Ter Stegen in der DFB-Elf Der dauerdeklassierte Weltklasse-Torwart
31.03.2021, 14:38 Uhr
Ein häufiges Bild bei der Nationalmannschaft: Marc-André ter Stegen beim Training.
(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)
Gegen Nordmazedonien darf Marc-André ter Stegen sein 25. Länderspiel in der deutschen Nationalmannschaft absolvieren. Während der Torwart beim FC Barcelona überzeugt, beschränken sich seine DFB-Einsätze hauptsächlich auf Freundschaftsspiele - auch weil er wohl nie an Manuel Neuer vorbeikommen wird.
Wie die meisten seiner Ausflüge zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft begann auch der aktuelle für Marc-André ter Stegen eher unerfreulich. Am vergangenen Samstag wurde Manuel Neuer 35 Jahre alt. Und erreicht damit allmählich das Alter, in dem jeder normale Torhüter über das Karriereende zumindest mal nachdenkt. Doch schon am Sonntag zerstörte Noch-Bundestrainer Joachim Löw den kleinsten Funken Hoffnung bei ter Stegen auf ein mögliches Ende der Ära Neuer. Denn trotz des inzwischen fortgeschrittenen Sportleralters seines unangefochtenen Nummer-eins-Weltklassetorwarts, sei Löw sich sicher, dass Neuer noch jahrelang auf einem Top-Niveau spielen könne.
Für ter Stegen sind das schlechte Nachrichten. Es geht damit wohl auch die nächsten Jahre für ihn weiter wie bisher. Wenn es beim DFB-Team wichtig wurde, stand immer Neuer im Tor. Von ter Stegens 24 Länderspiel-Einsätzen durfte er nur dreimal bei einem Turnier ran (beim Confed-Cup), 14 Partien beschränken sich auf Freundschaftsspiele und sonst hütete er bei Quali-Spielen das Tor. Nun schenkt Löw ter Stegen immerhin das letzte WM-Quali-Spiel gegen Nordmazedonien. Nicht ohne sich darüber, so verkündete es Löw in der Pressekonferenz, beraten zu müssen.
Der "heilige" ter Stegen
Dabei ist ter Stegen wohl der letzte Torwart, dem man irgendetwas schenken müsste. Seit Jahren verrichtet er beim FC Barcelona hervorragende Arbeit und liefert dabei reichlich Argumente für das DFB-Team. Auch wenn 2020 für ihn und den Klub eher weniger glorreich verlief: die 2:8-Schmach gegen die Bayern (und Neuer), eine lange Verletzungspause, die sportliche Talfahrt, gewaltige finanzielle Sorgen und die Posse um den abwanderungswütigen Megastar Lionel Messi. Bei seinem Comeback im November 2020 feiert die spanische Presse die Rückkehr "des heiligen ter Stegens". Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Barça vor allem wegen seiner Leistungen in diesem Jahr im Finale des Copa del Rey steht. Gleich in zwei Partien (hier und hier) rettete er sein Team.
Für solche Leistungen liegt Spanien dem 28-Jährigen zu Füßen, Fußball-Deutschland tut es nicht. Erinnert der "Heilige" vergleichsweise vorsichtig daran, dass Deutschland nicht nur einen Weltklassetorwart hat, wird es kritisch. Ter Stegen wagte nach dem WM-Debakel in Russland 2019, wenigstens eine faire Chance im Torwartduell gegen Neuer einzufordern. Das Neuer-Lager sah in dem vorsichtigen Anklopfen schon eine Majestätsbeleidigung. Der ehemalige Bayern-Präsident Uli Hoeneß wütete damals, ter Stegen hätte überhaupt keinen Anspruch auf das DFB-Tor, und der Torwart führe sich auf, als hätte er "17 Weltmeisterschaften gewonnen". Ex-Bayern-Coach Niko Kovac sekundierte, dass eine solche Debatte erst gar nicht stattfinden dürfe. Neuer selbst wurde äußerst deutlich, dass er von der Idee eines offenen Wettbewerbs im deutschen Tor rein gar nichts halte.
