Video-Referee verärgert DFB-Team Hegerings Märchen gipfelt in zwei Elfmeter-Fragen

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Leere, das ist es, was Hegering in diesem Moment fühlt.

Leere, das ist es, was Hegering in diesem Moment fühlt.

(Foto: REUTERS)

Mit gerade einmal fünf Spielen in der Bundesliga-Saison reist Marina Hegering zur Fußball-EM. In England trumpft die Innenverteidigerin auf, treibt gegnerische Angreiferinnen reihenweise zur Verzweiflung. Im Finale hat sie das Nachsehen beim ersten Gegentor - und ist auch für große Aufregung zuständig.

"Man steht da und überlegt: 'Was passiert jetzt?', es ist so eine Leere in einem. Man steht einfach da und denkt irgendwie an alles und an gar nichts." Marina Hegering beschreibt die wohl bittersten Momente des Finales dieser Fußball-Europameisterschaft. Wenn die Verliererinnen - die Deutschen - den Siegerinnen - den Engländerinnen - beim Feiern zusehen müssen. Wenn sie gerade miterlebt haben, wie die Gewinnerinnen den Pokal überreicht bekommen und sie als Unterlegene dazu gratulieren müssen.

Es wäre der erste Moment Zeit zum Nachdenken, in den mehr als 120 Minuten vorher war keine Zeit, das Spiel im Wembley-Stadion hatte die volle Aufmerksamkeit gefordert. Auch Hegerings, obwohl sie in der 103. Minute ausgewechselt worden war. Die "lebendige Bank" des DFB-Teams ist in den vier Turnierwochen so berühmt wie berüchtigt geworden, weil sie voll mitarbeitet und mitkämpft.

Statt Denken aber Leere, statt überschäumendem Jubel tiefe Trauer. Es wäre der erste internationale Titel für die Innenverteidigerin gewesen, noch nie war die 32-Jährige einem Pokal näher als bei dieser EM. Das liegt an der unglaublichen Karrieregeschichte der künftigen Wolfsburg-Spielerin, die die vergangenen zwei Jahre beim FC Bayern unter Vertrag stand. Denn Hegering war quasi häufiger verletzt als gesund.

Auch in der abgelaufenen Saison absolvierte sie gerade einmal fünf Bundesliga-Spiele, das Knie bereitete ihr große Probleme. Doch das war nichts im Vergleich mit dem, was sie schon ertragen hatte. Denn obwohl ihre Karriere verheißungsvoll begann - sie spielte schon in der U15 für den DFB, gewann 2010 zusammen mit Alexandra Popp, Svenja Huth und Almuth Schult die U20-WM - gab sie erst mit 28 Jahren im April 2019 ihr Debüt in der A-Nationalmannschaft. Martina Voss-Tecklenburg hatte sie berufen und direkt für die darauffolgende Weltmeisterschaft in Frankreich nominiert. Die beiden kennen sich schon lange, beim früheren Topteam FCR 2001 Duisburg trainierte Hegering schon einmal unter Voss-Tecklenburg. Mit gerade 16 Jahren kam sie zu ihrem Bundesliga-Debüt, sie gewannen zusammen 2009 den UEFA Women's Cup, die heutige Champions League, und zudem zweimal den DFB-Pokal.

Sonderurlaub für die WM 2019

Wohl kaum eine Trainerin, die Hegering weniger gut gekannt hätte, hätte ihr vertraut - und sie auch in Frankreich mit nur einer handvoll Länderspielen Erfahrung zur Stamminnenverteidigerin gemacht. "Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, nochmal auf so einem Level Fußball zu spielen, und ans Aufhören gedacht", beschrieb sie bei der WM ihre eigenen Gedanken. Denn Hegering hatte sich an der rechten Ferse verletzt, die Wunde heilte nicht richtig, der Fuß hinderte sie am Spielen, sie wurde wieder und wieder operiert. Über insgesamt sechs lange Jahre zog sich das Drama. Sie absolvierte ein Sportstudium, machte eine kaufmännische Ausbildung, arbeitete in einem Bauunternehmen, der Fußball lief quasi nur noch nebenher.

Die Lust auf ihn aber hatte sie nie verloren. 2017 spielte sie für die SGS Essen tatsächlich wieder in der Bundesliga und sich damit in den WM-Kader. Sie fuhr nach Frankreich, weil sie Sonderurlaub bei ihrem Arbeitgeber genommen hatte, Urlaub, um ihrem Job als Fußballerin nachzugehen. Es sollte sich lohnen, verhalf ihr dazu, spät doch noch Profi zu werden. 2020 wechselte sie zum FC Bayern und musste erstmals nicht mehr nebenher arbeiten gehen - mit 30 Jahren.

