Fußball

"Premier League wird zum Witz" Fußball-Zwergenaufstand verlangt mehr Mut

Luka Milivojevic und seine Kollegen von Crystal Palace spielen gegen Manchester City aufmüpfig - und beschenken sich immerhin mit einem Unentschieden.

Luka Milivojevic und seine Kollegen von Crystal Palace spielen gegen Manchester City aufmüpfig - und beschenken sich immerhin mit einem Unentschieden.

(Foto: imago/PA Images)

Der Ruf der Premier League als aufregendste Fußball-Liga der Welt basiert auf der Annahme, dass jeder jeden schlagen kann - oder es zumindest versucht. Doch vielen Mannschaften würde mehr Courage gut tun, meint unser Kolumnist.

Das Stadion war voll, das Flutlicht brannte, die Luft war kalt und feucht, perfekte Bedingungen für einen Favoritensturz. Und tatsächlich legte Abstiegskandidat Newcastle United mutig los gegen Tabellenführer Manchester City im heimischen St. James' Park kurz nach Weihnachten. Anstatt den Ball zu einem Mitspieler zu geben, schoss Jonjo Shelvey vom Anstoß aufs Tor. Citys Keeper Ederson entschärfte den ungewöhnlichen Versuch aus 50 Metern ohne Probleme. Und hätte danach duschen gehen und sich in eine der vielen Kneipen im Umfeld des Stadions begeben können.

ManCity-Keeper Ederson hat im Spiel gegen Newcastle ziemlich wenig zu tun.

ManCity-Keeper Ederson hat im Spiel gegen Newcastle ziemlich wenig zu tun.

(Foto: imago/Sportimage)

Newcastle überließ dem Gegner den Ball und das Spiel, verschanzte sich in Mannschaftsstärke am eigenen Strafraum und hatte sich offenkundig nur das Ziel gesetzt, die Niederlage gegen die von Josep Guardiola betreute Übermannschaft Englands so knapp wie möglich zu gestalten. Was auch gelang, die Partie endete 0:1 - und illustrierte einen fragwürdigen Trend. Wenn in der Premier League Teams aus dem Mittelklasse-Segment oder dem Präkariat der Tabelle gegen die großen Klubs antreten, lässt sich in vielen Fällen zielsicher vorhersagen, wie die Partie laufen wird. Der Außenseiter verhält sich passiv und versucht, den Schaden in Grenzen zu halten, der Favorit macht das Spiel und kommt zwangsläufig zu Toren. Manchmal zu einem, wie City in Newcastle, oft zu mehreren.

Akzeptanz zum Verlieren

Dieses Muster ist natürlich nicht nur in England zu beobachten. Wenn der FC Bayern gegen Hannover 96 oder den FC Augsburg spielt, steht der Sieger meistens schon vorher fest. Weil es in der Premier League allerdings nicht nur eine oder zwei Mannschaften gibt, die dem Rest der Liga entrückt sind, sondern gleich sechs, nämlich City und United aus Manchester, Tottenham Hotspur, der FC Chelsea und FC Arsenal aus London und der FC Liverpool, gibt es in England deutlich mehr Spiele mit absehbarem Verlauf als in anderen Ländern. Das könnte zum Problem für die Premier League werden. Denn der Ruf der Liga als spektakulärster Wettbewerb der Welt basiert auf der Annahme, dass jeder jeden schlagen kann - oder es zumindest versucht. Dem Praxistest hält diese Annahme nicht stand.

Bei Citys Spiel in Newcastle hatte der ehemalige Liverpool-Verteidiger Jamie Carragher Experten-Schicht im Fernsehstudio und diagnostizierte eine grundsätzliche Fehlentwicklung. "Die Premier League wird ein bisschen zu einem Witz, weil die Spitzenteams den Mannschaften im Tabellenkeller so deutlich überlegen sind. Diese Klubs scheinen zu akzeptieren, dass sie verlieren werden - Hauptsache, es bleibt bei einem 0:1 oder 0:2", sagte er. Auch die "New York Times" sorgt sich. "Wir könnten irgendwann das Gefühl bekommen, dass wir ein Spiel schon gesehen haben und immer wieder sehen werden. An dem Punkt könnten manche fragen: Wo ist der Reiz, sich das anzuschauen?", orakelt die Zeitung. Tja, wo ist der Reiz?

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.

Hendrik Buchheister, Jahrgang 1986, ist freier Journalist, schreibt nicht nur über Fußball und berichtet seit dieser Saison aus Manchester über das sportliche Geschehen in England. Just ist sein Buch "Choreo - Kunstwerke aus deutschen Fußball-Fankurven" erschienen.

(Foto: Verena Knemeyer)

Natürlich ist es schwer, Klubs wie Watford, Bournemouth, Stoke oder eben Newcastle - um ein paar Beispiele zu nennen - ihre Außenseitertaktik vorzuwerfen. Ihre Pflicht ist nicht, das Publikum zu unterhalten, sondern genügend Punkte zu sammeln, um in der folgenden Saison wieder in der Premier League mitmachen zu dürfen. Und dass solche Vereine gerade Manchester City nicht mit spielerischen Mitteln schlagen, ist auch klar. Das gelingt nicht einmal Klubs ähnlicher Größenordnung. Tottenham Hotspur versuchte es Mitte Dezember gegen den Tabellenführer mit einer offensiven Strategie, mit Raute im Mittelfeld und zwei Stürmern - und wurde 1:4 in Stücke gerissen.

Crystal Palace macht es - fast - gut

Doch ein bisschen mehr Mut der Kleinen gegen die Großen wäre wünschenswert. Schließlich gibt es Hinweise darauf, dass der Zwergenaufstand gelingen kann. In der jüngeren Vergangenheit hat Crystal Palace - vor einem Monat noch Tabellenletzter - vorgemacht, wie man übermächtigen Gegnern Ärger machen kann. Gegen Arsenal kurz nach Weihnachten hatte die Mannschaft zwar deutlich weniger Ballbesitz, schoss allerdings genauso oft auf das Tor wie der Gegner und wurde bei der 2:3-Niederlage immerhin mit zwei Treffern belohnt. Am letzten Tag des Jahres fehlte dem Team nur ein besserer Elfmeterschütze zur Sensation. Crystal Palace spielte gegen Manchester City aufmüpfig, schoss aus allen Lagen und bekam in der Nachspielzeit einen Strafstoß. Luka Milivojevic scheiterte mit seinem erschütternd schwachen Versuch, die Partie endete torlos. So nah an einer Niederlage hatte den Spitzenreiter in dieser Saison noch kein Gegner in der Liga.

Newcastles Trainer Rafael Benítez, ein erfahrener Mann, Champions-League-Sieger 2005 mit dem FC Liverpool, wollte sich die Kritik an seiner passiven Herangehensweise gegen City übrigens nicht gefallen lassen. Er wies darauf hin, dass sie beinahe zum Erfolg geführt hätte, weil seine Mannschaft in der Schlussphase gute Chancen zum Ausgleich hatte und fast noch einen Punkt erbeutet hätte. Damit hatte er Recht. In der Nachspielzeit warf Newcastle alles nach vorne, der St. James' Park tobte und die Partie bot das Spektakel, für das die Premier League berühmt ist. Aber eben nur für ein paar Minuten.

Quelle: ntv.de

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