Fußball

Hoffenheim vorn, Gladbach hinten Die große Ungleichbehandlung in der Bundesliga

Union Berlin musste wegen Europapokal-Verpflichtungen diese Saison zwangsläufig oft sonntags spielen, an den Protesten gegen die Anstoßzeiten der Bundesliga beteiligen sich die Fans der Eisernen trotzdem.

Union Berlin musste wegen Europapokal-Verpflichtungen diese Saison zwangsläufig oft sonntags spielen, an den Protesten gegen die Anstoßzeiten der Bundesliga beteiligen sich die Fans der Eisernen trotzdem.

(Foto: picture alliance/dpa)

Samstag 15:30 Uhr, Bundesliga. Für viele Menschen in Deutschland ist das jede Woche ein Pflichttermin. Doch für die populärsten Vereine ist die beliebte Anstoßzeit mittlerweile ein höchst seltenes Erlebnis. Große Traditionsklubs spielen meistens exklusiv, die kleinen Vereine werden in der Konferenz versenkt.

Kein anderer Zeitpunkt in der Woche ist so stark mit der Fußball-Bundesliga verbunden wie halb vier am Samstagnachmittag. Millionen Menschen schauen sich um 15:30 Uhr entweder die Konferenz oder ihren Lieblingsverein im Bezahlfernsehen an. Zehntausende Fußballfans reisen Woche für Woche durch die Republik, um ihr Team im Stadion anzufeuern. Vor allem für sie, die Fans vor Ort, ist kein Spieltermin so beliebt wie der Samstagnachmittag um 15:30 Uhr. Egal ob Heim- oder Auswärtsspiel, der Klassiker unter den Anstoßzeiten erfreut sich seit 1967 großer Beliebtheit.

Doch die Uhrzeit, die zum Markenkern der Bundesliga gehört, verliert an Wert. Zumindest wenn Sie kein Fan des VfL Wolfsburg oder TSG Hoffenheim sind, von Mainz 05, dem FC Augsburg oder dem VfL Bochum. Ein beträchtlicher Teil deutscher Fußballfans kommt jedenfalls nur noch selten in den Genuss des traditionellen Spieltermins.

Samstag 15:30 Uhr? "Beschde", finden die Fans des VfB Stuttgart.

Samstag 15:30 Uhr? "Beschde", finden die Fans des VfB Stuttgart.

(Foto: IMAGO/ULMER Pressebildagentur)

Im Schnitt absolviert jeder Bundesligist nur noch 17 Spiele pro Saison - also exakt die Hälfte - zur Kernanstoßzeit. Der handelsübliche Bundesliga-Spieltag ist seit mittlerweile 14 Jahren stark zerstückelt: Fünf der neun Partien finden am Samstagnachmittag statt, gleich vier Spiele laufen exklusiv ohne Konkurrenz aus der eigenen Liga: Freitagabend 20:30 Uhr, Samstagabend 18:30 Uhr, Sonntag um 15:30 und 17:30 Uhr. In Europapokal-Wochen wird sogar ein drittes Sonntagsspiel um 19:30 Uhr angesetzt, um den beteiligten Vereinen mehr Regenerationszeit zu geben. Dann wird samstags um 15:30 Uhr sogar nur an vier Orten gleichzeitig gespielt. An elf Spieltagen ist das in der laufenden Saison der Fall. Außerdem gibt es in der Regel (noch bis zur geplanten Abschafffung in der Saison 2025/26) zwei englische Wochen pro Spielzeit, dann finden sämtliche Partien am Dienstag- und Mittwochabend statt.

Gladbach? Stellt neuen Minusrekord auf

Grund genug für viele Fans, um ihrem Ärger Luft zu machen. Zuletzt nutzten Anhänger von Borussia Mönchengladbach die Ostersonntag-Partie gegen den VfL Wolfsburg, um der DFL mitzuteilen, dass einem die Anstoßzeiten "auf die Eier" gehen - Eierwürfe aufs Spielfeld inklusive. Dass es ausgerechnet die Gladbacher sind, die gegen die Terminierungspolitik der DFL protestieren, ist nicht verwunderlich. Sie kommen in der laufenden Spielzeit auf gerade mal neun Partien am Samstagnachmittag, liegen also acht Spiele unter dem Liga-Durchschnitt.

Aber auch Schalke 04 darf nur zwölfmal zur fanfreundlichsten aller Anstoßzeiten ran, Borussia Dortmund (13x), der 1. FC Köln und Bayern München (beide 14x) unterbieten den Ligaschnitt ebenfalls deutlich.

Auffällig ist, dass ausgerechnet die genannten fünf Klubs - zusammen mit Eintracht Frankfurt - zu den sechs mitgliederstärksten Fußballvereinen Deutschlands gehören. Und laut einer Untersuchung von Allensbach handelt es sich bei dem Quintett auch um fünf der sechs "interessantesten" Klubs Deutschlands.

Das Marktforschungsinstitut führt jedes Jahr eine Analyse durch, deren Ergebnisse die Grundlage sind für die Verteilung von zwei Prozent der Fernsehgelder (ab nächster Saison sind es drei Prozent). Die Bayern führen das "Interesse"-Ranking deutlich vor Dortmund, Schalke und Gladbach an. Auf Rang fünf kommt Leipzig, dahinter ist Köln Sechster.

Die Anstoßzeiten-Auswertung von ntv.de zeigt, dass die interessantesten und größten Fußballklubs Deutschlands am seltensten zur beliebtesten Anstoßzeit spielen dürfen. Stattdessen wird die Samstag-15:30-Uhr-Tabelle in der laufenden Saison von exakt den fünf Vereinen angeführt, die im Allensbach-Ranking die letzten fünf Plätze belegen (Wolfsburg, Hoffenheim, Mainz, Augsburg, Bochum) und abgesehen von Sonderkonstrukt Leipzig (750 Mitglieder) die wenigsten Vereinsmitglieder haben.

Hoffenheim? 15:30-Uhr-Rekordmeister!

Dass die Saison 2022/23 kein Einzelfall darstellt, belegt die Ausweitung der Analyse. Seit der Spielzeit 2009/10 gibt es das 18:30-Uhr-Topspiel am Samstagabend, was dazu geführt hat, dass im Regelfall nur noch fünf Partien samstags um 15:30 Uhr angepfiffen werden.

Die Samstag-15:30-Uhr-Tabelle seit Beginn der Saison 2009/10 zeigt, dass die am wenigsten interessanten Vereine seit nunmehr 14 Jahren deutlich häufiger Teil der Bundesliga-Konferenz sind als die spannenderen Traditionsklubs. Die TSG Hoffenheim stand in den vergangenen 14 Spielzeiten sage und schreibe 299 Mal zur Bundesliga-Hauptzeit auf dem Rasen. Auch Fans des VfL Wolfsburg (284x) und von Mainz 05 (277x) sind Stammgäste zur klassischen Anstoßzeit.

"Schicht ist Pflicht. Autoschrauber gegen Abendspiele", plakatierten Fans des VfL Wolfsburg 2018 beim Gastspiel in Berlin. Mittlerweile dürften sie nichts mehr zu meckern haben.

"Schicht ist Pflicht. Autoschrauber gegen Abendspiele", plakatierten Fans des VfL Wolfsburg 2018 beim Gastspiel in Berlin. Mittlerweile dürften sie nichts mehr zu meckern haben.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Zum Vergleich: Die vier anderen Bundesligisten, die seit der Saison 2009/10 durchgängig erstklassig spielen, erreichen deutlich niedrigere Werte: Bayern München durfte immerhin noch 248 der 15:30-Uhr-Spiele absolvieren. Bayer Leverkusen kommt auf 230, Borussia Dortmund auf 227 Partien, Borussia Mönchengladbach sogar nur auf 201 Spiele, was durchschnittlich 14 Samstagnachmittag-Partien pro Saison entspricht.

Waren es in den ersten drei Saisons seit Einführung des aktuellen Spieltagsmuster noch jeweils 18-Konferenz-Partien mit Gladbacher Beteiligung, wurden es sukzessive weniger - bis zum historischen Minusrekord in der aktuellen Spielzeit. Zuvor waren Borussia Dortmund (2015/16), Schalke 04 (2016/17) und Eintracht Frankfurt (2018/2019) mit jeweils nur 10 Auftritten zur beliebten Uhrzeit Negativ-Spitzenreiter.

