Sportförderpolitik ist gefährlich "Medaillendruck erhöht Dopingbereitschaft"
03.08.2016, 21:02 Uhr
Doping gilt in vielen Sportarten als weit verbreitet. Das IOC leugnet laut Schürmann aber den systematischen Betrug.
(Foto: imago/Science Photo Library)
Dass die russische Whistleblowerin Julia Stepanowa nicht bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro starten darf, ist für Sportphilosoph Volker Schürmann von der Deutschen Sporthochschule Köln ein Skandal. Dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das die Entscheidung zu verantworten hat, macht er deswegen schwere Vorwürfe. Aber auch nationale Verbände greift er im Gespräch mit n-tv.de wegen ihrer ausschließlich auf Medaillen fokussierten Förderpolitik an.
n-tv.de: Whistleblowerin Julia Stepanowa, die das russische Staatsdopingsystem enthüllt hat, darf nicht in Rio starten, weil sie die "ethischen Anforderungen an einen olympischen Athleten" nicht erfüllt. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie das gehört haben?
Volker Schürmann: Die erste Reaktion: Das darf doch nicht wahr sein! Dann habe ich die Begründung gelesen, die das IOC gegeben hat. Da wurde die ganze Perfidie deutlich, denn das IOC hat ausdrücklich eine Lex Stepanowa eingebaut. In der Begründung steht, dass alle russischen Athleten, die schon einmal gedopt waren, nicht nach Rio fahren dürfen. Das klingt ja erstmal, als sei das eine besonders harte Bedingung und als ob das IOC strikt gegen Doping vorginge. Aber das ist erstens gegen unser Rechtsverständnis, und zweitens steht dieser Satz vor allem deshalb da, weil man ihn dann im zweiten Teil der Begründung genüsslich zitieren kann. Wenn russische Athleten jetzt also nicht starten dürfen, weil sie mal irgendwann gedopt waren, dann muss das natürlich auch für Frau Stepanowa gelten. Das ist einfach ein Unding.
Ist es also die falsche Entscheidung des IOC, dass Stepanowa nicht starten darf?
Dass Stepanowa nicht starten darf, ist ein Skandal, weil sie genau das gemacht hat, was das IOC vermeintlich so gerne hätte - nämlich einen konsequenten Kampf gegen das Doping. Ohne solche Kronzeugen und ohne Whistleblowing ist das aber kaum möglich. Es ist ein ganz wichtiger Aspekt. Und dann ist auch völlig klar, dass man Stepanowa die Möglichkeit geben muss, dass sie starten kann.
Denken Sie, andere Whistleblower könnten so abgeschreckt werden?
Es reicht jedenfalls, dass sie nicht ermutigt werden. Zum Glück sind Whistleblower Menschen mit Rückgrat. Die lassen sich auch von solchen Dingen nicht richtig umpusten, aber ganz klar ist die Botschaft, dass man Whistleblowing auf jeden Fall nicht gerne hätte und nicht haben möchte. Sie werden nicht unterstützt und daran sieht man, dass das Gerede über den Kampf gegen das Doping vorgeschoben ist.
Welche Folgen hat die Entscheidung des IOC für den Anti-Doping-Kampf?
Klar ist, dass die Sportorganisation alles dafür tut, dass das Thema Doping unter Verschluss bleibt. Das Whistleblowing ist, gerade auch in der sogenannten Sportfamilie, erstmal ein Akt von Courage, der, wie Stepanowa jetzt endgültig zeigt, keineswegs belohnt wird. Das IOC handelt konsequent im eigenen Sinne. Sie machen das, was sie immer tun: Sie leugnen systematisches Doping. Sie machen immer eine Politik der schwarzen Schafe. Es sind immer nur die Einzelnen, die da vermeintlich dopen und die kleinen Sünder sind. Aber das System selber ist natürlich überhaupt nicht betroffen und dann, wenn man es kaum noch leugnen kann, wird trotzdem alles getan, es auf die Individuen abzuwälzen.
Der amerikanische Topsprinter Justin Gatlin darf bei Olympia teilnehmen, ebenso Hammerwerfer Iwan Tichon und andere Sportler, obwohl sie wiederholt gedopt haben. Wie ist das moralisch zu erklären?
- Prof. Volker Schürmann arbeitet am Institut für Pädagogik und Philosophie an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
- Das Institut geht grundsätzlichen Fragen nach unterschiedlichen Verständnissen von Sport in modernen Gesellschaften nach.
- Schürmann ist Herausgeber der Zeitschrift "Sport und Gesellschaft" und Mitglied der "Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft".
Moralisch muss man es nicht beurteilen, weil es dafür klare Rechtsgrundlagen gibt. Das ist nun mal unser Rechtsverständnis, das gilt außerhalb des Sports und im Sport eben auch. Wenn jemand seine Strafe abgesessen hat, dann gelten für ihn wieder die Unschuldsvermutung und die gleichen Regeln wie für alle anderen auch.
