Die Lehren des fünften Spieltags Deutscher Meister wird nicht der BVB
21.09.2017, 09:19 Uhr
Love is in the air - nicht aber die Meisterschale. Sagt der BVB-Klub-Manager.
(Foto: imago/Revierfoto)
Borussia Dortmund nullt sich beeindruckend durch die Bundesliga, doch Sportdirektor Michael Zorc ernüchtert die Fans. Der FC Bayern kantert sich Richtung Härtetest. Und in Köln entsteht eine fast unmögliche Koalition.
1. Glückwunsch zur Vizemeisterschaft, lieber BVB!
Moooooment! Erstmal weiterlesen, bevor Sie nun einen Hass-Tweet, einen Pöbel-Post, eine Wut-Mail oder einen Leserbrief (macht das eigentlich noch jemand?) an die tendenziösen Stümper aus der n-tv.de-Sportredaktion schreiben. Denn es entspricht ganz und gar nicht unserer Überzeugung, dass die Meisterschale der Fußball-Bundesliga auch in diesem Jahr wieder an Borussia Dortmund vorbeisaust. Die ernüchternde Botschaft verkündete BVB-Manager Michael Zorc himself. Nachdem er zuvor am gerade erst beendeten fünften Spieltag und dem 750. Sieg der Vereinsgeschichte entsprechende Euphorie-Gesänge der enthemmten Anhängerschaft in der Hamburger Arena (3:0-Erfolg) zu Ohren bekommen hatte. Er sagte fortan: "Wir wollen eine gute Saison spielen, allerdings wissen doch alle, wie es am Ende ausgeht: Da werden die Bayern Meister!"
Nun, an dieser Stelle wollen wir uns dann doch mal mit unserer Expertise einmischen: Ganz ausgemacht ist die Sache mit der Meisterschaft noch nicht, trotz der Münchener Dominanz-Darbietung auf Schalke (siehe unten). Denn der BVB spielt bislang (jaja, sie hat gerade erst angefangen) eine fantastische Saison. Und das auch, weil die Hintermänner einen verdammt guten Job gemacht haben. Mit Ömer Toprak haben sie eine weitere stabile Kraft für die Innenverteidigung verpflichtet und dank dem wuchtigen Andrej Jarmolenko spricht niemand mehr über die kickende Streiksensation Ousmane Dembélé. Das muss man erstmal schaffen. Kompliment! Das verteilen wir in Gönnerlaune direkt auch noch an Neu-Coach Peter Bosz, der seine Tempoathleten in der Offensive machen lässt und ihnen einen national nicht zu knackenden Abwehrriegel hintergeschraubt hat. Fünf Spiele, vier Siege, ein Remis, Tabellenführung - das bedeutet den bislang drittbesten Saisonstart ever. 450 Minuten ohne Gegentor, so gut war der BVB zu Beginn dagegen noch nie. So, und nun Feuer frei!
2. Der FC Bayern holt sechs Punkte
Der FC Bayern feiert die harmonischste Woche in der jüngeren Carlo-Ancelotti-Zeit. Zwei Spiele, zwei Siege, zwei überzeugende Leistungen. Dazu keine Qualitäten-Debatte, keine Trikotwürfe, keine interne Kritik am Klub. Also alles wieder "mia san mia" und chronisch dominant? Ne, so nun auch wieder nicht. Diese Woche mit den Siegen gegen den FSV Mainz 05 (4:0) am Samstag und vier Tage später auf Schalke (3:0) wollen sie in München nicht falsch verstanden wissen. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet von einem Treffen zwischen einem Journalisten und Thomas Müller im Keller der Gelsenkirchener Arena. Der Reporter hob an zu der Frage, ob das nun die zwei Spiele waren, "die ihr gebraucht habt, um zu sagen: Jetzt ...". Der Weltmeister unterbrach höflich, aber bestimmt und sagte: "… um sechs Punkte zu holen."
Nun ein bisschen mehr steckte schon in den beiden Darbietungen. Zumindest in der auf Schalke. Während man den 4:0-Heimsieg gegen Mainz als (auch in der Höhe) Pflichtsieg erwarten konnte, waren sie sich in München vor der Reise in den Pott nicht so sicher, ob nicht auch der zweite Trainer-Jüngling der Bundesliga für erneute bajuwarische Schmerzen sorgen könnte. Die Zweifel daran wurden indes ziemlich beeindruckend zerstreut. Durch eine clevere Rotation und zwei herausragende Strukturierer. Während Sebastian Rudy das Spiel in Lahm'scher Fehlerfreiheit organisierte, sorgte Ancelottis Wunschspieler James Rodríguez für überraschende, bezaubernde, brandgefährliche und erfolgreiche Momente. An allen Treffern war er maßgeblich beteiligt, zwei Vorbereitungen, ein Tor. Was das nun alles über die Leistungsstärke der Bayern aussagt? Wenig. Und der Erkenntnishorizont wird auch nach dem zu erwartenden nächsten klaren Sieg gegen die immer noch verunsicherten Wolfsburger am Freitag (ab 20.30 Uhr im n-tv-de-Liveticker) nicht größer. Ob das Pendel wieder in Richtung Krise ausschlägt oder doch Richtung international beachteter Königsklassenkompetenz, das entscheidet sich vorläufig nächste Woche, am 27. September nämlich, wenn sich der FC Bayern beim Riesen-Ego-Kollektiv aus Paris beweisen muss.
3. Der 1. FC Köln, die Videobeweis-Opfertruppe
Dass die Medien in Köln gemeinsame Sache mit dem Effzeh machen, kommt ungefähr so selten vor wie ein straftatenfreier Tag am Berliner Alexanderplatz. Also im Prinzip nie. In einer normalen Welt darf der Klub für gewöhnlich nicht mehr als drei Spiele in Serie verlieren, ehe nahezu alles infrage gestellt wird. Aber dieser Tage, wo der Klub so richtig leidet, bieten die Medien den Kölner Fußballern eine Schulter zum Anlehnen. Denn sie wissen, nicht allein die eher mauen Leistungen auf dem Rasen sind schuld daran, dass Trainer Peter Stöger und seine ziemlich hilflosen Spieler aktuell unter der roten Laterne erblassen. Mitverantwortlich für den knallharten und so schmerzhaften Euphoriehammer ist die Deutsche Fußball-Liga und ihr Videobeweis. Erst der einfache Mist beim Spiel in Dortmund und nun, bei der 0:1-Heimpleite, der doppelte Mist gegen Frankfurt. Erst bekam die Eintracht einen Elfmeter zugesprochen, der nach einhelliger Meinung der Kölner nie im Leben einer war und dann verweigerten Schiedsrichter und Videoschiedsrichter den Gastgebern auch noch einen Strafstoß nach einem mächtigen Rempler gegen Leo Bittencourt. Nicht nur die Spieler wetterten, "Das ist doch Wahnsinn!" (Elfmeterverursacher Timo Horn), auch die Boulevardzeitung "Express" lederte: "Was Video-Schiri Stark in der Zeit trieb, ist nicht überliefert." Wir können die Wut verstehen, verschweigen aber auch nicht die Fakten: fünf Spiele, ein Tor, 13 Gegentreffer. Das liest sich auch ohne Videobeweis-Desaster ziemlich schlusslichtig.
4. RB Leipzig stößt an Grenzen
Das Luftmasturbationsgate um Daniel Baier hat am Dienstagabend ein wenig die Tatsache überlagert, dass der FC Augsburg das Spiel gewonnen hatte und die Leipziger bereits die zweite Niederlage in dieser Spielzeit hinnehmen mussten. In ihrer ersten Premierensaison hatten sie am 14. Spieltag das erste Mal verloren, mit 0:1 in Ingolstadt - und dann mit 0:3 beim FC Bayern am 16. Spieltag. Insgesamt standen am Ende sieben Niederlagen, Platz zwei in der Tabelle und die Spielberechtigung für die Champions League zu Buche. Genau das ist jetzt das Problem. Trainer Ralph Hasenhüttl sagte, nachdem er seine Mannschaft auf neun Positionen verändert hatte: "Unsere Rotation war alternativlos." Das mag sein, nur scheint der Kader das nicht herzugeben. Die Ergänzungsspieler können das beachtliche Niveau der Stammelf nicht halten. So waren die Saisondebütanten Marvin Compper, Benno Schmitz und Torhüter Yvon Mvogo allesamt am Gegentor beteiligt. Zur Wahrheit gehört auch, dass es die Augsburger nach der frühen Führung sehr geschickt machten und die Rasenballsportler schlichtweg entnervten. Das sah auch Hasenhüttl so: "Wir haben vieles versucht, aber es ist sehr schwer, gegen eine Wand durchzukommen." Als sie das Spiel gestalten mussten, hat es halt nicht gereicht. "Wir sind heute sehr unzufrieden", resümierte Hasenhüttl, der sein Team in die Niederlage rotiert hatte. Sagen wir es so: Am Geld wird's wohl nicht scheitern, wenn er und Sportdirektor Ralf Rangnick sich im Winter nach Verstärkungen umsehen.
