle ein", rät die Psychologin der Medizinischen Fakultät, Silke Neuderth. Völlig falsch sei es zum Beispiel, den Patienten mit zu vielen Informationen zu überschütten. Ist die schlechte Botschaft noch dazu in medizinische Fachsprache verpackt, sei das Ziel völlig verfehlt: das Eingehen auf die Situation und die Gefühle des Betroffenen.

Mut zur Wahrheit

"Das Thema Tod und Sterben ist für viele Medizinstudenten ein schwieriges Thema", berichtet Schauspieler Johann Ertl, der im Kurs den krebskranken Herrn Gebauer mimt. Seine Erfahrung sammelte Ertl auf Kleinkunstbühnen in Würzburg. Doch bei dem Kurs kommt es dem Laienschauspieler nicht auf Unterhaltung an. Immer wieder kommt Ertl auf das Wesentliche zu sprechen: Mut zur Wahrheit. Manche Studenten würden sich selbst in der nachgestellten Situation vor dem Aussprechen der Diagnose drücken, erzählt der Schauspieler. "In so einer Situation flippe ich gerne mal aus, um die Studenten aus der Reserve zu locken."

Studentin Ester Balint drückt sich nicht. "Ich muss leider sagen, wir haben wieder etwas gefunden", sagt die 24-Jährige ihrem Patienten und blickt diesem dabei fest in die Augen. Noch vor zehn Minuten konnte sie das Rollenspiel ihres Kommilitonen kaum ertragen, so realistisch erschien das Gespräch der Studentin. "Früher oder später muss ich sowieso solche Nachrichten überbringen", räumt die künftige Ärztin ein.

Bisher gibt es ähnliche Projekte nur an fünf weiteren Hochschulen in Deutschland, sagt Psychologin Neuderth und zählt Berlin, Heidelberg, Münster, Hamburg und Freiburg auf. Bayernweit sei das Würzburger Seminar einmalig. Dennoch müsste der Kurs häufiger durchgeführt werden. "Lediglich ein einziges Rollenspiel im ganzen Studium ist nicht ausreichend", bewertet Ärztin van Oorschot ihr eigenes Projekt, das sie aus Jena mit nach Würzburg brachte. Schließlich will Einfühlsamkeit gelernt sein.

Quelle: ntv.de

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