Die ewigen Zweifel bleiben Warum es so schwer ist, Özil zu lieben

Verkanntes Genie? Mesut Özil hat in Deutschland viele Fans, aber auch viele Kritiker.

Verkanntes Genie? Mesut Özil hat in Deutschland viele Fans, aber auch viele Kritiker.

(Foto: imago/Ulmer/Teamfoto)

Lukas Podolski kann im Prinzip machen, was er will. Der "Poldi" wird geliebt, selbst wenn er schlecht spielt. Auch Mesut Özil kann machen, was er will - selbst gut spielen. Nur wird das immer kritisch begleitet. Aber warum ist das so?

Hat er es denn jetzt nicht wirklich allen gezeigt? Eine Passquote von 98,5 Prozent (68 Pässe), sechs exzellent vorbereitete Torchancen beim 1:0-Erfolg gegen Nordirland und nur ein Anspiel, das nicht den Weg zum gewünschten Mann gefunden hat. Reicht das nicht, um die ewige Kritik an Mesut Özil endlich einmal verstummen zu lassen? Gegen den letzten Gruppengegner der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hat der 27-Jährige in den Augen der Uefa ein so gutes Spiel gemacht, dass er zum "Man of the Match" gewählt wurde. Eine schöne Auszeichnung. Und hätte sie beispielsweise der ebenfalls auffällige Joshua Kimmich bekommen, er wäre dafür gefeiert worden. Nicht aber Özil.

Spieler des Spiels: Gegen Nordirland kürte die Uefa Özil zum besten Mann auf dem Platz.

Spieler des Spiels: Gegen Nordirland kürte die Uefa Özil zum besten Mann auf dem Platz.

(Foto: imago/ActionPictures)

Es war ja nur Nordirland. Gegen einen solch überforderten Gegner kann jeder glänzen. Die Häme für den Spielmacher des FC Arsenal in den sozialen Medien - wo er übrigens so viele Follower (Fans) hat wie kaum ein anderer Fußballer - könnten kaum zynischer und bösartiger ausfallen. Aber warum eigentlich? Was hindert die meisten Fans der deutschen Nationalmannschaft daran, den gebürtigen Gelsenkirchener genauso zu "lieben" wie einen Lukas Podolski, einen Thomas Müller oder neuerdings auch einen Jérôme Boateng? Nun vielleicht liegt das daran, dass niemand das Spiel von Özil wirklich versteht.

Bei Podolski weiß jeder, was zu erwarten ist: einen strammen Schuss mit der linken Klebe. Müller steht für das Unberechenbare, für das stets torgefährliche Rumlungern im Stadion-Nirwana (auch wenn's damit gerade etwas stockt). Und Boateng? Der räumt alles und jeden aus dem Weg, der auch nur einen vagen Versuch startet, bis zu Manuel Neuer durchzubrechen. Aber wofür steht Özil? Für Pässe, für Torvorbereitungen - na klar. Bei Bremen war er einst bester Vorlagengeber, bei Real Madrid auch. Und in der abgelaufenen Saison hat er bei den "Gunners" den Allzeit-Ligarekord der Klublegende Thierry Henry (20 Vorlagen in einer Saison) nur ganz knapp verfehlt (19).

Schmale Schultern, gesenkter Gang

Alles gut also, oder nicht? Nein, an dem Londoner scheiden sich weiter die Geister. Und schuld daran ist ein kleines bisschen auch der Bundestrainer. Denn Joachim Löw schwärmt in den höchsten Tönen von seinem "Zehner". Und das seit jeher. Bei der EM 2012 kündigte er nach schwacher Özil-Vorrunde eine Explosion seines Spielmachers, es folgte die Implosion gegen Italien. Vor dem laufenden Turnier lobte Löw, "Özil sei in einer herausragenden Verfassung". Und mit seiner herausragenden Technik extrem wertvoll für die Mannschaft und besser als beim WM-Triumph 2014. Und Özil selbst kündigte vor der EM in einem Interview mit dem "Kicker" an, dass er der ganzen Welt zeigen wolle, was in ihm steckt.

