Kapitänin und FIFA-Covergirl Tränen des Superstars erschüttern WM-Gastgeber

Kerrs Tränen trocknen, der Schmerz bleibt.

Kerrs Tränen trocknen, der Schmerz bleibt.

(Foto: IMAGO/Uk Sports Pics Ltd)

Es soll die Weltmeisterschaft von Sam Kerr werden. Beim Turnier in Australien und Neuseeland liegen die Hoffnungen der Australier auf ihrem Fußball-Superstar. Die Chelsea-Stürmerin debütiert mit 15 Jahren im Nationalteam, ist auf dem Cover von FIFA 23 abgebildet. Doch dann fehlt sie verletzt: ein Drama.

75.784 Fans im Stadion, Millionen an den TV-Schirmen, nur Minuten bis zum Anpfiff des australischen Eröffnungsspiels gegen Irland bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Down Under. Die Euphorie ist riesig, schon Stunden vor der Partie drehen Australier auf den Straßen Sydneys durch vor Freude, es wird das meistbesuchte Spiel eines australischen Frauenteams werden, das jemals stattgefunden hat. Die Matildas gehören zu den Mitfavoritinnen auf den WM-Titel - beim Turnier im eigenen Land. Das liegt auch und vor allem an Superstar Sam Kerr. Und was macht die Stürmerin Minuten vor dem Spiel? Sie vergießt Tränen.

Es liegt nicht an überbordender Nervosität bei der 29-Jährigen, nein, es ist die größtmögliche Tragödie eingetreten. Kerr, die Kapitänin, das Aushängeschild, ist verletzt. Ausgerechnet im Abschlusstraining hat sich die Stürmerin vom englischen Meister und FA-Cup-Sieger FC Chelsea eine Wadenverletzung zugezogen, wird mindestens auch das zweite Gruppenspiel gegen Nigeria verpassen. Und so steht sie im türkisfarbenen Trainingsanzug und mit Sneakern an der Seitenlinie, hat den Kopf gesenkt und weint.

Es ist ein Schock - für das Team, für Australien und sogar für die irische Nationaltrainerin Vera Pauw. Es ist ein ähnlicher Schock, wie ihn das DFB-Team im vergangenen Sommer vor dem EM-Finale verkraften musste, als Kapitänin Alexandra Popp ausfiel, weil sie sich ebenfalls im Abschlusstraining verletzt hatte. Die Deutschen hielten die dramatische Nachricht vor einem Jahr geheim und genauso machten es die Australier um Chefcoach Tony Gustavsson. Erst mit Bekanntwerden der Startaufstellung war klar, dass Kerr fehlen wird. Noch bei der Abschlusspressekonferenz am Mittwoch hatten sich weder Gustavsson noch Kerr etwas anmerken lassen.

"Sam und das Team emotional schützen"

"Zunächst einmal hoffe ich, dass Sie und die Medien die Position verstehen, dass wir nichts gesagt haben", sagte Gustavsson bei Channel 7. "Einige Leute mögen sich fragen, warum wir in der Pressekonferenz nicht ehrlich waren. Wir hatten auch nicht alle Informationen. Wir warteten zu diesem Zeitpunkt auch auf die Untersuchungsergebnisse." Zum anderen ging es den Australiern natürlich auch um etwas anderes: "Vieles ist eine Frage der Taktik, und man will ja nichts verraten. Sam ist ein wichtiger Teil unserer Spielweise und der irischen Spielweise." Und abschließend: "Wir wollten Sam und das Team emotional schützen, um nicht alle Fragen beantworten zu müssen."

Kerr selbst schrieb kurz vor dem Spiel bei Instagram, dass sie ausfallen werde: "Ich wollte dies mit allen teilen, damit es keine Ablenkung von dem gibt, was wir hier erreichen wollen." Denn sie weiß, dass sie alles überstrahlt. Die in der Nähe von Perth im Westen Australiens geborene Frau ist mit 63 Toren in 120 Spielen die Rekordtorschützin der Matildas, mit gerade einmal 15 Jahren gab sie ihr Debüt im Nationalteam. Seit 2020 beim FC Chelsea und hat sich spätestens dort zu einer der besten Spielerinnen der Welt entwickelt. Sie ist in der engeren Auswahl für den Ballon d'Or und sogar schon seit 2017 regelmäßig für die Wahl zur besten FIFA-Frauenfußballerin nominiert. Im Jahr 2019 war Kerr die erste Australierin, Männer oder Frauen, die bei einer Weltmeisterschaft einen Hattrick erzielte.

