Fußballgott, was tust du nur? Gnadenloser EM-Fluch holt Popp wieder ein

Wieder ein "Nackenschlag" für Popp.

Wieder ein "Nackenschlag" für Popp.

(Foto: dpa)

Es ist ihr Turnier, es soll ihr Finale werden: Alles ist vor dem EM-Endspiel auf Alexandra Popp zugespitzt. Die deutsche Kapitänin, die mit 31 Jahren ihre erste Europameisterschaft spielt, die endlich nicht verletzt ist - und so großartig auftrumpft. Bis Minuten vor dem Anpfiff alles anders kommt.

Es gibt Menschen, die glauben nicht an Gott, vertrauen nicht Allah oder Buddha, sondern huldigen nur einem: dem Fußballgott. Diese Personen dürften am frühen Sonntagabend ganz schön in ihrem Glauben geprüft worden sein. Alles war bereitet für ein mitreißendes Fußballfest im Finale der Fußball-Europameisterschaft zwischen England und Deutschland. Es war zugespitzt worden auf das direkte Duell der beiden besten Torschützinnen des Turniers, Beth Mead und Deutschlands Kapitänin Alexandra Popp. Doch dann das. Mitten in der Eröffnungsshow kam eine kurze Nachricht von der DFB-Pressesprecherin auf die Handys der Journalisten: "Popp muss wegen muskulärer Beschwerden passen, dafür Schüller."

Nichts war es mit dem Duell um die Torjägerinnen-Trophäe, wieder einmal hatte es der Fußballgott nicht gut mit der 31-Jährigen gemeint. Statt ihr Team ins Stadion zu führen, stand sie bei der Hymne an der Seitenlinie. Statt die Schiedsrichterinnen zu begrüßen, Fähnchen auszutauschen und bei der Seitenwahl mitzuwirken, musste sie auf der Bank Platz nehmen. Ein Drama, das sich beim Warmmachen angedeutet hatte: Ihr Gespräch mit Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, bei dem beide sehr ernst und niedergeschlagen dreinblickten, ihre lange Umarmung mit Sophia Kleinherne, auch ihr getapter Oberschenkel.

Die Wolfsburgerin kennt das schon, dass sie wieder einmal zurückgeworfen wird, dürfte selbst an der Existenz einer höheren Macht gehörig zweifeln. Erst vor vier Wochen hatte sie nach ihrer Einwechslung im Auftaktspiel gegen Dänemark (4:0) ihr EM-Debüt gegeben, im Alter von 31 Jahren, nachdem sie die Turniere 2013 und 2017 jeweils verletzt verpasst hatte. 114 Spiele hatte Popp bereits im DFB-Trikot absolviert und war Olympiasiegerin geworden, war bei den Weltmeisterschaften 2011, 2015 und 2019 dabei, aber auf den Europameisterschaften lastete ein Fluch.

Tränen nach dem ersten EM-Tor

Er schien endlich gebannt. Obwohl sie im vergangenen Jahr einen Knorpelabriss im Knie erlitt, sie in der Reha mehrere Rückschläge erlebte, noch einmal operiert werden musste, gab Popp nicht auf. Der Gedanke, dass sie erneut eine EM verpassen würde, hätte die Coronavirus-Pandemie nicht für eine Verschiebung des Turniers um ein Jahr gesorgt, er schwirrte ihr im Kopf herum. Sie wollte von der Verzögerung profitieren, sie wollte unbedingt endlich dabei sein. Im April gab sie ihr Comeback bei den Wolfsburgerinnen, mehr als zehn Monate hatte sie nicht gespielt, im Nationalteam sogar 17 Monate lang nicht. Gegen Portugal wurde sie eingewechselt, Svenja Huth streifte ihr die Kapitänsbinde über - und am Ende weinte Popp. "Man sieht mich selten weinen", sagte sie dem NDR, "aber in dem Moment sind tatsächlich die Tränen gekullert." Tränen kamen ihr auch nach ihrem ersten EM-Tor, dem 4:0 gegen Dänemark. Nachweis dafür, wie viel Emotionen in diesem Turnier stecken.