Solch angestimmte oder selbst verfasste Hymnen schüren natürlich Erwartungen. Nach einem, der das Spiel lenkt zum Beispiel, einem wie Italiens ehemaligen kunstvollen Strategen Andrea Pirlo. Nach einem, der den Ball umschmeichelt wie einst der legendäre Franzose Zinedine Zidane. Oder aber nach einer großen Spielmacher-Persönlichkeit, einem Typen wie Stefan Effenberg. All das ist Mesut Özil nicht. Er ist kein Alleinentscheider. Kein Mitreißer. Kein Anführer. Mit seinen schmalen Schultern, seinem stets leicht gesenkten Gang, seinem unsicher wirkenden Blick und seiner oft teilnahmslos daherkommenden Körperhaltung treibt er viele Fans der Nationalmannschaft reihenweise zur Verzweiflung.

Zu Unrecht, wie einer findet, der ihn bestens kennt: sein Schalker Jugendcoach Norbert Elgert. Im Gespräch mit n-tv.de erklärte er im vergangenen Hebst: "Mesut ist ein herausragender Fußballer, darüber brauchen wir nicht zu sprechen. Die Kritik an ihm liegt vielleicht in seiner Körpersprache begründet. Aber die wird für mein Empfinden auch falsch gelesen und interpretiert. Er ist immer zu 100 Prozent bei der Sache. Er hat früher nicht so intensiv gegen den Ball gearbeitet. Das hat er deutlich verbessert."

"Ich bin wütend über seinen Wechsel"

Und auch Cristiano Ronaldo, selbst ernannter Fußballweltbester aller Zeiten, kann die Kritik an Özil nicht verstehen. Nach dessen Transfer von Real Madrid zum FC Arsenal im Sommer 2013 fluchte der Portugiese in den spanischen Medien: "Sein Weggang ist eine sehr schlechte Nachricht für mich. Ich bin wütend über seinen Wechsel." Er könne nicht nachvollziehen, so sagte er damals, dass man "einen Spieler, der den Unterschied macht", abgibt. Der deutsche Nationalspieler hatte in seinen drei Jahren insgesamt 27 Treffer von Ronaldo unmittelbar vorbereitet

Doch nicht jeder Fußballexperte gerät beim Spiel von Özil ins Schwärmen. Nach den zwei eher unauffälligeren Auftritten zu Beginn der EM gegen die Ukraine (2:0) und Polen (0:0) hatten unter anderem die ehemaligen Nationalspieler Mehmet Scholl und Mario Basler verbal hart auf den Spielmacher eingedroschen. Der fühlte sich danach in der Pflicht, via "Bild"-Zeitung mitzuteilen, dass ihm diese ganze Kritik ziemlich wumpe sei: "Es tut mir leid, aber ganz ehrlich: Es ist mir egal, was andere sagen. Wenn ein Ex-Spieler oder sonst wer in die Schlagzeilen will - das prallt an mir ab. Die Meinung des Trainers zählt. Herr Löw sagt mir die Wahrheit, was stimmt und was nicht."

Über Vorwürfe wie mangelnde Körpersprache mache er sich überhaupt keine Gedanken. "Wir bekommen ja immer unsere Statistiken. Wie viel man läuft, wie viele Sprints. Da können Sie auch den Bundestrainer fragen, da gehöre ich immer zu den Top fünf", betonte Özil: "Das andere ist doch auch einfach eine persönliche Sache, eine Ausstrahlung. Jeder steckt in seiner Haut." Dass er einen Tag nach der Generalansage an all seine Kritiker nicht zur obligatorischen Pressekonferenz des DFB erschien – und es auch keine offizielle Erklärung dafür gab, dass er das nicht tat – nun, es macht es nicht leichter, sich Mesut Özil zu erschließen.

Uneinsichtiges Riesenego? Sensibles Fußballgenie? Unverstandener Feingeist? Überbewerteter Spielmacher? Es ist verdammt schwer, Mesut Özil richtig zu deuten – und ihn zu verehren.

Quelle: ntv.de

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