"Es wird eine politische WM" Gosens will Katar nicht einfach hinnehmen
07.02.2022, 18:45 Uhr
(Foto: picture alliance/dpa)
Nationalspieler Robins Gosens steht Anfang 2022 vor einer Weggabelung. Soll er das Angebot aus Newcastle annehmen, sich somit von seinen Ambitionen als Fußballer verabschieden? Der 27-Jährige hat darauf eine klare Antwort. Auch auf die Frage, wie die Fußballer mit der WM 2022 in Katar umgehen sollen.
Robin Gosens ist kein gewöhnlicher Fußballer. Der deutsche Nationalspieler hat noch nie in der Bundesliga gespielt, wurde beim Probetraining bei Borussia Dortmund dereinst als zu schwach empfunden. Da spielte er im Nachwuchs von VfL Rhede und scheiterte. Als das Training vorbei war, erklärte ihm der Jugend-Koordinator, dass man sich bei ihm melden werde. Auch im Fußball ein Code für Scheitern.
Kein Interesse aus Dortmund und eher zufällig Profi. Seine Geschichte ist oft erzählt worden. Kurzform: Gosens lebt das Leben eines Jugendlichen dort draußen an den Rändern der Republik. Am Samstag geht er aus, am Sonntag spielt er Fußball und legt sich danach eine Runde hin, Schlaf nachholen. An einem dieser Sonntage entdeckt ihn ein Scout des niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim. Der war zwar für einen anderen Spieler gekommen, aber verliebte sich in Gosens, der sich bei einem Tankstellenjob mit einem Stundenlohn von 8,50 Euro eigentlich eine Karriere als Polizist herbeiträumte.
Aus dem zukünftigen Polizisten wurde in Arnheim ein Erstligaspieler in den Niederlanden und nach seinem Transfer zu Atalanta Bergamo in die italienische Serie A schlussendlich ein Nationalspieler - begehrt von Vereinen aus Italien, Deutschland und England, wo sich die neureichen Elstern aus Newcastle um den Linksverteidiger bemühten. Doch am Ende entschied er sich für Inter Mailand, wo er in die Fußstapfen der großen deutschen Weltmeister von 1990 treten könnte - Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann und Andreas Brehme kickten dereinst im legendären Giuseppe-Meazza-Stadion.
Kein Interesse an Newcastle
Es lohnt sich, diese kurze Lebensskizze mitzudenken, wenn man nun in den Aussagen des Profis stöbert. Dem "Kicker" hat der aktuell noch verletzte Nationalspieler ein bemerkenswertes Interview gegeben, in dem er auch das Angebot aus England thematisiert. Newcastle United ist Ende 2021 bekanntlich zu einer Menge Geld gekommen. Kein gutes Geld, Scheich-Geld aus Saudi-Arabien, das seit der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 versucht, das Ansehen auf internationaler Bühne ein wenig aufzupolieren. Fußball bietet sich an. Das verspricht Soft Power und soziales Kapital und so investierte der Staat und Kronprinz Mohammed Bin Salman in Newcastle United. Die seither nicht viel erfolgreicher spielen, aber immerhin als der reichste Klub der Welt gelten.
Von dort bekam Gosens ein Angebot. Eines, das er fast nicht ablehnen konnte. "Ich habe darüber nachgedacht", sagte der Nationalspieler: "Aber so richtig in Betracht gezogen habe ich einen Wechsel zu keiner Zeit. Wenn ich etwas zu entscheiden habe, mache ich mir eine Pro--und-Contra-Liste und schaue dann, was überwiegt." Für Newcastle habe das Geld gesprochen und dagegen "zu viele Punkte", erklärte der 27-Jährige: "Ich hätte meine sportlichen Ziele in Gefahr gebracht."
Karriere - und ein wenig auch die Moral - übers Geld. "Ich hätte mit diesem Geld wahrscheinlich noch ein paar Generationen meiner Familie absichern können", sagte Gosens und dass er dafür aber seine Prinzipien hätte verraten müssen. "Ich finde diesen Gigantismus, Hauptsache mehr, Hauptsache Geld, bedenklich. Und ich bin trotzdem ein hoffnungsloser Fußballromantiker. Ich will einfach nicht daran glauben, dass wir diese Entwicklung nicht doch aufhalten können. Das widerstrebt mir." Obwohl er bei Inter Mailand "nicht gerade für einen Ausbildungslohn" spielt, wie Gosens zugab.
Kein Katar-Boykott, aber ...
Aktuell noch von einer langwierigen Sehnenverletzung außer Gefecht gesetzt, soll es für Gosens dann im November 2022 mit der Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft nach Katar gehen. Ein weiterer Wüstenstaat also, der sich in seine Lebenspläne schleicht und dem man im Weltfußball kaum noch aus dem Weg gehen kann. Zu tief hat sich das Öl-Geld in den Fußball eingebrannt, zu sehr hängen die Vereine und Verbände am Tropf dieser Staaten.
Die Bemühungen der Verbände und Vereine, sich von Katar abzugrenzen, wirken meist hilflos. Wenn es sie überhaupt gibt. Die Verwirbelung rund um den Sponsorenvertrag des deutschen Rekordmeisters Bayern München mit Qatar Airways sind noch in bester Erinnerung. Der Verein tat alles, um auf der Jahreshauptversammlung im vergangenen November nicht über diese Verbindung reden zu müssen. So richtig wollte ihm es nicht gelingen.
Auch von den Spielern wird eine Positionierung verlangt. Sie sollen die Weltmeisterschaft boykottieren, heißt es. Finanziell abgesichert eigentlich eine legitime Idee. Doch Fußball ist auch für die Spieler mehr. Sie befinden sich in einem Dilemma. "Ich gehe ja nicht blind durchs Leben und bekomme sehr wohl mit, was in diesem Land passiert ist, um eine paar Stadien zu bauen", sagte Gosens, um dann den "Zwiespalt" zu erläutern: Der Kindheitstraum WM auf der einen Seite und die Moral auf der anderen Seite.
"Ausgerechnet jetzt ist dieses Turnier in Katar, und man kann sich nicht so richtig darauf freuen, weil so viele andere Themen eine Rolle spielen, die mich tangieren. Dass man auf eine WM nicht voller Vorfreude hinfiebern kann, finde ich wirklich bitter", erzählte er und schlug statt eines Boykotts der WM vor, das Turnier für etwas anderes zu nutzen.
"Wir wissen, dass die ganze Welt zuschaut und es sowieso eine politische WM wird. Warum nutzen wir nicht diese Plattform, um auf die Missstände aufmerksam zu machen? Klar, man kann erst gar nicht hinfahren und damit ein Zeichen setzen. Man kann aber auch diesen einen Monat nutzen, um Botschaften zu senden", sagte Gosens, ohne zu wissen, wie genau das aussehen könnte. Aber in einem Punkt ist der Nationalspieler schon weiter als viele andere, wie beispielsweise IOC-Präsident Thomas Bach. Anders als der erkennt Gosens an, dass es unter den Augen der Weltöffentlichkeit momentan auch bei den großen Sport-Veranstaltungen immer auch um Politik geht. Mehr kann man kaum erwarten.
Quelle: ntv.de, sue