Die Führung währt nur kurz, aber die Freude ist immens.
(Foto: AP)
Frauen dürfen nichts, am Besten nicht einmal im öffentlichen Leben existieren - so die Meinung der Taliban. Doch im Exil lebende Afghaninnen wollen das nicht hinnehmen. Auch der Fußball dient als Sprachrohr. Afghan Women United ist ein Hoffnungsschimmer - und wird jetzt von der FIFA unterstützt. Erstmals seit 2021 spielen sie wieder.
Ein Foul. Ein Pfiff. Elfmeter. Verwandelt. 1:0 in der vierten Spielminute. So weit, so normal. So kann ein Fußballspiel schon mal beginnen. Doch in diesem Fall ist es alles andere als normal. Denn Torschützin ist Manozh Noori. Angetreten für das Team Afghan Women United - dem inoffiziellen Frauen-Nationalteam Afghanistans.
Es ist das erste Mal seit 2021, dass die afghanischen Frauen Fußball spielen. Können und dürfen. Seit der Machtergreifung der Taliban. Nach jahrelangem Kampf der Spielerinnen um Aufmerksamkeit und Anerkennung ist es beim von der FIFA ausgerichteten Freundschaftsturnier "FIFA Unites: Women's Series" soweit.
Und dann dieser Start. "Es war ein Moment des Glücks für alle", sagt Manozh Noori nach der historischen Partie gegen den Tschad bei DW. "Alle meine Teamkollegen kamen zu mir und umarmten mich. Es war ein großartiger Moment für uns alle. Ich widme dieses Tor allen Menschen in Afghanistan, denn sie verdienen dieses Glück."
Vereinigte Arabische Emirate verweigern Visa
Ein Glück, eine Freude, die selbst vom 1:6-Endstand nur kurz getrübt wird. Bis kurz vor der Halbzeit hielt Afghanistan die Führung, doch dann glich Tschad aus, um dann in Halbzeit zwei alles klarzumachen. Ein Team, das gerade frisch zusammengestellt ist, muss sich dem Team geschlagen geben, das immerhin seit 2019 besteht und an der Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 und 2024 teilnahm. Dennoch gibt es betrübte Minen bei den Afghaninnen kurz nach dem Spiel - dabei haben sie allen Grund, stolz zu sein. Dass dieses Spiel überhaupt stattfindet, ist ihr Sieg.
Einer, der in der Vorwoche plötzlich in Gefahr ist. Denn offenbar wäre die Austragung des Turniers fast noch geplatzt. Die afghanischen Fußballerinnen haben in Australien, Großbritannien, Portugal und Italien Zuflucht gefunden, reisen entsprechend aus verschiedenen Orten zum Turnier, das in den Vereinigten Arabischen Emiraten stattfinden soll. Am 11. Oktober soll es für sie ins Trainingslager nach Dubai gehen, sie stehen schon an den Flughäfen als sie erfahren: Die Emirate lehnen die Visaanträge ab. Die FIFA teilt ihnen mit, dass sie nicht an Bord der Flugzeuge gehen dürfen, meldet der "Guardian". Eine offizielle Begründung für die Visa-Ablehnung gibt es bislang nicht, doch die Emirate unterhalten diplomatische Beziehungen zu den Taliban.
Schreckliche Erinnerung an Flucht
Für die Spielerinnen ein aufwühlendes Erlebnis. Schließlich waren sie im Jahr 2021 unter extrem gefährlichen Umständen über den Flughafen Kabul aus Afghanistan geflohen als die letzten westlichen Militärflüge starteten. "Am Ende haben wir mehr als 600 Spielerinnen aus Afghanistan herausgebracht", bilanzierte die frühere Teamkapitänin und Aktivistin Khalida Popal. Einige von ihnen quasi in letzter Sekunde. Dahinter steckte schon beinahe eine Geheimoperation. Daran beteiligt: Ein weltweites Netzwerk um die bereits 2016 nach Dänemark geflüchtete Popal, den früheren Kapitän der australischen Nationalmannschaft und heutigen Menschenrechtsaktivisten Craig Foster, einer Menschenrechtsanwältin, Vertreter der internationalen Spielergewerkschaft FIFPro und Helfern der US-Marine. Mehr als 50 bekamen Visa für Australien. Die meisten mussten ihre Familien zurücklassen. Nun die Erinnerung an diese lebensbedrohliche Situation.
Die FIFA teilte dazu mit: "Wir sind uns bewusst, dass die Umstände, die auf Faktoren zurückzuführen sind, die außerhalb der Kontrolle der FIFA liegen, schwierig gewesen sein mögen und Auswirkungen auf einige Spielerinnen und Mitarbeiter hatten. Wie schon während des gesamten bisherigen Verlaufs dieses Projekts hat das Wohlergehen aller Spielerinnen und Mitarbeiter für die FIFA oberste Priorität und wird dies auch weiterhin haben." Es gebe Schutz- und Wohlfühlangebote für das Team.
Und die schnelle Reaktion: Marokko springt als Austragungsort ein. Statt den Frauen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten tritt Tunesien beim Viererturnier an, um die Mannschaften zu vervollständigen. Erst am Mittwoch fliegen die Afghaninnen nach Marokko - die in Australien lebenden Spielerinnen haben eine Reisezeit von mehr als 30 Stunden. Die mentale und physische Erschöpfung, der Jetlag. Und dann schon am Sonntag das erste Spiel.
FIFA ändert ihren Kurs
Es geht schnell. Nach so vielen Jahren des Stillstands. Noch 2023 - als die FIFA die Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland ausrichtet - gibt es keinerlei positive Zeichen an die Afghaninnen. Dabei spielte in Melbourne ein Team, das nur aus Afghaninnen besteht: Melbourne Victory FC AWT. Nur sechs Kilometer weg vom WM-Stadion trainierten sie - und wurden von der FIFA nicht beachtet.
"Es ist traurig, dass die FIFA uns komplett ignoriert. Es ist wirklich enttäuschend", hatte Spielerin Mursal Sadat damals ntv.de gesagt. "Wir trainieren, wir meistern all die Schwierigkeiten, wir haben sogar die Gefahren Afghanistans überwunden, wir wollen einfach nur unser Land repräsentieren. Wir wollen Stellvertreterinnen sein für Millionen von Mädchen und Frauen in Afghanistan, aber wir haben nicht einmal die Möglichkeit, als Team bei den Turnieren der FIFA mitzuwirken. Wir dürfen kein Teil der FIFA-Gemeinschaft sein."
Das hat sich inzwischen geändert. Auch, weil die Spielerinnen nie aufgegeben haben. Melbourne-Torhüterin Fatima Yousufi berichtete bei einer Frauenfußballkonferenz in Los Angeles von ihrem Wunsch einer Nationalmannschaft. Sie war eine der Spielerinnen, die im letzten Spiel vor der Machtergreifung der Taliban für Afghanistan antraten. Auch Popal und andere engagieren sich immer weiter.
Mit Erfolg: Im Mai dieses Jahres beschließt das FIFA-Council, den Fußball für afghanische Frauen zu fördern. Im Anschluss wird die Schottin Pauline Hamill als Trainerin benannt, in mehrtägigen Trainingslagern in Sydney und Burton upon Trent in England werden 23 Spielerinnen ausgewählt, die das Flüchtlingsteam bilden. 13 von ihnen entstammen dem Melbourne-Team, auch Mursal Sadat und Fatima Yousufi haben es geschafft.
Unterdrückung der Taliban ist vernichtend
"Mädchen in Afghanistan haben derzeit keinerlei Rechte. Sport zu treiben ist vielleicht ein weit entfernter Traum, aber ein ganz einfacher Traum ist es, zu lernen und eine Ausbildung zu erhalten, und das haben sie nicht", sagt Fatima Yousufi zu DW. "Es ist einfach die größte Motivation für uns, dies für all diese Mädchen zu tun. Wir zeigen ihnen, dass ihre Träume berechtigt sind." Wie dramatisch die Situation für Frauen in Afghanistan ist, belegt die Einschätzung der Vereinten Nationen: Die Taliban ist demnach "näher denn je daran, die Vision einer Gesellschaft zu verwirklichen, in der Frauen vollständig aus dem öffentlichen Leben verschwunden sind".
Doch Afghan Women United macht Mut. Es geht um weit mehr als ein Fußballspiel. Auch wenn das Team das nächste bereits im Fokus hat. Trainerin Hamill sagte: "Es ist sehr schwierig, wenn man vier Jahre lang keinen internationalen Fußball gespielt hat, das Niveau einzuschätzen, denn in dieser Zeit hat sich das Spiel stark verändert."
Hamill glaubt an ihre Spielerinnen: "Ich denke, man kann sehen, dass da Potenzial vorhanden ist. Ich glaube, es war eher ein Fall von 'Willkommen im internationalen Fußball', und jetzt geht es darum, wie wir uns weiter verbessern können. Ich denke, das ist die wichtigste Botschaft." Am Mittwoch geht es gegen Tunesien, das im ersten Spiel mit einem beeindruckenden 16:0 Libyen abfertigte. Am Samstag (beide 17 Uhr, im FIFA+-Stream) steht dann noch die Partie gegen Libyen auf dem Plan. Wer von den vier Teams die meisten Punkte holt, gewinnt das Turnier.
Es ist davon auszugehen, dass Afghan Women United es nicht sein wird. In der Versenkung verschwinden sollen sie aber trotzdem nicht. FIFA-Präsident Gianni Infantino verspricht, "weiterhin allen afghanischen Frauen zur Seite zu stehen" und "unermüdlich daran zu arbeiten, dass jede einzelne von ihnen die Unterstützung erhält, die sie verdient, um den Sport auszuüben, den sie liebt".
Wie es allerdings weitergeht, ist völlig unklar. Weil die afghanische Regierung - die Taliban - die Frauen nicht unterstützt, ist eine Teilnahme an Wettkämpfen als Vertreterinnen Afghanistans unmöglich. Es geht nur mittels des Umweges als zwar von der FIFA gefördertes, aber dennoch inoffizielles Flüchtlingsteam. Für die Frauen ist es ein großer Schritt. Aber zugleich auch nur ein Anfang.
Quelle: ntv.de