Nun zieht sie weiter zum VfL Wolfsburg und neben der sportlichen Qualität der Meisterinnen und Pokalsiegerinnen, hat auch hier wieder die Job-Perspektive überzeugt. Der Verteidigerin war zugesichert worden, in ein oder zwei Jahren in den Trainerstab wechseln zu können. Den ersten Trainerschein, die B-plus-Lizenz, hat sie wie viele andere Nationalspielerinnen bereits gemacht.

Doch bevor Hegering ihr erstes Training in Wolfsburg absolviert, spielte sie in England auf der ganz großen Bühne - und hat ihrem zukünftigen Arbeitgeber bewiesen, was sie zu leisten imstande ist. Vor allem in den ersten beiden Spielen gegen Dänemark und Spanien war an ihr überhaupt kein Vorbeikommen. Ruhig, cool, mit Übersicht und Köpfchen - sowohl durchdacht als auch eben mit Kopfbällen - ließ sie alle gegnerischen Sturmläufe an sich abprallen. Gegen Spanien wurde sie zur Spielerin des Spiels gewählt, was ihr spürbar unangenehm war. "Das war eine brutal gute Defensivleistung, da kann man eigentlich niemanden herausheben. Ich sehe die Auszeichnung als Sinnbild und nicht dafür, dass ich etwas Besonderes gemacht habe." Laut Statistik war sie allerdings diejenige, die die meisten ankommenden Pässe gespielt hatte.

Elfmeter oder nicht?

Im Finale gehen für sie 77 Prozent Passquote und 75 Prozent Zweikampfquote ein, wieder Werte, die sich sehen lassen können. Doch dieses Finale, es bietet auch die bittere Pointe für Hegering, die weiter auf ihren ersten internationalen Titel warten muss. Woran sie nämlich nicht ganz unschuldig ist. Sie hätte zur entscheidenden Personalie auf dem Platz werden können - mit Ausschlag in beide Richtungen. Sie war es, die bei einem Strafraumgewusel vor Englands Torhüterin Mary Earps in der 25. Minute mit einem Fuß an den Ball kam und dieser an einen englischen Arm sprang.

Die Szene wurde vom Videoassistenten gecheckt, aber nicht für elfmeterwürdig befunden - was bei der deutschen Delegation hinterher für massiven Ärger sorgte, sowohl Voss-Tecklenburg als auch Joti Chatzialexiou, Leiter der Nationalmannschaften beim Deutschen Fußball-Bund, kritisierten dies von sich aus heftig. Sie wolle nicht von Betrug reden, sagte die Bundestrainerin. "Aber auf dem Niveau bei einem Finale bei der Europameisterschaft darf das nicht passieren." Hegering selbst sagte allerdings: "Ich habe das selbst im live nicht mitbekommen." Im Nachhinein sei es aufgrund der Bilder "ärgerlich", aber "wir können es jetzt nicht ändern, es ist wie es ist".

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Doch nach 42 Minuten hätte das Elfmeter-Pendel auch gegen sie ausschlagen können, als sie zweimal nur mit höchstem Risiko zur Stelle war. Erst klärte sie gegen Ellen White, dann grätschte sie gegen Lucy Bronze und kam wohl so gerade eben noch an den Ball, bevor sie die Engländerin abräumte. Noch unglücklicher war ihr kollektives Schlafen mit Innenverteidigerkollegin Kathrin Hendrich beim Führungstreffer für die Engländerinnen. Sie verpassten die durchstartende Ella Toone, ließen ihr freien Lauf, den die mit einem Lupfer über Torhüterin Merle Frohms hinweg zum 1:0 nutzte.

Ein tragischer Moment für die Spielerin, die bei dieser EM so aufgespielt hat wie nie zuvor. Ihre zweite Weltmeisterschaft hat sie aber schon im Blick, diese steht bereits im nächsten Jahr an. "Schon Ende des Monats geht es mit der WM-Qualifikation weiter", erinnerte Hegering, als sie nach dem Spiel die erste Leere vertrieben hatte. "Ich möchte auf jeden Fall weiter Fußball spielen, wenn's denn weiter für die Fußball-Nationalmannschaft reicht, bin ich gern dabei." Und wie vertreibt man nun diese Leere? "Am Ende, wenn die Musik angeht, dann kippt die Stimmung wieder ein bisschen. Dann trinkt man ein, zwei Getränke und dann können wir auch stolz sein."

Quelle: ntv.de

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