5. Der FC Augsburg greift nach den Sternen
Das mit Daniel Baier hatten wir ja geklärt, der DFB sperrt ihn für ein Spiel und verdonnert ihn zu 20.000 Euro Strafe. Er selbst hatte gestern gesagt: "Ich habe mich heute vor dem Training auch bei unserer Mannschaft entschuldigt, weil nun meine sinnlose Geste die tolle Leistung der Mannschaft in den Hintergrund rücken lässt." Das wollen wir nicht. Die Augsburger spielen nämlich nicht nur cleveren, schnellen und erfolgreichen Fußball. Sie treten nach dem besten Saisonstart der Vereinsgeschichte auch durchaus selbstbewusst auf. Es gebe zwar zwei, drei Teams, sagte Angreifer Afred Finnbogason, die stünden in der Liga stets ganz vorne. "Aber wir wollen die Mannschaft sein, die hinter der Spitze spielt. Es läuft ganz gut."
Hört, hört. Das klingt vielversprechend. Und wer will es ihnen verdenken, dass sie sich einfach mal freuen. "Natürlich werde ich mir heute einen Screenshot machen vom Handy", sagte Trainer Manuel Baum. Die Saison sei bisher "eine Sensation". Manager Stefan Reuter lobte: "Wenn wir im Tempo umschalten, dann sind wir schwer zu stoppen." Und Michael Gregoritsch, der das Tor gegen Leipzig schoss, erzählte danach: "Ich hatte eine große Fresse vor der Saison. Dann ist es natürlich leicht, auf mich drauf zu hauen. Es ist ein Riesen-Rucksack runtergefallen." Und überhaupt: "Wir brauchen nicht mehr so oft in den Kraftraum, weil wir eine Riesen-Brust kriegen."
6. Ein Christoph Kramer spielt immer
Über seinen Ex-Kollegen Sven Bender sagte BVB-Spielmacher Nuri Sahin einst: "Der geht mit dem Kopf dahin, wo ich den Fuß wegziehe." Was aber wohl würde der Fußball-Ästhetiker über Knockout-Weltmeister Christoph Kramer sagen, ebenfalls Borusse (allerdings Gladbacher), der sich zurzeit im Halbwochentakt von seinen Gegenspielern wüst zurichten lässt? In Leipzig (2:2) war das Pflaster blau, gegen Stuttgart (2:0) weiß, die bestimmende Farbe im Gesicht des Antreibers ist allerdings Rot. Zweimal in drei Tagen wankte der 26-Jährige blutend und geflickt vom Platz. "Es war wieder ein Kopftreffer", sagte Dieter Hecking über Kramers jüngsten Zusammenprall am Dienstagabend in Stuttgart (mit Anastasios Donis) und klang fortan wie ein Boxtrainer: "Es kam der Hinweis vom Doc, dass wir Vorsicht walten lassen sollen. Da muss man auch mal einem Arzt recht geben." Also warf Hecking das Handtuch und nahm Kramer aus der Partie. Dabei hätte der Unkaputtbare vermutlich noch lässig weiter gespielt. "Sah schlimmer aus, als es ist", hatte er schon in Leipzig nach dem Tritt von Naby Keita gesagt. Auch gegen den VfB ließ er sich zunächst behandeln, tauschte sein blutiges Trikot gegen ein frisches Jersey - und spielte benderesk weiter.
Quelle: ntv.de