Die krasse Ungleichbehandlung ist in Bezug auf Borussia Mönchengladbach auch deshalb fraglich, weil die Spielplan-Gestalter der DFL eigentlich die größtmögliche Gestaltungsfreiheit hatten. Gladbach spielt nicht im Europapokal, das hätte ansonsten zumindest so manches Sonntagsspiel gerechtfertigt.

Was einer Ansetzung zur fanfreundlichsten Anstoßzeit stattdessen im Weg steht, sind die vielen Samstagabendspiele, die die Fohlenelf bestreitet. An gleich acht Spieltagen wurde Gladbach in der Saison 2022/23 auf den prominentesten aller Exklusivtermine, Samstag um 18:30 Uhr, platziert.

Bayern und Gladbach? So oft es geht im Topspiel

Acht Topspiel-Beteiligungen in einer Saison sind das Maximum. Die DFL beschloss zur Saison 2017/2018, dass kein Verein häufiger als achtmal pro Saison im Topspiel präsent sein darf. Zuvor lag die Höchstgrenze bei sechs Partien, daran gehalten hat man sich jedoch ohnehin nicht: Bayern München (2009/10), Bayer Leverkusen (2013/14), Borussia Dortmund (2016/17) und Borussia Mönchengladbach (2016/17) rissen die Grenze jeweils einmal.

Seit der Ausweitung wurden Bayern und Gladbach jede Saison achtmal auf den Samstagabend gesetzt. Die Spielplaner lassen beim Rekordmeister sowie dem einstigen Widersacher vom Niederrhein keine Möglichkeit verstreichen. Für Dortmund wurde die Regel fünfmal ausgereizt, für Schalke dreimal (eine Saison Zweitligist), für Leipzig einmal.

In der Gesamttabelle seit Topspiel-Einführung in der Saison 2009/2010 dominieren Bayern (97 Spiele) und Dortmund (94). Gladbach, das bis 2016 eher dosiert eingesetzt wurde, folgt auf Rang drei (81), Schalke kommt auf 80 Partien, war allerdings ein Jahr lang nur Zweitligist. Mithalten können in der jüngeren Vergangenheit nur noch die Leipziger (45 Topspiele in 7 Jahren).

FC Augsburg? Nur zwei Topspiele in zwölf Jahren

Bayer Leverkusen - in den ersten sieben Spielzeiten Dauerbrenner am Samstagabend mit 40 Einsätzen - durfte in den vergangenen sieben Saisons nur noch 23 Mal im Topspiel ran. Negativrekord der Werkself ist der aktuelle Durchgang mit lediglich einer Topspiel-Beteiligung. Deutlich häufiger wurden Werder Bremen (6) und Eintracht Frankfurt (7) zur besten Sendezeit auf den Platz geschickt.

Die Fans von Borussia Mönchengladbach teilten den Zwischenstand in der Terminierungs-Tabelle am 15. Spieltag auf Spruchbändern mit.

Die Fans von Borussia Mönchengladbach teilten den Zwischenstand in der Terminierungs-Tabelle am 15. Spieltag auf Spruchbändern mit.

(Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto)

Die Liga ist, hinsichtlich der Topspiel-Präsenz einzelner Vereine, mittlerweile dreigeteilt. Es gibt kaum noch Fluktuation. Bayern, Dortmund, Gladbach, Schalke, Leipzig, Frankfurt, Bremen durften mindestens in sechs Partien ran. Hertha, Köln, Stuttgart, Union Berlin, Leverkusen und Bochum höchstens zweimal. Wolfsburg, Mainz, Hoffenheim, Augsburg und etwas überraschend auch das aufstrebende Freiburg können nicht einen einzigen Topspiel-Einsatz verbuchen.

Besonders bemerkenswert: Der FC Augsburg spielt mittlerweile seit zwölf Jahren ununterbrochen in der ersten Liga, hat in diesem Zeitraum aber nur ganze zwei (!) Topspiele bestritten. 2011/12 gegen Borussia Dortmund, 2014/2015 gegen den VfB Stuttgart. Geht es in dem Tempo weiter, müsste der FCA noch 36 Jahre Bundesliga spielen, um so viele Topspiele bestritten zu haben, wie Bayern und Gladbach in einer Saison.