Kerr, die ihre Tore mit einem Rückwärts-Salto feiert, ist über die Grenzen des Fußballs der Frauen hinaus bekannt. Als erste Spielerin überhaupt ziert Kerr das weltweite Cover des erfolgreichen Fußball-Videospiels FIFA 23. Was ihr noch fehlt: ein internationaler Titel. Weder mit dem FC Chelsea und erst recht nicht mit Australien ist ihr dies gelungen. Mit Chelsea verlor sie 2020/21 das Finale der Champions League gegen den FC Barcelona (0:4), mit Australien verliert sie das kleine Finale um Platz drei bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio gegen die amtierenden Weltmeisterinnen aus den USA (3:4).

Team gewinnt auch für Kerr

Die Hoffnungen bei der Heim-WM sind groß, die Zehnten der FIFA-Weltrangliste spekulieren auf den großen Coup. Nun aber kann Kerr nicht zu einem erfolgreichen Auftakt beitragen. Statt Kerr trägt Stephanie Catley die Kapitänsbinde um den Arm, sie führt die Matildas bei ihrem größten Spiel auf den Platz des Stadium Australia in Sydney. Und Catley ist es auch, die die Australier jubeln lässt: In der 52. Minute schießt sie das entscheidende 1:0 per Foulelfmeter. Zuvor war sie von Irlands Stürmerin Mariss Sheva etwas ungestüm geschubst worden. "Ich hatte das Gefühl, dass ich einen bekommen würde. Ich weiß nicht, warum. Als ich heute Morgen aufgewacht bin, dachte ich: 'Ich habe das Gefühl, dass ich heute einen Strafstoß schießen werde'", sagte Catley nach dem Spiel.

Vorher aber spricht sie über Kerr: "Es war hart; ich glaube, es war wahrscheinlich einer der herzzerreißendsten Momente meiner Karriere", so Catley über den Ausfall ihrer Teamkollegin. "Sam ist eine der besten Spielerinnen der Welt. Sie ist unsere Anführerin. Sie bedeutet so viel für dieses Team. Dass sie nun einen Tag vor einem solchen Moment ausfällt, ist ziemlich schrecklich. Aber ich denke, als Team hat sie uns etwas gegeben. Es hat uns ein Feuer gegeben, es hat uns ein bisschen mehr Kampf gegeben. Ich glaube, jeder hat das gesehen und gesagt: 'Jetzt muss ich ran, denn wir haben Sam nicht'."

Mehr zum Thema

Vor der Partie ist es Kerr, die ihr Team einstimmt, berichtet Gustavsson hinterher: "Sam hat gesagt, es gehe nicht um sie, es gehe um uns, um das Team. Die Art und Weise, wie Sam die Ansprache in der Umkleidekabine und auch heute gehalten hat, bedeutet viel für die Mannschaft, auch wenn sie nicht auf dem Platz steht." Catley ergänzt: "Sam ist immer noch da, sie hat immer noch einen Einfluss auf die Mannschaft. Sie ist bei jeder Besprechung dabei. Sie ist in der Halbzeitpause da und spricht mit allen. Sie hält die Ansprache vor dem Spiel. Sie ist Sam und sie ist immer noch bei uns, also werden wir alles tun, was wir können, um so weit wie möglich zu kommen, und dann sehen wir Sam Kerr hoffentlich später wieder."

Die TV-Zuschauer sehen sie schon während des Spiels gegen Irland immer wieder, die Kameras fokussieren sich auch auf die 29-Jährige auf der Ersatzbank. Deutlich ist: Die Tränen sind getrocknet. Und nach dem Spiel kann sie wieder lachen. Gemeinsam mit ihren Teamkolleginnen feiert sie den Auftaktsieg und herzt sie alle.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen