Lewandowski & Aubameyang Die Systemtrainerveränderer
04.10.2015, 09:29 Uhr
Dortmunds Pierre-Emerick Aubameyang und Bayerns Robert Lewandowski liefern sich in der Torjägerliste ein hochklassiges Duell.
Pierre-Emerick Aubameyang trifft für Dortmund in jedem Spiel. Wenn Münchens Robert Lewandowski zuschlägt, dann auch mal fünffach. Die Trainer wissen um diese außergewöhnlichen Qualitäten und haben deshalb Bemerkenswertes getan.
Wenn Sie einmal die Möglichkeit bekommen sollten und sich dann auch trauen, dann fragen Sie Zlatan Ibrahimovic nach Josep Guardiola. Die Antwort, so viel sei vorab verraten, würde vermutlich eine Menge Wörter enthalten, die vor einer Veröffentlichung geschwärzt werden müssten. Der schwedische Exzentriker und der spanische Gentlemen haben seit ihrer gemeinsamen Zeit beim FC Barcelona ein, nun, nennen wir es mal vorsichtig unentspanntes Verhältnis. Ein Jahr hielt es Guardiolas absoluter Wunschspieler Ibrahimovic in Katalonien aus. Nach 45 Pflichtspielen und 21 Toren trat er aber die Flucht an. Die Flucht vor einem Trainer, der den Typ Strafraumstürmer so gar nicht ausstehen kann. Denn in der perfekten Welt Guardiolas kreiseln vorne schnelle, wendige Spieler und kombinieren sich und den Ball über die Torlinie. Die Wucht eines Ibrahimovic? Sie war ihm so verhasst, wie dem Vampir der Knoblauch, was ihm aber offenbar erst nach der Verpflichtung klargeworden war.
Doch Guardiola hat sich verändert. Mittlerweile ist er ein Vampir geworden, der den Knoblauch liebt. Auch wenn der Gewöhnungsprozess ein schwieriger war. In München angekommen, verbannte er zunächst den torgefährlichen Mario Mandzukic aus der "katalanischen Problemzone". Und auch mit Robert Lewandowski hatte er nach dessen Wechsel aus Dortmund so seine Probleme. Doch anders als die beiden Strafraumstürmer vor ihm scheiterte der 27-Jährige nicht am Philosophie-Starrsinn des Trainers. Im Gegenteil: Lewandowski ertrug alle Spielereien des Spaniers - mal wurde er eingewechselt, mal musste er auf dem Flügel spielen. Im Februar dann galt das Verhältnis zwischen den beiden Weltklasse-Vertretern ihrer Zünfte trotzdem als so zerrüttet, dass einer im Sommer gehen müsse. Davon spricht im Herbst 2015 allerdings niemand mehr. Lewandowski trifft wie er will, pulverisiert die Bundesliga-Torrekorde. Die Bayern eilen von Sieg zu Sieg und der Katalane lobt den Polen - ganz nüchtern: "Ich bin sehr zufrieden mit Robert", sagte er nach dem Champions-League-Erfolg unter der Woche gegen Zagreb, als Lewandowski dreimal einnetzte.
Ausgerechnet beim BVB folgt die Wende

Doch wie groß die Wertschätzung Guardiolas für den Stürmer ist, lässt sich ohnehin nicht in Worten ablesen. Die wahre Wertschätzung liegt, wie könnte es anders sein, auf dem Platz. Der 44-Jährige hat sein System verändert. Etwas das Trainer in etwa so selten tun, wie Steuerparadise die Namen ihrer Kunden freigeben. Das Spiel, das all das verändert hat, findet im April statt. Die Bayern müssen zum Ligaspiel nach Dortmund. Mit den verletzten Arjen Robben und Franck Ribery fehlen der Guardiola-Elf die prägenden Offensivspieler. Der Spanier baut auf totale Defensive um. Kein Kurzpassspiel, sondern lange Bälle. Lewandowski ist plötzlich die zentrale Figur in der Offensive. Er bindet Gegenspieler, dehnt seinen Aktionsradius aus, verwertet die Bälle exzellent, ist hellwach und trifft zum spielentscheidenden 1:0. Kurzum: Der Ex-Borusse Lewandowski macht an alter Wirkungsstätte sein bis dato bestes Spiel für die Bayern. Und, noch viel wichtiger, er überzeugt seinen Coach mit genauer jene Spielweise, die ihn in Dortmund zum Weltklasse-Angreifer hatte werden lassen und den BVB phasenweise zum Bayern-Angstgegner machte.

