Fußball

Infantino droht mit WM-Blackout DFB-Frauen leiden unter "obszönem Spiel" der FIFA

Es scheint möglich, dass die TV-Sender das DFB-Team allein im Regen stehen lassen.

Es scheint möglich, dass die TV-Sender das DFB-Team allein im Regen stehen lassen.

(Foto: picture alliance / BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl)

Als Vize-Europameisterinnen reisen die DFB-Frauen zur Weltmeisterschaft nach Australien und Neuseeland. Die Popularität ist groß wie nie. Dennoch ist 77 Tage vor dem ersten WM-Anpfiff nicht klar, ob die Partien in Deutschland gezeigt werden. Eine Posse, die vor allem die Spielerinnen trifft.

77 Tage bleiben noch bis zum ersten Anpfiff der Fußball-Weltmeisterschaft. Und noch immer steht nicht fest, ob sie in Deutschland im Fernsehen übertragen werden wird. Wie das sein kann? Bei Hansi Flick, Antonio Rüdiger, Joshua Kimmich und Co. wäre das unvorstellbar. Bei den DFB-Frauen offenbar nicht. Martina Voss-Tecklenburg, Merle Frohms, Alexandra Popp und Co. wären die Leidtragenden.

Am 20. Juli 2023 wird die erste Partie der WM in Australien und Neuseeland angepfiffen, doch die TV-Rechte sind in den großen europäischen Nationen noch nicht verkauft. Das ärgert eingefleischte Fans und Interessierte. Das ärgert die Nationalspielerinnen und Experten. Und das ärgert FIFA-Präsident Gianni Infantino. Dieser hat freilich das Maximum für seinen Weltverband im Sinn, möglichst viel Geld will er für die Rechte einnehmen.

Erstmals sind deswegen die Rechtevergaben zwischen Männer- und Frauen-Turnier entkoppelt worden. Bislang wurden beide Turniere zusammen verkauft, wer die Männer übertrug, bekam die Frauen gleich mit dazu. Doch die Attraktivität des Fußballs der Frauen steigt, das weltweite Interesse wird größer - und die FIFA will ganz offensichtlich die Fußball-Zitrone noch weiter auspressen.

Infantino verweist auf "moralische Verpflichtung"

Infantino macht dabei nicht einmal vor Drohungen halt. Diese treffen nicht nur Deutschland, sondern auch weitere europäische Länder. Denn auch im Land der Europameisterinnen, England, sowie in Spanien, Frankreich und Italien schwelt der Rechte-Poker. "Die Angebote der Sender, besonders aus den fünf großen europäischen Ländern, sind immer noch sehr enttäuschend und einfach nicht akzeptabel", schrieb der FIFA-Chef bei Instagram. "Es ist unsere moralische und rechtliche Verpflichtung, die Frauen-WM nicht unter Wert zu verkaufen", so Infantino. "Deshalb werden wir gezwungen sein, die Frauen-WM in den großen fünf europäischen Ländern nicht zu übertragen, sollten die Angebote weiter nicht fair bleiben."

Was "nicht fair" konkret bedeutet, ist nicht eindeutig. Laut Infantino gebe es TV-Sender, die zwischen 1 und 10 Millionen Dollar bieten. Bei den Männern seien dagegen 100 bis 200 Millionen Dollar von Konto zu Konto geflossen. Er argumentierte jüngst damit, dass die FIFA ihre Zahlungen von Prämien und Organisationskosten bei der anstehenden WM um ein Drittel im Vergleich zum letzten Turnier im Jahr 2019 anhebe. 152 Millionen Dollar sollen nun ausgegeben werden. Dies müssten auch die TV-Rechte mitfinanzieren. Die Einschaltquoten seien im Schnitt halb so hoch wie bei Männer-Turnieren, die Angebote der Sender seien jedoch 20- bis 100-mal niedriger, monierte Infantino.

Die Kritik am Hickhack ist groß: "Der ganze Prozess ist so nicht vorstellbar bei einem Männer-Turnier", sagte Ex-Nationaltorhüterin Almuth Schult dem Deutschlandfunk. "Da spielt die Fifa ein obszönes Spiel." Auch der kurze Zeitraum, in dem Angebote der TV-Sender eingereicht werden konnten, sei Teil des Problems. Die Ausschreibung war Mitte Januar gestartet und Mitte Februar bereits wieder beendet.

Großbritannien offenbar kurz vor Einigung

Die TV-Sender in Deutschland bleiben nach außen hin gelassen. ZDF-Sprecher Thomas Hagedorn hatte dem "Stern" gesagt: "Die Angebote des ZDF für den Erwerb von Sportrechten orientieren sich unter anderem maßgeblich am Marktpreis für das jeweilige Sportrecht. Der Marktwert kann unter Umständen erheblich von der preislichen Erwartungshaltung von Rechtevermarktern abweichen." Der Sportkoordinator der ARD, Axel Balkausky, hatte der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt: "Dass die FIFA offenbar derzeit sowohl in Deutschland als auch in anderen großen europäischen Märkten die Rechte dennoch nicht vergeben möchte, können wir für den Moment nur zur Kenntnis nehmen."

Aus Großbritannien ist zu hören, dass ein britischer Fernsehvertrag bald unterzeichnet werden dürfte. Das haben FIFA-Quellen dem "Guardian" mitgeteilt. Laut dem Bericht werde davon ausgegangen, dass BBC und ITV zusammen etwa 11 Millionen Dollar geboten haben. Die Summe erscheint überraschend, wenn Infantino nur eine Million Dollar weniger als "unfair" erachtet.

Sydney Lohmann hofft auch für Deutschland auf eine schnelle Einigung, in der "Sport Bild" verweist sie darauf, dass es für die Entwicklung des Frauenfußballs "essenziell" sei, "dass wir auch bei der WM gesehen werden", so die Mittelfeldspielerin von Bayern München. Wolfsburgs Innenverteidigerin Kathrin Hendrich sagte dem Magazin, sie wundere sich sehr über das Ringen: "Die TV-Quoten waren zuletzt stark, die Menschen haben uns gern angeschaut."

Anstoßzeiten am Vormittag

Der Poker um die Übertragung ihrer Spiele ist ein Schlag für die erfolgreichen Fußballerinnen. Bei der Europameisterschaft hatten sie es bis ins Finale geschafft. Die Partie gegen die Gastgeberinnen und späteren Europameisterinnen aus England verfolgten mehr als 87.000 Fans im ausverkauften Wembley-Stadion und knapp 18 Millionen Interessierte allein in Deutschland vor dem Fernseher. Es war die erfolgreichste Sendung 2022 in Deutschland.

Derartige Massen wird das Turnier diesmal nicht vor die TV-Geräte locken können. Durch die Zeitverschiebung finden die Spiele am deutschen Morgen und Vormittag statt und nicht wie bei der EM 2022 zur Hauptsendezeit am Abend. Doch Journalist Max-Jacob Ost hat bei Twitter den Vergleich mit der Männer-WM 2002 in Japan und Südkorea aufgezeigt. Bei diesem Turnier vor 21 Jahren wäre undenkbar gewesen, dass es nicht im deutschen TV läuft. Inzwischen sind die Anstoßzeiten deutlich stärker zerstückelt. Aber die Spiele des deutschen Teams, das in der Vorrunde auf Marokko, Kolumbien und Südkorea trifft, haben ihren Anpfiff zwischen 10.30 Uhr und 12 Uhr, also nicht mitten in der Nacht.

Voss-Tecklenburg hält Übertragung für "alternativlos"

Nur Livestreams wären der Bundestrainerin zu wenig: "Ich weiß, dass meine Eltern mit 86 und 82 Jahren auch diese WM schauen möchten. Und sie hätten keinen Zugang. Ich finde, wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag", so Voss-Tecklenburg. Den haben die Sender tatsächlich. Im Medienstaatsvertrag ist unter anderem die Übertragung von Großereignissen geregelt. In Paragraf 13 ist festgelegt, dass "bei Fußball-Europa- und -Weltmeisterschaften alle Spiele mit deutscher Beteiligung sowie unabhängig von einer deutschen Beteiligung das Eröffnungsspiel, die Halbfinalspiele und das Endspiel" im TV frei empfangbar sein müssen.

Mehr zum Thema

Es ist explizit nicht davon die Rede, dass dieser Paragraf 13 nur für Männer gilt, es ist neutral von "Fußball-Europa- und -Weltmeisterschaften" die Rede. Eine etwaige Einschränkung würde diskriminierend und nicht dem Gleichheitsgrundsatz entsprechend erscheinen. Und doch zweifelte der Dachverband "Die Medienanstalten", der 14 Landesmedienanstalten vertritt und die Einhaltung des Medienstaatsvertrags überwacht, an, dass die Regel für die WM der Frauen anwendbar ist: "Nach unserem Verständnis umfasst die lediglich Herrenfußballwettbewerbe", hieß es gegenüber dem Radiosender FunFM. "Zum Zeitpunkt der Erstfassung dieser Bestimmung erfüllten lediglich Herrenfußballwettbewerbe die hohen Anforderungen an eine Einstufung als 'Großereignis'. Selbst wenn zwischenzeitlich Frauenfußballwettbewerbe zum Teil einen ähnlichen Stellenwert erreichen, lässt sich eine Erweiterung der Liste auf Frauenfußballwettbewerbe wegen der damit einhergehenden Einschränkung der Rechte von Inhabern von exklusiven Verwertungsrechten nicht rein interpretatorisch herleiten."

So ist 77 Tage vor dem Start der WM vieles offen. "Dieser Blackout darf nicht kommen, das wäre ein echter Rückschritt für den Fußball in Deutschland und weltweit", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf. Und Voss-Tecklenburg meinte: "Ich kann nur diesen Appell aussprechen, dass sich alle Beteiligten wirklich noch einmal zusammensetzen und man im Sinne des Sports, der Sichtbarkeit und auch der Millionen Fans eine Lösung findet. Das ist eigentlich alternativlos."

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen