Formel1

Verstappen feiert ohne Vorbehalt "Bummelzug wäre der größere Skandal gewesen"

Verstappens Freude ist unbändig - ganz ohne Vorbehalt.

Verstappens Freude ist unbändig - ganz ohne Vorbehalt.

(Foto: AP)

Max Verstappen ist Formel-1-Weltmeister. Unter Vorbehalt. Seine Freude könnte Mercedes noch zerstören, wenn der Rivale tatsächlich Berufung einlegt. Rennleiter Michael Masi steht im Mittelpunkt der Kritik, doch der habe alles richtig gemacht, sagt ntv-Experte Felix Görner.

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Die spannendste Formel-1-Saison seit Jahren endet als Bummelzug hinter dem Safety-Car. Mit Tempo 60 zockeln die Boliden nacheinander ins Ziel in Abu Dhabi - und Lewis Hamilton ist Weltmeister. Zum achten Mal in Folge. Weil sein ärgster Rivale Max Verstappen zum Ende nicht mehr angreifen konnte. So hätte ein mögliches Rennende am Sonntag aussehen können. Es kam anders.

Deswegen ist Max Verstappen nicht mehr nur der Name eines Jahrhunderttalents im Motorsport. Es ist der Name des neuen Formel-1-Weltmeisters. Laut aktuellem Stand zumindest. Denn auch wenn das letzte Rennen der Saison beendet ist, der Streit zwischen Mercedes und Red Bull, der sich durch die gesamte Saison zog, hält an. Es besteht zumindest die Möglichkeit, dass der Niederländer den Titel doch noch aberkannt bekommt, falls der Rennstall des in letzter Sekunde unterlegenen Lewis Hamilton wirklich in Berufung geht. Falls die FIA dann anders urteilen sollte als sie es am Sonntagabend getan hat.

96 Stunden - bis Donnerstag - hat das Mercedes-Team Zeit, um zu entscheiden, ob es gegen das Urteil der Rennkommissare vorgeht. Einen ersten Protest hatten diese einige Stunden nach Rennende abgeschmettert. Ihre Meinung: Verstappen ist rechtmäßiger Weltmeister. Ein Urteil, das Mercedes nicht schmeckt. ntv-Experte Felix Görner sagt dazu deutlich: "Mercedes sollte sich fragen, ob man nicht auch als Champion mal verlieren sollte, in fairer Weise, ohne zu protestieren. Sie sollten die Füße stillhalten und sich ganz auf 2022 konzentrieren." Hamilton, der geschlagene Seriensieger, hatte seinem Rivalen direkt nach dem Großen Preis von Abu Dhabi fair gratuliert. "Wahrlich eine sportliche Größe von ihm, direkt nach Rennende seinem Nachfolger zu gratulieren, da kann man nur den Hut vor ziehen. Richtig gemacht, Lewis Hamilton", kommentiert Görner die Szene.

Dass der Zoff der Teams, das beleidigt sein von Mercedes die Freude von Verstappen überlagert, ist das unschöne Ende einer großen Saison. Einer Saison über 22 Rennen, über 1293 Rennkilometer, die auf der allerletzten Runde entschieden wird. An Dramatik nicht zu überbieten, aber auch nicht an Diskussionsstoff.

"Intensiver Zweikampf mit fantastischen Leistungen"

FIA-Rennleiter Michael Masi steht dabei im Mittelpunkt der Kritik. Nach dem Crash von Nicholas Latifi sechs Runden vor Schluss musste das Safety-Car raus. Der Australier Masi entschied dann, dass der Restart bereits bei der nächsten Zieldurchfahrt freigegeben wird, nicht, wie es das Reglement vorsieht, bei der übernächsten. Es war eine Entscheidung unter Druck, sonst wäre das Rennen eben hinter dem Safety-Car zu Ende gegangen. Görner sieht darin keinen Fehler: "In Spa hatten wir ein Rennen hinter dem Safety-Car, was komplett so als Bummelzug ins Ziel gegangen ist. Daraufhin gab es weltweite Proteste von Fans, wie man überhaupt so eine Formel-1-Veranstaltung durchziehen kann. Jetzt hätte man sich das gestern vorstellen können und das wäre dann wahrscheinlich der größere Skandal gewesen, wenn man es hinter dem Safety-Car beendet hätte." Er verdeutlicht: "Gerade nach so einem intensiven Zweikampf mit fantastischen Leistungen von Hamilton und Verstappen. Diese Kernentscheidung von Masi war richtig."

Es war nicht die einzige fragwürdige Entscheidung Masis. Auch dass nur fünf statt der acht überrundeten Fahrer zurückrunden durften, stößt einigen bitter auf. Weil der letztlich Drittplatzierte, Carlos Sainz, damit drei Autos vor sich hatte und seinerseits Verstappen und Hamilton nicht mehr attackieren konnte. Doch auch das sei zu erklären, so Görner: "Richtig, drei Autos fehlten, aber es wäre zu zeitaufwändig gewesen, diese auch noch einmal zurückrunden zu lassen. Deswegen hat Masi die fünf Autos durchgewinkt, um noch ein Rennen im Renntempo zu Ende zu führen. Das heißt, es war eine sportliche Entscheidung und keine Showentscheidung."

