
Magull gab nicht auf - und belohnte das DFB-Team zumindest zwischenzeitlich.
(Foto: IMAGO/Pro Sports Images)
Vor Anpfiff muss das DFB-Team den ersten Tiefschlag verkraften: Kapitänin Alex Popp ist im EM-Finale nicht dabei. Ein schwerwiegender Ausfall gegen die aggressiven Engländerinnen. Die gerade genesene Lea Schüller ist kein adäquater Ersatz und auch in der Defensive zeigen die Deutschen Schwächen.
Merle Frohms: Der nervöse Start ihres Teams hatte die Torhüterin nicht ergriffen. Gleich zweimal langte sie gut zu, musste dabei auch einen heftigen Rempler von Englands Stürmerin Ellen White über sich ergehen lassen. Sie bekam mehr zu tun als zuvor im Turnier, musste sich vor allem im Strafraum beweisen. Das gelang ihr – obwohl sie zwei Treffer kassierte und damit doppelt so viele wie in den fünf Spielen zuvor zusammen. Beim 1:0 machtlos, weil sie von der frei auf sie zustürmenden Ella Toone überlupft wurde, beim 2:1 stand ihr unglücklich Hendrich im Getümmel im Strafraum im Weg.
Giulia Gwinn: Wie in den Spielen zuvor scheute die Außenverteidigerin keinen Sprint, ging weite Wege im Wechsel zwischen Defensive und offensiven Versuchen. Allerdings hatte sie deutlich mehr defensiv zu tun, als der so offensiv eingestellten Schienenspielerin lieb gewesen sein dürfte. Das Zusammenspiel mit Svenja Huth klappte ebenfalls nicht so gut wie zuvor und in der ersten Hälfte stand sie manches Mal zu weit weg von ihrer Gegenspielerin. Das verbesserte sie in der zweiten Hälfte, als sie mehr und mehr Bälle wegräumte. Ihre Offensivläufe brachten diesmal aber nicht die ganz große Gefahr.
Kathi Hendrich: Die Innenverteidigerin zu bewerten, war diesmal besonders schwierig. Je nachdem, wann man genau hinschaute, könnte man ihr ein sehr gutes oder ein maues Zeugnis ausstellen. Zu Beginn wirkte sie ob der ungewohnt aggressiv anlaufenden Engländerinnen arg unter Druck gesetzt, vertändelte Bälle, die in Ecken resultierten. Zunehmend spielte sie sich rein, ehe sie das 0:1 (62.) mitverursachte, weil sie gemeinsam mit Marina Hegering die Verteidigung von Toone komplett verschlief, diese konnte einfach durchlaufen. Beim 1:2 (110.) stand sie dann auch noch unglücklich Frohms im Weg, die den Ball nicht zu greifen bekam. Auch sie selbst holte zu spät aus, um den entscheidenden Treffer noch zu verhindern. Ein genialer Spielzug war aber der vor dem 1:1: Sie ging den weiten Weg, als die Engländerinnen auf Außen fast durch waren, trennte sie erfolgreich vom Ball, schaltete sofort um auf Angriff, lief die gesamte Länge runter und übergab zur erfolgreichen Kombination vor dem Tor von Lina Magull (79.).
Marina Hegering: Die älteste im Kader ließ sich am wenigsten von der Nervosität anstecken, die das deutsche Team am Anfang erfasst hatte. Die 32-Jährige köpfte potenziell gefährliche Bälle konsequent raus und war erneut der Ruhepol ihres Teams. In der 39. Minute entwischte ihr ihre Gegenspielerin, daraus entstand die bis dato gefährlichste Chance, der Schuss ging nur knapp über die Latte – es wäre aber möglicherweise Abseits gewesen. Beim 1:0 verschlief sie gemeinsam mit Hendrich die durchstartende Toone – ein dicker Patzer. Bis zu ihrer Auswechslung in der 103. Minute war sie anschließend aber wieder sicher, ruhig und konsequent, wenn nötig.
Sara Doorsoun (ab 103.): Sie kam für Hegering und noch zu 27 Minuten Spielzeit. In der 108. Minute musste Hendrich für sie retten, auch ein Freistoß ins Weite brachte nichts ein. Sie hat mitgespielt, war aber nicht entscheidend. Dass das 2:1 in die Zeit fiel, in der sie auf dem Platz stand, hatte aber nichts mit der Frankfurterin zu tun.