Bayern gegen Dortmund? Höchste Topspiel-Quote

Das 18:30-Uhr-Topspiel bestreitet an diesem Wochenende übrigens Eintracht Frankfurt. Gegner im ehemaligen Waldstadion ist - na klar - Borussia Mönchengladbach. Immerhin messen sich die beiden Traditionsvereine erst zum fünften Mal zur besten Sendezeit. Gladbachs "Lieblingsgegner" an einem Samstagabend ist Borussia Dortmund. 15 von 28 möglichen Partien seit der Saison 2009/2010 wurden um 18:30 Uhr angepfiffen. Eine noch höhere Topspiel-Quote (23 von 28 Spiele) hat nur das Gigantenduell zwischen Dortmund und den Bayern.

Das Termininerungs-Ungleichgewicht ausbaden müssen die Fans der großen Traditionsklubs. Wer Schalke, Gladbach, Köln, Dortmund oder den Bayern quer durchs Land folgen will, verbraucht höchstwahrscheinlich mehr Urlaubstage und setzt häufiger den Familienfrieden aufs Spiel als Fans von Wolfsburg, Hoffenheim oder Augsburg. Samstag 15:30 Uhr bedeutet schließlich, dass nach Spielende in fast allen Fällen noch ein Zug in die Heimat fährt. Das klappt nach einem Samstagabend-Topspiel nur in Einzelfällen und freitags schon mal gar nicht. Spieltermine am Sonntag sind vor allem für Auswärtsfans noch einmal problematischer. In dem Fall gestaltet sich die Anreise zwar leichter, noch am selben Tag nach Hause kommen, ist aber oft unmöglich. Die Konsequenz ist ein Urlaubsantrag für den Montag nach dem Bundesliga-Wochenende.

Mittlerweile üben nicht nur die Fans, sondern auch manche Vereine zumindest leise Kritik an der Anstoßzeiten-Politik der DFL. Schalkes Aufsichtsratschef Axel Hefer beklagte gegenüber Zeit Online zuletzt, dass Publikumsmagneten wie die Königsblauen vom Fernsehgeld-Kuchen zu wenig abbekommen, "obwohl Schalke-Spiele selbst in der zweiten Liga von mehr Leuten geschaut werden als ein Spiel von Hoffenheim oder Wolfsburg in der ersten Liga".

Tatsächlich sind die bald 36 Millionen Euro, die an die 36 Erst- und Zweitligisten gemäß der Allensbach-Tabelle verteilt werden, höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Vereine, die für TV-Quoten sorgen, profitieren finanziell weiter nur minimal.

Freuen können sich nur die DFL und ihre TV-Partner. Höhere Quoten bringen mehr Zuschauer und die bringen mehr Geld. Und gerade im Pay-TV-Brachland Deutschland tut die DFL alles, um die übertragenden Sender mit den immer gleichen Quotenbringern über Wasser zu halten.

Dass ausgerechnet die Vielfahrer unter den Fans die Leidtragenden sind, lässt sich mindestens als ungerechnet bezeichnen. Die DFL ist auf sie angewiesen, weil die bunte und laute deutsche Fankultur mit stimmungsvollen Fankurven ein wichtiges Verkaufsargument ist, um die Spiele an die Pay-TV-Anbierer im In- und Ausland zu verkaufen. Zum Dank werden die Spiele mit Beteiligung der größten deutschen Fanszenen meistens auf die Einzelspiel-Termine gesetzt.

Wer den Fernsehzuschauern nicht so gut verkauft werden kann, spielt dann eben in der Konferenz. In Konkurrenz zu vier anderen Spielen. Auf die Verteilung des Fernsehgeld-Kuchens hat das trotzdem kaum Einfluss. Auch dann nicht, wenn Wolfsburg gegen Augsburg oder Mainz gegen Hoffenheim an einem Samstagnachmittag so wenige Zuschauer vor den Fernseher locken, dass die Einschaltquoten unterhalb des technisch messbaren Bereich liegen.

Quelle: ntv.de

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