Nicht einmal eine Corona-Infektion im Vorbereitungstrainingslager in Herzogenaurach konnte sie noch aufhalten. Sie spielte - und wie. Nach vier Toren in vier Spielen hatte die Kapitänin einen neuen EM-Rekord aufgestellt, im Halbfinale gegen Frankreich traf sie gleich doppelt, sechs Tore in fünf Partien. Das Satireportal "Der Postillon" witzelte bereits, Männer-Bundestrainer Hansi Flick würde sie für die WM als "Alexander Papp" nominieren, sie reagierte darauf gut gelaunt mit aufgeklebten Schnauzbart und umgedrehter Basecap auf dem Kopf bei einer Pressekonferenz. Ihre Teamkolleginnen lobten sie in höchsten Tönen, sie wurde von allen für dieses Turnier gefeiert, dem sie ihren Stempel aufgedrückt hatte. "Für mich hätte es nicht besser laufen können", bilanzierte Popp daher. Mit einem dicken Aber: "Trotz alledem habe ich wieder einen Nackenschlag bekommen."

Beim Abschlusstraining am Samstag seien die muskulären Probleme im vorderen Oberschenkel aufgetreten, "tatsächlich beim letzten Schuss", sagte Popp. "Da hatte ich schon kein so optimales Gefühl." Ein Lauf zum Testen am Morgen, das Warmmachen auf dem Rasen des Wembley-Stadions - dann die Gewissheit: Einsatz unmöglich. "Ich konnte keinen Pass auf längere Distanz spielen, ich konnte nicht richtig aufs Tor schießen, was irgendwie fester als ein Rückpass war, das hätte einfach keinen Sinn gemacht", erklärte die Wolfsburgerin. "Es müssen elf fitte Spielerinnen auf dem Platz stehen, um möglichst zu gewinnen." Eine harte Entscheidung, auch für Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg: "Dafür gebührt ihr der allergrößte Respekt. In einem Finale, nach so einem Turnier, nach so einer Geschichte zu sagen 'Ich spiele nicht', das zeichnet große Persönlichkeiten aus."

"Es macht Lust auf mehr"

Statt Popp rückte Lea Schüller zurück in die Startelf, selbst nach dem Auftaktspiel positiv auf Corona getestet und für eine knappe Woche isoliert. Auch so eine Geschichte dieses Turniers, bei dem auch die bis zum Viertelfinale gesetzte und glänzend spielende Offensivfrau Klara Bühl dem Virus zum Opfer fiel und das Finale nun immerhin freigetestet, aber nur auf der Tribüne verfolgen konnte. Nun ist Schüller, die Bundesliga-Torschützenkönigin, die noch am Vormittag den Preis des "Kicker" als Fußballerin des Jahres erhalten hatte, ein ganz anderer Spielertyp als Popp. Und vor allem: Sie ist eben nicht Alexandra Popp. Vor ihr hatten die Engländerinnen wohl am meisten Respekt, sie war auch von der Presse als die ärgste Gegnerin ausgemacht worden, die zwischen der Heimmannschaft und dem so lang ersehnten ersten Titel stehen könnte. "Es hätte wahrscheinlich was ausgelöst, wenn Poppi gespielt hätte", sagte auch die Bundestrainerin. "Aber es ging eben nicht. Wir wollen immer als Mannschaft gewinnen oder verlieren."

Während also die deutschen Journalisten nur wenige Sekunden vor dem Einlaufen der Teams zu den Nationalhymnen eine traurige Botschaft zu überbringen hatten, dürfte sich bei den Engländerinnen Erleichterung breit gemacht haben. Ein enormer psychologischer Vorteil, wenn die gegnerische Kapitänin fehlt. Popp dehnte sich zwar auch während des Spiels noch, immer wieder wurde darüber gerätselt, ob sie vielleicht doch noch würde eingewechselt werden können. Doch nein, das Märchen, das ihr bei diesem Turnier gelungen war, es sollte kein Happy End haben. Nicht für sie persönlich, nicht für ihr Team. Mit dem Pokal in der Hand tanzten am Ende die Engländerinnen über den Platz, vorbei an 87.192 Zuschauern, die ihren lautstarken Teil zum Happy End für die Gastgeberinnen beigetragen hatten.

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Statt Popp wird Mead die beste Torschützin des Turniers. Sie hat zwar mit sechs Treffern genauso viele erzielt wie die Deutsche, zudem aber auch noch fünf Assists beigesteuert. Auch den Titel als Spielerin des Turniers kann ihr Popp nicht mehr streitig machen.

Doch die deutsche Frontfrau blickt schon voraus. "Wir können sehr, sehr stolz auf uns sein, was wir für ein Turnier gespielt haben. Wir haben allen gezeigt, was wir für eine tolle Mannschaft sind. Es macht mich stolz, hier dabei gewesen zu sein, es macht Lust auf mehr." Ja, das ist eine Kampfansage. In einem Jahr findet bereits die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland statt. Einen WM-Titel hat Popp auch noch nicht gewonnen. Da könnte der Fußballgott doch mal ein Einsehen haben.

Quelle: ntv.de

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