Felicitas Rauch: Sie musste gegen Beth Mead bestehen, die Torschützenkönigin und Spielerin des Turniers. Keine leichte Aufgabe, die sie wie ihr Team nervös anging. In der ersten Halbzeit gingen die meisten Angriffe über ihre Seite, mehrfach wurde sie übersprintet, was für Gefahr vor dem deutschen Tor sorgte. In der 41. Minute konnte sie sich nur noch mit einem Foul behelfen, sie schickte Mead zu Boden und sah dafür Gelb. Als sie sich in der 62. Minute mal offensiv mit einschaltete, mündete ihr Fehlpass im Konter zum Gegentor. Beim 2:1 stand sie erneut zu weit weg von ihrer Gegenspielerin, diesmal Chloe Kelly, was die Stocherei im Strafraum überhaupt erst ermöglichte. Unermüdliches Arbeiten war ihr aber nicht abzusprechen, auch einige Offensivaktionen gingen auf ihr Konto, bis zu ihrer Auswechslung in der 113. Minute zog sie durch.
Lena Lattwein (ab 113.): Sie kam nach dem 2:1, sollte das Spiel noch einmal beleben, das gelang ihr aber nicht mehr. Was weniger an ihr lag, als an den Engländerinnen, die clever ins Zeitspiel an der eigenen Ecke gingen.
Lina Magull: Eigentlich ist die Bayern-Kapitänin der offensive Part im Mittelfeld, doch erst einmal hatte sie nur mit laufintensiver Defensivarbeit zu tun. Nach 13 Minuten ging sie konsequent nach, als die Engländerinnen es mit einem Konter versuchten, trennte sie vom Ball und verhinderte die Torchance. In der zweiten Halbzeit war sie dann offensiv voll da, in der 50. Minute schoss sie im Strafraum knapp links vorbei. In der 66. hatte sie den Ausgleich auf dem Fuß, der Ball prallte gegen den Pfosten. In der 79. Minute belohnte sie sich dann für ihren aufreibenden Kampf: Sie war mit in den Fünfmeterraum eingelaufen und traf wuchtig unter die Latte. Zum Ende der regulären Spielzeit ging sie sichtbar auf dem Zahnfleisch und wurde folgerichtig ausgewechselt.
Linda Dallmann (ab 91.): Mit ihren sonst so starken Dribblings konnte die Bayern-Spielerin die Engländerinnen nicht wie gewohnt unter Druck setzen, ihr fehlte gegen die aggressiven Gegnerinnen der Esprit. Ein entscheidender Faktor war sie nicht in diesem Finale.
Lena Oberdorf: Aggressive Zweikämpfe, Gegnerinnen, die keinen Ball herschenken, ein Spiel, in dem viel Einsatz gefordert ist – dieses Endspiel war eines, das die Stärken von Lena Oberdorf widerspiegelt. Sie war vielleicht so stark gefordert wie nie zuvor im Turnier, konnte aber nicht so stark den Fels in der Brandung geben wie noch gegen Frankreich. Sie agierte zwar mit Übersicht am Ball, hatte aber das Spiel nicht unter Kontrolle. Mehrfach wurde sie gefoult und musste ganz schön einstecken – mehrfach teilte sie selbst aus. In der 57. Minute behalf sie sich mit Beinstellen und war fortan mit Gelb vorbelastet. Die Gefahr einer Gelb-Roten Karte beruhigte ihre Aktionen. Es war diesmal nicht das herausragende Spiel der 20-Jährigen, das ändert aber nichts an einem insgesamt unfassbar starken Turnier. Sie wurde von der UEFA zurecht als beste Jungspielerin des Turniers ausgezeichnet.
Sara Däbritz: Die Spielerin von Olympique Lyon war extrem viel mit Defensivarbeit beschäftigt, vor allem die zukünftige Bayern-Offensivfrau Georgia Stanway stellte sie vor Aufgaben. In der zehnten Minute hatte sie dann auf einmal etwas Platz, konnte als einzige im deutschen Team einen Akzent in der ersten Hälfte setzen: Ihren Schuss blockte Lucy Bronze mit dem Kopf. Auch zwei Minuten später war sie es, die abschloss, allerdings weit links vorbei. In der 73. Minute wurde sie ausgewechselt.
Sydney Lohmann (ab 73.): Schon vor ihrer Einwechslung legte sich die Bayern-Spielerin mit der Linienrichterin an, auf dem Platz dann scheute sie keinen Zweikampf. Es war überaus deutlich: Lohmann wollte nicht verlieren, um keinen Preis. Sie ging hart zur Sache, zeigte Durchsetzungskraft. Nur sechs Minuten nach ihrer Einwechslung war sie am Ausgleich beteiligt, als sie Waßmuth halbrechts im Strafraum bediente, die den entscheidenden Pass zu Torschützin Magull spielte.
Svenja Huth: Sie eröffnete das Turnier als Kapitänin, sie schloss es als Kapitänin. Weil Alexandra Popp überraschend ausfiel, trug die 31-Jährige die Binde. Die Wolfsburgerin bereitete die erste deutsche Torchance durch Däbritz (10.) vor, kam aber sonst kaum zu Flanken. Unermüdlich lief sie, sprintete auch in der Verlängerung noch bis an die Grundlinie. Eine entscheidende Szene aber blieb diesmal nicht von ihr hängen, auch, weil die Engländerinnen sie konsequent blockten.
Jule Brand: Die künftige Wolfsburgerin spielte wie schon im Halbfinale gegen Frankreich für die wegen Corona noch nicht wieder einsatzfähige Klara Bühl. Erneut zeigte sich die 19-Jährige äußerst engagiert, auch in der Defensivarbeit. Allerdings war sie mit den stark anlaufenden Engländerinnen überfordert und bereitete ihren Mitspielerinnen Mehrarbeit. Zu häufig gingen ihre Bälle zudem ins Aus, wenn sie eröffnende Pässe spielen wollte. Zur zweiten Hälfte wurde sie ausgewechselt.
Tabea Waßmuth (ab 46.): Mit der Wolfsburgerin kam Leben in die deutsche Offensive. Mit ihr ging es mutiger voran, plötzlich wagte das DFB-Team Torschüsse und bedrängte die englische Abwehr. In der 48. Minute suchte sie selbst den Abschluss, hätte da aber besser nochmal abspielen sollen. Den Ausgleich von Magull bereitete die Neuropsychologie-Doktorandin mit ihrem Pass vor.
Lea Schüller: Unklar, wann die Stürmerin von ihrer Nominierung erfahren hat, offiziell wurde es erst Sekunden vor dem Anpfiff. Bis dahin stand Kapitänin und Immer-Torschützin Alexandra Popp in der Startelf, die aber wegen muskulären Problemen passen musste. Wie im Auftaktspiel gegen Dänemark also stand die Bayern-Stürmerin auf dem Platz, die am Vormittag noch vom „Kicker“ als Spielerin der Bundesliga-Saison ausgezeichnet worden war. Da es aber ein völlig anderes Spiel war, hatte es die 24-Jährige nicht leicht. Weil vor allem die Defensive beschäftigt war, kam sie nicht richtig ins Spiel. In der 58. Minute kassierte sie im eins gegen eins mit Mary Earps auch noch Gelb. Vor ihrer Auswechslung war ihr dann deutlich anzumerken, dass sie wegen ihrer Corona-Infektion nach dem Auftaktspiel eine knappe Woche Training verpasst hat, sie war sichtlich k.O.
Nicole Anyomi (ab 67.): Der Frankfurterin wurde vor dem Turnier von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gesagt, dass sie mit ihr als Verteidigerin plant. Auf dieser Position spielte sie auch gegen Finnland. Doch im Finale sollte sie plötzlich offensiv spielen, die 22-Jährige tat sich schwer damit. Sie lief zwar viel, kam aber nie richtig ins Spiel, ging nicht konsequent genug an den Ball und wirkte verloren. Mit ihrer Einwechslung hat die Trainerin weder sich selbst, noch ihrem Team, noch Anyomi einen Gefallen getan.
Quelle: ntv.de