Nicht alle Fahrer im Feld sehen das so. Lando Norris etwa - einer der Fünf, die zurückrunden mussten - sieht es anders als Görner als Showentscheidung an: "Es war also offensichtlich ein Kampf, natürlich für das Fernsehen, für das Ergebnis." Sebastian Vettel gehörte ebenfalls zu den fünf, auch für ihn war die Entscheidung Masis ebenfalls eine zugunsten des Kampfes der "Jungs an der Spitze". Für die weiter hinten aber, sei es eine "Schande" gewesen, "weil wir dann kein Rennen mehr hatten".

Görner ist anderer Meinung: Masi habe das beste aus der komplizierten Situation gemacht: "Die Alternative wäre gewesen, das Rennen hinter dem Safety-Car zu beenden und das wäre ein unwürdiges Formel-1-Finale, gerade nach so einem Jahrhundert-Jahr, gewesen."

Entscheidung am grünen Tisch?

Aber war die Regelauslegung so tatsächlich rechtens? Ja, urteilten die Rennkommissare. Denn Masi habe gemäß einem Artikel im Reglement das letzte Wort über den Einsatz des Safety-Cars. Das einzige, was Görner zufolge besser hätte laufen können, ist der Zeitpunkt der Entscheidung, denn zunächst hieß es, dass kein Fahrer zurückrunden dürfe: "Sie war vielleicht etwas zu spät, er hätte sie zwei, drei Minuten früher fällen können, aber dass er sie getroffen hat, war im Sinne des Sports."

Was dagegen nicht im Sinne des Sports sei, ist das Verhalten von Mercedes: "Zu protestieren ist legal und sogar nachvollziehbar, aber dann den nächsten Schritt zu gehen und zu sagen, wir beschäftigen uns mit einer Berufung, das ist dann ein Schritt zu viel und der gibt ein Geschmäckle", findet Görner. "Was soll das, nach so einer Saison am grünen Tisch eine Entscheidung zu revidieren, die von den Rennkommissaren als richtig eingestuft wurde? Es gibt da eine Tatsachenentscheidung." Eine, die Mercedes - immerhin zum achten Mal in Folge Konstrukteurs-Weltmeister - nicht gefällt. Weil die zehn Sekunden Vorsprung Hamiltons weg waren, weil Verstappen mit seinen frischen Reifen auf den letzten Metern leichtes Spiel hatte. Das hat Teamchef Toto Wolff noch während des Rennens überdeutlich gemacht: "Nein, Michael, nein, nein, nein. Das ist so nicht in Ordnung", schrie der Österreicher über den Teamfunk in sein Headset und machte Masi damit deutlich, wie er dessen Entscheidung findet. Etwas sachlicher hatte zuvor Red Bull versucht, auf Masi einzuwirken.

Szenen, die es in der kommenden Saison nicht mehr geben wird. Die Teamchefs werden dann keine Möglichkeit mehr bekommen, mit dem Rennleiter zu diskutieren. "Das ist richtig, weil man diesen Schiedsrichter schützen muss. Er muss die Hoheit haben, damit er nicht unter Bedrängnis Fehleinschätzungen trifft oder beeinflusst wird, er muss unparteilich sein", urteilt Görner. Auch Bernie Ecclestone kritisierte derlei Szenen gegenüber dem "Münchner Merkur" und der "tz" harsch: "Es ist ein Desaster für die Formel 1. Der Sport leidet darunter, dass es nicht mehr nur um den reinen Wettkampf geht, sondern nur noch um das Interesse von wenigen Einzelnen." Der frühere Formel-1-Geschäftsführer erklärte, es sei "ein Witz", dass live zu hören war, wie Teamchefs "während eines Rennens versuchen, Entscheidungen der Rennleitung zu beeinflussen".

Erinnerungen an Michael Schumacher

Was macht das Chaos mit Verstappen? Herzlich wenig. Auch als Weltmeister unter Vorbehalt fühlt er sich als Weltmeister. Und stellt Ansprüche: Er will in der kommenden Saison mit der Startnummer 1 in die Rennen gehen. "Es ist die beste Nummer, die es gibt. Ich werde sie auf jeden Fall am Auto anbringen", sagte der Red-Bull-Pilot. "Wie oft kann man das schon machen? Ich weiß es nicht, vielleicht ist es das einzige Mal in meinem Leben." Letzter Fahrer mit der legendären Startnummer, die allein der amtierende Weltmeister verwenden darf, aber nicht muss, war Vettel.

Geht es nach Görner, hat sich Verstappen diese Ehre verdient. "Verstappen ist einer, der würdig ist, diese Dauerserie von Mercedes zu beenden. Und auch die Ära Lewis Hamilton zu unterbrechen", so der ntv-Experte. "Er ist in einer Art und Weise gefahren, die stark an Michael Schumachers Anfangsjahre mit den ersten zwei WM-Titeln erinnert: Kompromisslos, hart, über dem Limit, aber als Löwe, als Kämpfer bis zum Ende, bis es nicht mehr geht, hat er es sich auch verdient."

Ob er den Weltmeister-Pokal am Donnerstag bei der FIA-Gala in Paris tatsächlich überreicht bekommt, ist offen. Es obliegt Mercedes, den neuen Weltmeister zu akzeptieren - oder eben nicht. Ecclestone stellt klar: "Sie bauen wahrscheinlich die besten Autos der Welt. Durch den Protest erhält der Stern aber immense Kratzer."

Quelle: ntv.de

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