Aber was ist dann der Unterschied zu den russischen Sportlern?
Es gibt keinen. Es wird einfach mit zweierlei Maß gemessen. Ich bin davon überzeugt, dass es nur darum geht, Stepanowa ausschließen zu können. Dass das IOC einen vermeintlich guten Grund braucht. Das ist in Bezug auf die russischen Sportler aber ein Rechtsbruch. Wenn es schon um den vermeintlichen Schutz individueller Athleten geht, dann kann man es auf keinen Fall zu einer Bedingung machen, dass alle, die jemals gedopt haben, jetzt rausfliegen.
Einerseits wollen wir außergewöhnliche Leistungen sehen, andererseits fordern wir harte Strafen. Wie passt diese Doppelmoral zusammen?
Das passt nicht so richtig zusammen. Da gibt es mittlerweile eine Verschiebung in der Wahrnehmung, in dem, was wir da eigentlich als Publikum wollen. Was wir eigentlich mal wollten, war ein Leistungsvergleich, das heißt, wissen zu wollen, wer im Hier und Jetzt der Bessere im Wettkampf ist. Das Erzielen von (Welt)-Rekorden ist eigentlich ursprünglich nicht in der olympischen Idee enthalten. Der Fußball ist ein gutes Beispiel. Da ergibt es doch auch wenig Sinn, wenn man sagt: Das Hinspiel haben wir 3:1 gewonnen, deswegen müssen wir das Rückspiel 5:1 gewinnen.
Woher kommt denn die vorherrschende Annahme, dass es immer neue Rekorde geben muss?
Was Thomas de Maizière (Anmerk. d. Red.: Bundesinnenminister) in Kombination mit dem DOSB an Sportförderpolitik betreibt, ist das direkte Gegenteil der olympischen Grundidee. Der sportliche Erfolg wird an der Anzahl der Medaillen festgemacht. Das hat eine implizite Doping-Logik, das geht dann gar nicht anders.
Die Doping-Enthüllungen scheinen die Vorfreude auf Olympia zu schmälern. Ist der Zuschauer resigniert?
Ich kenne bisher immer das Phänomen, dass wenn die Spiele erstmal losgehen, es dann die "besten Spiele ever" werden und alle wieder begeistert sind. Ich bin mir nicht sicher, ob die Doping-Vorfälle da wirklich so relevant sind. Es wurde bisher immer so hingekriegt, dass es keinen großen Schaden gegeben hat. Aber ich habe schon den Eindruck, dass die Ausfluchtsmöglichkeiten enger werden. Der McLaren-Report zum Beispiel, da kann man nicht mehr dran vorbei sehen, dass es da staatlich organisiertes Doping gegeben hat und nicht nur individuelles Fehlverhalten. Das macht die Erklärung für das IOC schon komplizierter und schwieriger.
Was sagen Sie zu der Idee einzelner Stimmen, die fordern, Doping zu legalisieren, damit wieder gleiche Bedingungen herrschen?
Das darf man nicht tun. Es stimmt noch nicht mal auf der Ebene der formalen Gleichberechtigung, weil sich das gute Doping dann nur die leisten können, die Geld und eine gute medizinische Versorgung haben. Aber vor allen Dingen gibt es Effekte, denen wir auf keinen Fall die Eingangstür öffnen sollten. Der ganze Breitensport, der Kindersport, all diejenigen, die da erstmal rangeführt werden, wenn die mit vier oder fünf Jahren schon lernen, dass man es am besten mit Doping macht, dann können wir den Laden einfach zumachen und dann ist es nicht mehr das, worum es eigentlich geht.
Wie sollte der Umgang mit Doping aussehen?
Das Wichtigste scheint mir zu sein, dass man das Umfeld anders gestalten muss. Jede Debatte, die darauf hinausläuft, wie wir Doping verhindern und wie wir die Tests noch besser machen, die setzt zu spät an. Noch einmal: Wenn wir die Sportförderung daran binden, dass mehr Medaillen erzielt werden und sportlicher Erfolg nur an der Herstellung des Ergebnisses gemessen wird und alles andere keine Rolle spielt, dann ist das eine Einladung zum Doping. Solange wir keine wirkliche Debatte führen, was denn die Grundidee des Sports ist und welchen Sport wir wollen, ändert sich nichts. Geht es um immer schneller, immer höher, immer weiter oder geht es darum, einen Leistungsvergleich zu organisieren? Das Gerede von Fairness ist mehr ein Deckmäntelchen und das sollte sich wieder ändern.
Mit Volker Schürmann sprach Katharina Schol
Quelle: ntv.de