Löw hatte den Vorstoß seines zweiten Mannes durchaus wohlwollend aufgenommen, aber ter Stegen nicht wirklich viel Spielzeit gegeben. Auch eventuell aufkommende Gedanken an einen Wechsel im Tor hat er schnell abmoderiert: "Manuel Neuer ist unser Kapitän und wichtig für die Mannschaft. Wenn nichts Außergewöhnliches passiert, wird Neuer die Nummer eins sein bis zur EM." Da dachte man noch an eine EM im Sommer 2020, durch die Verschiebung hat sich nichts geändert. Im Gegenteil, das Überjahr des FC Bayern und die schlechte Saison Barças haben ter Stegens Situation eher verschlechtert.
Das Dauer-Theater um Nübel
Das Thema zweiter Torwart hinter Neuer zu sein, ist kompliziert. Der 35-Jährige ist kein Freund davon, nicht zu spielen. Wie wenig Platz hinter dem Rio-Weltmeister ist, musste in dieser Saison auch schon Talent Alexander Nübel schmerzlich erfahren. Der Ex-Schalker hatte den Plan, als Nummer zwei des FC Bayern zu Neuers rechtmäßigem Nachfolger zu reifen. Dafür ließ er sich wohl auch eine Mindestzahl an Einsätzen in den Arbeitsvertrag schreiben. Diese Klausel sorgte beinahe für eine Eskalation zwischen Sportvorstand Hasan Salihamidžić und Trainer Hansi Flick.
Weil Flick ("Ich kenne keine Klauseln") ähnlich wie Neuer auf das Hier und Jetzt fixiert ist, kam Nübel in dieser Saison nur auf zwei Einsätze und drohte indirekt damit, sich verleihen zu lassen. Der Berater verkündete nun, dass sich der junge Torwart ein zweites Jahr auf der Bank nicht mehr antun wolle. Flick denkt jedoch im Moment weder daran, seinen Welttorhüter auszuwechseln noch sich in die Aufstellung hineinreden zu lassen. Wie schon bei ter Stegen 2019 hält auch Neuer von der Idee, unwichtige Spiele abzugeben sowieso nichts. Im "11 Freunde"-Interview fragte er damals vielsagend: "Welcher Trainer würde Spieler aufstellen, die nicht die besten sind?"
Wenn ter Stegen Pech hat ...
Andere im Klub sehen das durchaus differenzierter. Selbstverständlich verteidigt Salihamidžić seinen eigenen Transfer, auch Vorstandschef Oliver Kahn (selbst Leidtragender einer Torwart-Debatte gegen Jens Lehmann bei der Heim-WM 2006) plant langfristig mit Nübel. Selbst RTL-Experte Hoeneß positionierte sich zuletzt leicht gegen Flick. Die Fronten sind derzeit verhärtet, der Streit zwischen Trainer und Sportvorstand erstmal befriedet. Wie es mit Nübel weitergeht, ist noch unklar.
Anders als Nübel sind ter Stegen die Hände gebunden. Ihm fehlen die prominenten Fürsprecher in der DFB-Elf. Wenn der 28-Jährige Pech hat, bewahrheitet sich Löws Prognose und Neuer hütet noch so lange das Tor, bis der den Staffelstab direkt an Nübel oder einen anderen jüngeren Torwart übergeben kann. Dann liefe es für ter Stegen ganz bitter: Trotz jahrelanger konstanter Leistungen auf höchstem Niveau bei einem der größten Vereine der Welt wäre er nie die Nummer eins beim DFB gewesen. Nun, das steht alles noch im Konjunktiv. Im Moment bleibt ter Stegen mal wieder nur ein wenig entscheidendes WM-Quali-Spiel.
Quelle: ntv.de