Fußball

"So kommen wir nicht weit" DFB-Frauen haben bis zum WM-Start viel zu tun

Die Abwehr inklusive Torhüterin Berger war gegen Brasilien gefordert.

Die Abwehr inklusive Torhüterin Berger war gegen Brasilien gefordert.

(Foto: dpa)

Ein Härtetest soll das Spiel gegen Brasilien 100 Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft für die DFB-Frauen sein. Es wird ein Spiel, in dem das Team von Trainerin Martina Voss-Tecklenburg zeitweise überfordert ist. Anschließend gibt es viel Selbstkritik, aber auch Hoffnung auf ein Déjà-vu.

32.587 Fans waren absolut Willens, freudig auszurasten, das Nürnberger Max-Morlock-Stadion in eine Party-Hochburg zu verwandeln. Sie waren gekommen, weil sie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft der Frauen gegen Brasilien spielen und viel lieber noch siegen sehen wollten. Viele davon wohl angelockt vom Hype und Aufschwung seit der erfolgreichen Europameisterschaft in England. Es sollte ein Fußballfest werden, der DFB hatte mächtig dafür geworben.

Und die Interessierten waren zahlreich gekommen. Auch, weil es das letzte Spiel von Dzsenifer Marozsán werden sollte. Der 30-Jährigen, die mit ihrem 112. Länderspiel abtritt, weil nach ihrem Kreuzbandriss die Doppelbelastung aus Klub und Landesauswahl zu viel wird. Ausgestattet mit Deutschland-Fahnen durch den Fanklub Nationalmannschaft, bereit zum Feiern. Das wurde kurz vor Anpfiff bei der Ehrung Marozsáns deutlich, das wurde bei der Einwechslung Marozsáns in der 64. Minute deutlich, das wurde in der Nachspielzeit deutlich. Da verlieh ihnen Jule Brand kurzzeitig die Macht, berechtigterweise in tosenden Jubel auszubrechen. Die junge Offensivspielerin vom VfL Wolfsburg traf in der Partie des DFB-Teams gegen Brasilien in der 90.+2 Minute zum 1:2-Endstand. Zu spät, um für völlige Euphorie zu sorgen. Aber immerhin ein einigermaßen versöhnliches Ende nach einem Spiel, in dem die Brasilianerinnen über weite Strecken das Geschehen völlig in ihrer Kontrolle hatten. Versöhnt von Brand wirkten dennoch zumindest die vielen jungen Fans, die sich nach Abpfiff an der Bande drängelten, um ihren Stars möglich nahezukommen.

DFB-Team fehlt laut Voss-Tecklenburg "die Frische"

Längst nicht genug aber war der Ehrentreffer für das Team und die Trainerin. "Wir sind ganz, ganz schlecht ins Spiel reingekommen. Waren die ersten 16, 17 Minuten gar nicht auf dem Platz", sagte eine kritische Bundestrainerin in der Pressekonferenz nach dem Spiel. Martina Voss-Tecklenburg betonte genau 100 Tage vor dem Start der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland: "Wir wissen, dass wir in allen Bereichen 100 Prozent brauchen, nicht nur in der fußballerischen Qualität, sondern auch im Thema Zweikampfstärke und Widerstandsfähigkeit." Ihrem Team fehle "die Frische, wie wir sie bei der EM hatten".

Die Europameisterschaft ist der neue Gradmesser für das DFB-Team. Der Vize-Titel hat nicht nur viele neue Fans gebracht, er schürt auch Erwartungen. Daran, dass die WM bitte mindestens genauso erfolgreich wird. Doch bis dahin ist noch viel zu tun, das wissen auch die Spielerinnen. "Wenn wir so spielen, kommen wir bei der WM nicht weit", sagte Lena Oberdorf selbstkritisch. Und Alexandra Popp erklärte: "Bewusst ist uns schon, dass, mit der Art und Weise, wie wir heute gespielt haben, es bei der WM nicht reichen wird." Sie hatte das Team als Kapitänin auf den Platz geführt, musste aber wegen Schmerzen im Fuß nach der Halbzeit ausgewechselt werden. Sie hätten "vieles nicht so gemacht, wie wir es uns vorgenommen haben", sagte auch Sydney Lohmann, die für Popp ins Spiel gekommen war.

Gleichzeitig merkte die Bayern-Offensivspielerin an: "Aber vielleicht war es zum richtigen Zeitpunkt. Die Spiele haben uns gezeigt, mit welcher Härte wir bei der WM rechnen können." Sie blickte damit auch zurück auf die Partie gegen die Niederlande, die am Karfreitag dank herausragender Leistung der Torhüterinnen Merle Frohms und Ann-Katrin Berger mit einem schmeichelhaften 1:0-Sieg geendet war. Brasilien, so hatten es die DFB-Verantwortlichen vorab betont, sei ein guter Test auf dem Weg zur Weltmeisterschaft, weil die Südamerikanerinnen einen ähnlichen Spielaufbau haben, wie der deutsche Vorrundengegner Kolumbien. Zudem können die Brasilianerinnen bereits im Achtelfinale Gegnerinnen der DFB-Auswahl werden.

103 Tage bis zum ersten WM-Spiel

"Die To-do-Liste ist nicht weniger kurz geworden", sagte Voss-Tecklenburg daher auch nach der Niederlage. Sie zählte mehrere Punkte auf, die ihr Team besser machen muss. Viel zu hektisch seien die Spielerinnen zu Beginn gewesen, die Positionierung habe nicht gestimmt, vor allem bei der Ecke, nach der das 0:2 durch Ari Borges (37.) fällt, sei vieles verkehrt gelaufen. "Wir kriegen unglückliche Gegentore. Das darf in dieser Form nicht passieren", sagte auch Innenverteidigerin Sara Doorsoun. Vor allem beim zweiten Gegentreffer nach einer kurz ausgeführten Ecke war die deutsche Abwehr kollektiv zu passiv, auch Torhüterin Berger sah nicht gut aus und so segelte der Ball ohne Gegenwehr ins Tor.

"Wir sind nicht wach genug, um das auf diesem Niveau verhindern zu können. Wir müssen Fehler minimieren, weil die auf diesem Niveau bestraft werden", sagte Voss-Tecklenburg. Die schnellen und dribbelstarken Brasilianerinnen machten dem Team zu schaffen, Bälle gingen viel zu schnell verloren, viele Pass-Stafetten fanden ein jähes Ende, offensiv kam das DFB-Team gegen die kompakt stehenden Südamerikanerinnen von Erfolgstrainerin Pia Sundhage nicht an. Die Schwedin, die die USA einst zu zwei Olympia-Goldmedaillen geführt hatte und mit ihrem Heimatland bei den Olympischen Spielen 2016 erst im Finale gegen Deutschland verlor, soll nun die Rekordsiegerinnen der Südamerikameisterschaft zum WM-Titel führen. Das Spiel war laut Voss-Tecklenburg nun dazu gut, "zu mahnen, zu wissen, dass das internationale Niveau immer besser wird". 103 Tage bleiben noch bis zum deutschen WM-Start gegen Marokko (24. Juli, 10.30 Uhr im ntv.de-Liveticker).

103 Tage, in denen die Spielerinnen erst einmal zu ihren Teams zurückkehren. Schon am Samstag stehen sich viele von ihnen gegenüber, wenn der FC Bayern und der VfL Wolfsburg im Halbfinale des DFB-Pokals aufeinandertreffen. Beide Teams duellieren sich zudem um die Meisterschaft und die Niedersächsinnen spielen noch um den Einzug ins Finale der Champions League. Viele andere Aufgaben bis zum WM-Start, bis zu dem der DFB nur noch zwei Länderspiele mit noch offenen Gegnerinnen terminiert hat.

Popp: "Uns ist bewusst, was wir können"

Mehr zum Thema

Doch bei aller Selbstkritik - die nicht überzeugenden Spiele gegen die Niederlande und gegen Brasilien machen dem Team auch Mut. Weil es ein positives Déjà-vu sein könnte und weil sie selbstbewusst um ihre Stärken wissen. "Uns ist weiterhin bewusst, was wir können", sagte Popp und auch die Bundestrainerin erklärte, es sei "nicht richtig, sich grundsätzliche Sorgen zu machen". Im vergangenen Jahr gab es ebenfalls viel Skepsis vor Turnierstart. Vor genau einem Jahr hatte die DFB-Auswahl in der WM-Qualifikation gegen Serbien verloren, gegen ein Team, das sich noch nie für ein internationales Turnier qualifizieren konnte. Die Stimmung vor der EM war mau, kaum jemand traute der DFB-Auswahl Großes zu - nur die Spielerinnen selbst vertrauten in sich und verkündeten, um den Titel mitspielen zu wollen.

Und so bleiben sowohl die Bundestrainerin als auch die Spielerinnen aktuell recht entspannt. "Wir wissen, was wir zu tun haben. Wir müssen aber auch nicht panisch werden", sagte Doorsoun. Und Voss-Tecklenburg fand auch Positives in der Niederlage gegen Brasilien: "Immer wenn wir schnell in die richtigen Räume spielen, wenn wir mutig sind, hat der Gegner auch Probleme mit uns." Was fehle sei lediglich "ein Stück weit Beständigkeit, das Selbstbewusstsein muss wieder her". 32.572 Fans in Nürnberg dürften dem Team gezeigt haben, dass die Ausgangslage zur WM eine völlig andere ist als im vergangenen Jahr. Sie haben Lust, ein erfolgreiches Team spielen zu sehen. "Das ist total schön, da kommt so viel Sympathie zurück", freute sich Voss-Tecklenburg über den Zuspruch. "Es macht den Abend ein Stück weit schöner und bereichert ihn."

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen