Neuer Schwung, altes Problem Löw hadert und bastelt an seiner EM-Elf
22.06.2016, 13:00 Uhr
Es weht ein frischer Wind - doch es sind nicht alle Mankos behoben.
(Foto: imago/Matthias Koch)
Auf der Suche nach einem Team, das bei dieser Fußball-EM reüssieren kann, kommt Bundestrainer Joachim Löw beim Sieg gegen Nordirland einen Schritt weiter. Wenn da nicht die Verschwendungssucht seiner Offensivkräfte wäre.
Man hätte sich den Bundestrainer als zufriedenen Menschen vorgestellt. Schließlich ist sein Plan aufgegangen. Die deutsche Fußballnationalelf hat ihr letztes Spiel der Vorrunde gegen Nordirland mit 1:0 (1:0) gewonnen, ist als Sieger der Gruppe C ins Achtelfinale der Europameisterschaft eingezogen, kann sich nun zurücklehnen und darauf warten, wer da am kommenden Sonntag in Lille (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) auf sie zukommt. Und vor allem hatte sich das DFB-Team an diesem Dienstagabend im Pariser Parc des Princes viel mehr Torchancen erspielt als in den beiden ersten Partien zusammen. Spielerisch war das ein Fortschritt. Doch Joachim Löw war sauer, er war unzufrieden mit seiner Mannschaft.
Zumindest musste das denken, wer ihn direkt nach dem Abpfiff im Fernsehen sah. "Wir hätten zur Pause 3:0 oder 4:0 führen müssen. Mit dem Ergebnis bin ich nicht zufrieden. Wir hätten vor dem Tor zielstrebiger und konsequenter sein müssen. Spielerisch war es gut, wir hätten es aber viel früher klar machen müssen", sagte er in der ARD. Und überhaupt: "Damit kann man nicht spaßen. Da müssen wir auch mal das Tor treffen!" Damit dürfte er vor allem Thomas Müller gemeint haben, der den Pfosten, die Latte und den nordirischen Torhüter Michael McGovern traf, aber nicht das Tor. Aber nachdem der Trainer nach dem gerade offensiv viel schwächeren 0:0 im zweiten Spiel gegen Polen noch mit aller Kraft versucht hatte, der Öffentlichkeit zu suggerieren, alles sei im Lot, klang das doch arg harsch.
"Auch mal über die Außen kommen"
Hatte seine Mannschaft denn nicht gerade einen Schritt in die richtige Richtung gemacht? Doch, hatte sie. Und waren seine Personalwechsel denn keine gute Idee? Doch, waren sie. Und keine halbe Stunde später präsentierte sich Löw auf der Pressekonferenz dann ungleich milder und war ganz angetan von seinen Entscheidungen. So hatte er, statt den Schalker Innenverteidiger Benedikt Höwedes zum dritten Mal bei diesem Turnier in Frankreich mit der Aufgabe zu betrauen, am rechten Ende der Viererabwehrkette zu verteidigen, den erst 21 Jahre alten Joshua Kimmich in sein zweites Länderspiel geschickt. Das war eine gute Idee, den Münchner, von Josep Guardiola beim FC Bayern zur Polyvalenz erzogen, drängte es unbekümmert nach vorne, seine Flanken fanden meist einen Kollegen. In der Abwehr gab es ja wenig bis nichts für ihn zu tun.
Sehr zufrieden sei er mit ihm, sagte Löw. Schließlich sei Kimmich geradezu prädestiniert für Spiele gegen ultradefensive Mannschaften - und mithin geeigneter als Höwedes. "Da ist immer auch eine andere Lösung gefragt. Wir hatten 80 Prozent Ballbesitz. Da müssen wir die Breite nutzen, wir müssen hoch gehen - und auch mal über die Außen kommen." Und genau das hatte Kimmich gemacht, ebenso, wenn auch nicht ganz so nachdrücklich, der Kölner Jonas Hector auf der linken Seite. Und auch die weiteren Rochaden zahlten sich aus. Mario Gomez kam für Julian Draxler in die Startelf, dafür rückte Mario Götze auf die linke Seite. Zudem tauschten Müller und Mesut Özil die Plätze, will meinen: Müller spielte zentral, Özil auf der rechten Seite - und schon lief vieles besser, schneller, reibungsloser, kam die Offensivmaschinerie endlich ins Rollen, vor allem im letzte Drittel. Löw scheint eine Konstellation gefunden zu haben, mit der er möglicherweise durch dieses Turnier geht.
"Manchmal ein bisschen Pech gehabt"
Insgesamt bot die deutsche Mannschaft gegen einen allerdings harmlosen Gegner den 44.125 Zuschauern im Prinzenpark einen recht erfrischenden Fußball. Mitreißender, und das ein ordentliches Stück, waren nur die Fans der Nordiren, die auch nach dem Abpfiff keine Lust hatten, das Stadion zu verlassen und noch eine halbe Stunde später ihre Spieler feierten, als hätten sie gerade den Titel gewonnen. Trainer Michael O'Neill formulierte es hinterher so: "Wir habe gegen den Weltmeister so niedrig wie möglich verloren." Und genau das ist der Punkt. Das schmeckte Löw dann doch nicht. Und so wiederholte er in der Sache zwar seine Kritik an der Verschwendungssucht seiner Offensivkräfte, formulierte sie aber nun gewohnt sachlich - und erst, nachdem er aufgezählt hatte, was alles gut war.
Und Müller direkt wollte er nicht kritisieren. Vielmehr sei der ja sehr oft zum Abschluss gekommen. "Das war gut, er hatte, glaube ich, auch drei, vier große Chancen, und manchmal ein bisschen Pech gehabt." Kurzum: Fast das gleiche Personal wie in den beiden Spielen bei dieser EM zuvor sorgte nach einigen Positionswechseln für neuen Schwung - und offenbarte doch die alten Probleme. Denn dass diese Mannschaft Chancen kreieren kann, hat sie oft genug bewiesen. Es gab Zeiten, das verließ sie sich darauf, dass bei der Fülle an Gelegenheiten schon irgendwann ein Tor fällt. Dieser Sorglosigkeit scheint der Bundestrainer bei diesem Turnier aus gutem Grund zu misstrauen. Einer wie Miroslav Klose ist schließlich nicht mehr dabei. Da wäre also, zumal in der K.-o.-Runde, ein wenig mehr Effizienz schon förderlich, soll es mit dem Ziel klappen, das Endspiel am 10. Juli in Saint Denis zu erreichen. Aber jetzt haben sie ja fast vier Tage Zeit, das im Training ein wenig zu üben.
Zumal die möglichen Gegner im Achtelfinale auch nicht gerade ein furchteinflößendes Kaliber haben. Nach dem Stand der Dinge läuft viel auf die Slowakei oder Albanien hinaus. Der Bundestrainer jedenfalls beteuerte zum Schluss auf Nachfrage, dass er sich keine Sorgen mache, erst recht nicht um einen wie Müller. "Sorgen hätte ich mir gemacht, wenn er jetzt keine Chance gehabt hätte. Dann hätte ich mir logischerweise ein paar Gedanken mehr machen müssen, wie man das beheben kann." Aber so war es ja nicht, "Sobald ein Stürmer eben auch die Chancen hat, ist das ein gutes Zeichen für ihn, für unsere Kombinationen und für unsere Spielweise. Und das war auf jeden Fall gut. Heute war er nahe dran, ich denke, dass es das nächste Mal klappt." Sprach's - und wirkte auf einmal sehr zufrieden.
Quelle: ntv.de