Douglas Costa legt auf, Robert Lewandowski trifft - die Bayern haben ein neues Erfolgsduo.
(Foto: imago/Ulmer)
Guardiola hat spätestens mit Beginn dieser Saison einen Weg gefunden, seine Philosophie des kombinationsintensiven Ballbesitzfußballs mit der Wucht eines klassischen Mittelstürmers zu kombinieren. Während sich technisch starke Spieler wie Xabi Alonso, Thiago, Philipp Lahm, David Alaba und zunehmend auch Mario Götze um den Ballbesitz kümmern, sorgen die schnellen Außen Douglas Costa, Kingsley Coman sowie der Unorthodoxe Thomas Müller für Räume und Vorlage, die Lewandowski eiskalt ausnutzt - zehn Tore in sechs Ligaspielen sind dafür ein eindrucksvoller Beleg.
Das Klopp-Experiment fortgesetzt
Eine kaum schlechtere Bilanz als der Pole hat der Gabuner Pierre-Emerick Aubameyang. Für die Borussia aus Dortmund erzielte der 26-Jährige in den bisherigen sieben Ligaspielen jeweils mindestens ein Tor - neuer Bundesliga-Rekord. Insgesamt stehen so schon neun Tore auf seinem Bundesliga-Saisonkonto. Seine starke Form aus der schwierigen, letzten Klopp-Saison, gleichzeitig der ersten ohne Lewandowski, hat Aubameyang in die neue Spielzeit gerettet. Und er profitiert davon, dass Neu-Trainer Thomas Tuchel das Klopp-Experiment in ein festes System gegossen hat.
Der abgewanderte Coach hatte den extrovertierten Offensivspieler, der seine große Stärke, das Tempo, eigentlich eher auf der Außenbahn einsetzen kann, im Laufe der Saison und vor allem in der so erfolgreichen Rückrunde in die Sturmspitze beordert und damit zum Nachfolger von Lewandowski gemacht. Aus Mangel an gleichwertigen Alternativen allerdings. Denn sowohl Adrian Ramos als auch Millionen-Missverständnis Ciro Immobile wirkten an vorderster Front so erfrischend wie Linsensuppe im Hochsommer.
Der neue Coach, dessen Verpflichtung seit April feststand, hat beim BVB nur wenig offensiv für eine Verstärkung im vordersten Zentrum geworben. Tuchel, der sich taktisch irgendwo zwischen Kloppschem Überfallfußball und Guardiolaschem Ballbesitz bewegt, hat sein System dem Erbe seines Vorgängers angepasst und verzichtet, wie lange Zeit in Mainz mit Aristide Bance, Sami Allagui und vor allem Adam Szalai, auf einen klassischen Stoßstürmer. Sein System funktioniert beim BVB auch ohne die "Kante" ganz vorne. Denn gemeinsam mit dem neuen Liga-Rekord-Knipser schafft das Mittelfeld um Youngster Julian Weigl, den wiedererstarkten Ilkay Gündogan, Marco Reus, Henrikh Mkhitaryan und Shinji Kagawa die von Tuchel gepflegte Balance zwischen Kontrolle, Überraschungsmoment und Torgefahr.
Am Sonntag treffen die beiden taktisch veränderten Großmächte nun erstmals aufeinander. Und während sich die Bayern von Spiel zu Spiel dank der Treffsicherheit von Lewandowski immer mehr in Triple-Form dribbeln, schwächelt die Borussia zur Unzeit. In der Liga gab's zuletzt zwei Remis in Hoffenheim (1:1) und gegen Darmstadt (2:2), beide verdiente sich der BVB dank drei Toren von Aubameyang. Die Bayern indes lösten ihre letzten beiden Aufgaben souverän, gewannen gegen Wolfsburg (5:1) und in Mainz (3:0) - vor allem dank sieben (!) Lewandowski-Toren.
Quelle: ntv.de